«Gomorrha» Warum die Mafia-Serie «Gomorrha» Italien entzweit

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6.3.2018

Nicht jeder in Italien kann sich freuen über den grössten Serienerfolg des Landes. Mafia-Jäger klagen, «Gomorrha» verherrliche das Verbrechen.

Im Kopf ein gewaltiges Loch, darunter eine riesige Blutlache. Das ist ein angemessenes Eröffnungsbild für eine der tödlichsten Fernsehserien der Gegenwart. Und es ist ein erwartbares Ende für Pietro Savastano (Fortunato Cerlino), einen grau melierten Mann mit Nickelbrille, der zwei Staffeln lang das Oberhaupt des einflussreichsten Camorra-Clans in Neapel war. Gestorben wird in «Gomorrha» nicht heldenhaft. Menschen verbluten, verbrennen, werden gemeuchelt, hingerichtet, verraten und verkauft. Wegen Macht, wegen Rache, wegen Geld, wegen nichts. Man sollte meinen, dass es keine bessere Abschreckung vor einer Mafia-Karriere geben kann als diese schonungslos deprimierende Gewalt-Saga, die zu den erfolgreichsten Eigenproduktionen aus dem Hause Sky zählt. Offenbar ist das Gegenteil der Fall.

Riesiger Hype in Italien

In über 130 Länder wurde die Serie verkauft, die auf Recherchen des Journalisten Roberto Saviano basiert. Doch nirgends ist der Hype so gross wie daheim – worüber sich allerdings nicht jeder in Italien ungetrübt freuen kann. Staatsanwälte, Bürgermeister, Fahnder und Richter laufen Sturm gegen den grössten Serienerfolg des Landes. Der Vorwurf: «Gomorrha» glorifiziere die Gewalt, vermenschliche das Verbrechen. Zugegeben, ein altbekannter Vorbehalt gegen Mafiafilme. Doch im Zusammenhang mit dieser fast dokumentarisch anmutenden Produktion, die grösstenteils in den grauen Wohnblocks des Secondigliano im Norden Neapels spielt, hätte man sie nicht vermutet.

Jugendliche träumen von Karriere als Mafioso

Einer der prominentesten Wortführer der Debatte ist Luigi de Magistris, ehemaliger Staatsanwalt und seit 2011 Bürgermeister von Neapel. An Abenden, an denen bei Sky Italia neue «Gomorrha»-Folgen gezeigt würden, klagt er, rasten anschliessend Jugendliche auf Mofas durch die Strassen, um auf Hausfassaden zu ballern. Andere berichten davon, dass Frisuren und Tattoos der Hauptdarsteller kopiert würden sowie deren Handhaltung beim Abfeuern von Pistolen. Offenbar träumen viele Jugendliche im krisengeschüttelten Italien von einer Karriere, die nach Massgabe der Serie nicht selten schon vor der Volljährigkeit mit einer Kugel im Kopf endet. Was läuft da schief?

Die «Helden» der italienischen Jugendlichen heissen Genaro, gennant «Genny» Savastano und Ciro Di Marzio, genannt der «Unsterbliche». Ihre Darsteller Salvatore Esposito und Marco D'Amore wurden zu Role Models wider Willen. Sie spielen junge Männer in einer entmenschlichten Symbiose der Gewalt. Notorische Grenzüberschreiter, die wie Gespenster durch das Schlachtfeld ihrer eigenen Biografie laufen. Sie waren Freunde, dann Feinde, haben gegenseitig ihre Familien und auch Teile der eigenen ermordet, und sind nun in Staffel drei wieder vereint als Schicksalsgemeinschaft gegen die vielen, die Rache an ihnen nehmen wollen. Es ist ein Teufelskreis des Blutvergiessens - heraus kommen die meisten eher früher als später. Allerdings nur als Leiche.

Herausragend recherchierter Stoff

Immerhin: Rentabel ist dieser Lebenswandel nach wie vor. Drogen-, Waffen- und Giftmüllhandel sind das Geschäft dieser Männer (und wenigen Frauen), und auch das ist eine Qualität des herausragend recherchierten Stoffs: Er zeichnet die Geld-Kanäle der Mafia in Zeiten der Globalisierung nach. Das ist der diskretere Ansatz von «Gomorrha», und er ist nicht weniger spannend. Wenn auch wohl nur für Teile des Publikums.

«Die Erzählung spiegelt nur die Grammatik der Macht, sie beleuchtet deren Dynamik», rechtfertigt sich der Autor Roberto Saviano, der seit Erscheinen des Sachbuchbestsellers «Gomorrha. Reise in das Reich der Camorra» (2006) im Untergrund lebt. Roberto Amoroso, Creative Director von Sky Italia, bezeichnet den Trubel um die Erfolgsproduktion als ein Lehrstück über die Wirkungsmacht von Geschichten: «Es gibt in Italien viel Polemik über 'Gomorrha'.» Man könne zu den in der Serie geschilderten Problemen schweigen. «Oder man kann dem Bösen ein Gesicht geben. Das ist der erste Schritt, die Dinge zu ändern.»

Wenn er doch nur Recht behielte.

Die zwölf neuen Episoden der dritten Serienstaffel sind ab 6. März immer dienstags, 20.15 Uhr, in Doppelfolgen bei Sky Atlantic HD zu sehen. Parallel sind sie abrufbar über Sky Ticket, Sky Go und Sky On Demand.

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