TV-Experte SRF-Reihe «Stutz um Stutz» setzt falsche Anreize

von Gion Mathias Cavelty

16.3.2018

Gratis-Zigaretten für alle? «Bluewin»-TV-Experte Gion Mathias Cavelty versteht wegen der neuen SRF-Reihe «Stutz um Stutz» die Welt nicht mehr.

«Mit nur 100 Franken fünf Tage in einer fremden Schweizer Stadt überleben»: Auf dieses sogenannte «Sozialexperiment» des Schweizer Fernsehens haben sich in der Reality-Doku «SRF Heimatland – Stutz um Stutz» vier Kandidaten eingelassen (lief am Donnerstag, 15. März, um 21.05 Uhr auf SRF 1). Derjenige Kandidat, der am Schluss «am meisten Stutz daraus gemacht hat, kassiert das Geld von allen», lässt einen der total coole Off-Sprecher (ehrlich gesagt klingt er eine Spur zu cool) zu Beginn wissen.

Mit medialen «Sozialexperimenten» ist es ja so eine Sache, vor allem, wenn Armut das Thema ist. Erst kürzlich hat sich «Radio 24»-Moderator Dominik Widmer eine Woche lang unter Obdachlose gewagt. Voyeurismus- und Zynismus-Vorwürfe liessen dann auch nicht lange auf sich warten. Und tatsächlich dürfte es dem Durchschnittszuhörer/-schauer immer ein bisschen unwohl sein bei solchen Aktionen.

St. Gallen als Testumgebung

Nun: Bei der «fremden Schweizer Stadt» handelt es sich um St. Gallen, bei den vier Mitspielern um die ehemalige Ballettlehrerin Barb (71), Barkeeper Luca (26), Freizeit-Curvy-Model Manuela (49) und Faktotum Andi (62).

Sie müssen – ausser Kleidung und Identitätskarte – alles abgeben (auch Handy und Zigaretten, das «Dschungelcamp» lässt grüssen) und kriegen dann ihre Hunderternote in die Hand gedrückt. Los gehts.

Manuela rennt sofort zum Roten Kreuz, wo sich folgender Dialog entspinnt:

Manuela: «Mini grossi Hoffnig isch, dass Sie mir chönnted wiiterhälfe, dass ich hüt z’Obig emal en Schlofplatz hetti, natürlich au im Gegezug, dass ich öppis würd defür mache.»

Mitarbeiter SRK St. Gallen: «Notschlofstelle gits natürlich in St. Galle, aber d Frog isch echli, ob die Sie würdet ufnäh, esone richtigi Notlag isch es ja nöd, Sie sind echli freiwillig in die Situation inegrütscht.»

Der Moment zum Aufhören

Päng. Das hat gesessen. Abbruch des Experiments, würde ich vorschlagen. Denn meint tatsächlich irgendein TV-Redaktor, vor einer für jedermann sichtbaren laufenden Kamera käme etwas auch nur annähernd Authentisches zustande? Wenn schon, dann hätte man das Ganze konsequent mit versteckter Kamera filmen müssen.

Der Leiter der von Steuergeldern finanzierten «Stiftung Suchthilfe St. Gallen», bei dem Kandidat Luca landet, meint diesbezüglich: «Vielleicht handelt man ein bisschen motivierter, wenn das Fernsehen da ist, aber es ist auch eine Erschwernis, weil man nicht gerne gefilmt wird, wenn man arbeitet. Von dem her ist es realistisch, wenn wir so vorgehen. Die Kamera erschwert es, aber vielleicht inspiriert sie auch.»

Sagts und steckt dem alles andere als notdürftigen Luca für fünf Tage Gratis-Essensgutscheine für die Gassenküche, Zigaretten und zu guter Letzt auch noch sein persönliches Feuerzeug zu. Toll, was da für Anreize gesetzt werden!

Manuela landet derweil in der Genossenschaftsbeiz «Schwarzer Engel», wo sie für ein Mittagessen niedere Arbeiten ausführen darf. Andi und Barb stranden in der Notschlafstelle Ufo, wo sie aber abgewiesen werden, weil sie keine Bürger von St. Gallen sind (sie werden’s überleben, wetten?).

Damit endet die erste «Stutz um Stutz»-Sozial-Märchenstunde.

Frage zum Schluss: Was würde ich eine Woche lang mit nur 100 Franken in St. Gallen machen? Ganz klar: Olma-Bratwürste kaufen, daraus einen Iglu formen und eine Woche darin pennen.

«SRF Heimatland – Stutz um Stutz» lief am Donnerstag, 15. März, um 21.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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