«Tatort: Ausgezählt» Schweizer «Tatort»: Sterben Boxer tatsächlich im Ring?

tsch

16.6.2019

Der vorletzte Schweizer «Tatort» mit Flückiger und Ritschard steigt mit einer äusserst brutalen Szene ein. Bei einem Profi-Frauenboxkampf stirbt eine der Kontrahentinnen. Passiert so etwas tatsächlich?

Die «Tatort»-Ermittler Reto Flückiger (Stefan Gubser) und Liz Ritschard (Delia Mayer) stehen eigentlich für Ruhe und Besonnenheit. In ihrem vorletzten Fall «Ausgezählt» gaben sie noch mal kräftig Gas – oder sahen zumindest dem hohen Tempo der Ereignisse zu. Es ging um den Tod einer Profi-Boxerin im Ring, um einen fiesen Manager, der seine Athletin in den Keller sperrte und um einen Wettlauf gegen die Uhr. Kein Wunder, dass sich die Luzerner bei diesem Stress bald in den Ruhestand verabschieden. Es übernehmen zwei junge Frauen aus Zürich.

Worum ging es?

Profi-Boxerin Martina Oberholzer (Tabea Buser) will nach dem Herztod ihrer Gegnerin im Ring mit dem Sport aufhören – und über Doping-Praktiken auspacken. Dafür sperrt sie ihr fieser Manager (Urs Humbel) in einen Luftschutzkeller, der von einer Kamera überwacht wird. Als der Häscher von Martinas Onkel, einem Ex-Polizisten, erschossen wird, fällt auf, dass niemand weiss, wo die Boxerin eingeschlossen ist. Das Kamerasignal lässt sich nicht zurückverfolgen.

Dem Luzerner Ermittlerteam bleiben nur maximal zwei Tage, bis die junge Frau verdurstet ist. Um ihr Leben zu retten, wagen die korrekten Schweizer den Gang in die Illegalität. Sie schleusen Manager-Mörder und Ex-Polizist Heinz Oberholzer (Peter Jecklin) in denselben Knast ein, in dem der Chef des Doping-Rings, Pius Küng (Pit-Arne Pietz), einsitzt.

War das Szenario plausibel?

«Ausgezählt» war kein besonders tiefgründiger «Tatort», sondern ein klassischer Wettlauf gegen die Uhr. Auch wenn das Szenario des eidgenössischen Thrillers theoretisch möglich wäre, realistisch war es nicht. Dass der Knast-Spitzel im komplexen Machtgefüge eines Gefängnisses ebenso schnell zu Potte kommt, wie der auf Hochtouren laufende Suchtrupp bei der Hatz nach dem Aufenthaltsort der Boxerin – die zeitliche Koexistenz dieser beiden Erzählstränge war wohl einzig und allein im Kopf der Drehbuchautoren Urs Bühler («Tatort: Ihr werdet gerichtet») und Michael Herzig möglich.

Ein drittes Thema des «Tatorts» neben tickender Uhr und Durchforstung der Knastkultur war das moralische Dilemma der Ermittler, gegen polizeiliche Vorschriften zu handeln. Für die korrekten Schweizer sicher ein grosses Problem – das aber kaum auserzählt wurde. Für leise Töne war in «Ausgezählt» einfach keine Zeit.

Sterben tatsächlich Boxer im Ring?

Eines haben sich die Macher aber nicht aus den Fingern gesogen: Todesfälle von Boxern im Ring oder unmittelbar nach dem Kampf – zum Beispiel in der Kabine oder im Krankenhaus – kommen regelmässig vor. Die berühmte «Manuel Velasquez-Liste» dokumentierte sämtliche Fälle in den USA zwischen 1720 und 2011. Sie kommt dabei auf 1'865 Tote.

Die meisten Boxer starben in den 20er- (233) und 30er-Jahren (212). Die jüngste gezählte Dekade umfasst die Jahre 2000 bis 2010 und listet 103 tote Boxer in den USA, statistisch also etwas mehr als zehn pro Jahr. Am 24. März 1962 geschah es erstmals, dass ein Boxer live während einer Fernseh-Übertragung ums Leben kam. Benny Paret aus Kuba starb in einem vom Sender ABC einem Millionenpublikum übertragenen Fight aus dem New Yorker Madison Square Garden im Kampf gegen Emile Griffith. Danach nahm der TV-Sender den Sport bis in 70er-Jahre aus dem Programm.

Seit wann findet Frauen-Boxkämpfe statt?

Auch Boxerinnen starben bereits im Ring. Eigentlich ist Frauenboxen uralt, bereits um 1720 finden sich in englischen Quellen Berichte über sportlich organisierte Faustkämpfe des weiblichen Geschlechts. Trotzdem fristete der Sport lange ein Dasein in der Illegalität. In Deutschland beispielsweise wurde Boxen ohnehin erst 1918 mit der Weimarer Republik legal, sowohl das der Männer als auch das der Frauen. 1922 fand gar ein Frauen-Boxkampf im Berliner Friedrichstadt-Palast statt, kurz danach wurde die Disziplin allerdings wiederum verboten. Olympisch wurde Frauenboxen erst 2012 in London. Übrigens als letzte Disziplin, die zuvor nur Männern vorbehalten war.

Wie geht es weiter beim Schweizer «Tatort»?

«Ausgezählt» ist der letzte neue «Tatort», bevor im Sommer-Krimiprogramm der ARD die Zeit der Wiederholungen beginnt. Gleichzeitig ist es nach neun Jahren und 17 Folgen der vorletzte Fall mit Flückiger und Ritschard, die 2020 durch ein in Zürich ermittelndes Frauenduo ersetzt werden: Anna Pieri Zuercher (40, Schweizer Filmpreis 2019 für «Doppelleben») und Carol Schuler (32, Ensemblemitglied an der Berliner Schaubühne) heissen die neuen Ermittlerinnen.



Wann genau Flückiger und Ritschard ihren Ausstand geben – und wie die Luzerner Ermittler enden -, ist derzeit noch nicht bekannt. Allerdings hadert Darsteller Stefan Gubser derweil mit dem Ende der TV-Reihe aus Luzern. «Das Aus des ‹Tatorts› war wie ein Tritt in den Hintern und hat mich aus meiner Komfortzone katapultiert.» Schliesslich sei Kommissar Flückiger «eine Traumrolle» gewesen. «Ich habe als Kind schon davon geträumt, einmal einen Kommissar zu spielen.» Er habe diesen «Tatort» immer als sein Baby betrachtet. «Man hatte mir auch zugesagt, dass ich ihn machen dürfe, bis ich 65 Jahre alt sei. Und ich empfand es deshalb als hart, mit 61 Jahren gesagt zu bekommen, jetzt sei Schluss.»

Der «Tatort: Ausgezählt» lief am Sonntag, 16. Juni, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

Stefan Gubser und seine «Tatort»-Momente
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