Tödliches Online-Dating So packend war der Pfingst-«Tatort» aus Dresden

tsch

21.5.2018

So manch digitales «Neuland» der letzten Jahre war ein gefundenes Fressen für begierige «Tatort»-Drehbuchschreiber, die immerzu nach zeitgemässen Mordgeschichten samt moralischer Botschaft lechzen. Diesmal drehte sich alles ums Online-Dating – Trennung am Ende inklusive.

Zwei Kommissarinnen, zwei zwielichtige Dates: Die beiden Dresdner Ermittlerinnen Henni Sieland (Alwara Höfels) und Karin Gorniak (Karin Hanczewski) begaben sich im «Tatort: Wer jetzt allein ist» persönlich in die Welt der Internet-Liebesportale. Der leider letzte Fall mit Alwara Höfels brachte die beiden Cops als Lockvögel selbst in Gefahr - und zeigte mal wieder: Verliebtsein macht blind! Pubertierende Jungs und babysittende Chefs lockerten das blutige Online-Dating zum Glück auf.

Was war passiert?

«Da hat jemand richtig geackert»: Angesichts der brutal erwürgten Frauenleiche wirkte die Umschreibung des Kriminaltechnikers am Tatort ein wenig pietätlos. Das Opfer war Doro Meissner (Svenja Jung), eine 22-jährige Studentin, die augenscheinlich aus Rache umgebracht wurde. Sie soll auf einem Dating-Portal unter dem Namen «Birdy» mehrere Männer mit Liebe gelockt und um Geld betrogen haben. Um sich zu rächen, gründeten die Betroffenen die Gruppe «Vogeljäger», die in martialischen Videos zur Jagd auf Doro aufrief. Allein: Doro war schon länger vom Portal abgemeldet, wie die Kommissarinnen bald erfahren. Als wahrer Betrüger entpuppt sich der Gründer der Online-Dating-Seite «Love Tender», der mit Doros Profil seine Kunden ausnahm.

Worum ging es wirklich?

Natürlich um die Liebe, die nicht nur blind macht, sondern auch morden lässt. Warum sie das Geld überwiesen haben, fragten die Ermittlerinnen die verdächtigen «Vogeljäger»: «Weil ich ein Idiot bin», antwortete einer. «Wer jetzt allein ist, wird es lange sein» - die Einsamkeit und die Sehnsucht nach Liebe war das dramatisch inszenierte Hauptmotiv des «Tatorts». Der aus dem berühmten Rilke-Gedicht «Herbsttag» entlehnte Titel prädestinierte für vielfältige Lesarten: So musste die schwangere und verlassene Sieland entscheiden, ob sie das Kind dennoch bekommen soll. Und die bereits alleinerziehende Gorniak musste sich mit ihrem aufmüpfigen Teenie-Sohn herumschlagen, für den sie lieber einen «Kerkermeister» als einen Babysitter suchte.

Wie realistisch waren die privaten Probleme, wie nachvollziehbar der Fall?

Zwei Frauen, zwei Klischee-Probleme? Was im Kontrast zu manch männlichen «Tatort»-Kollegen aufgesetzt wirkte, spiegelte doch verdichtet die realen Probleme berufstätiger Frauen heute. Etwas konstruierter präsentierte sich indes der Mordfall: Klar, jene verzweifelten einsamen Männer, die für «Liebe» alles tun, gibt es sicher. Ebenso den Drang, sich nach einem fiesen Betrug zu rächen. Aber dass sich Sieland und Gorniak, einsam und risikofreudig, selbst Online-Dates auf dem zwielichtigen Portal verschafften, weil die Beweislage dünn war? Eher unwahrscheinlich. Unterhaltsam dennoch, wie sie sich auf diese Art mit weiblichen Reizen an die beiden Hauptverdächtigen heranpirschten - auch wenn das natürlich vor Gericht nicht verwendbar war.

Warum überzeugten die Dates dennoch?

Weil der erzählerische Dreh erfrischend war. Die Undercover-Dates mit dem Sonderling Petrick Wenzel (Aleksandar Jovanovic) und dem wohlhabenden Unternehmer Andreas Koch («Sankt Maik»-Star Daniel Donskoy) bescherten dem «Tatort» sehenswerte Szenen und Dialoge - sowie ein dramatisches Finish, in dem sich die Ermittlerinnen erwartungsgemäss selbst in Gefahr begaben. Wenn sich Kommissarin Gorniak in den attraktiven Verdächtigen verknallt und nackt (!) in dessen Pool badet, ist das ebenso aufreibend wie die Situation von Ermittlerin Sieland, die «ihr Date» nach einem Beinahe-Übergriff in bester «MeToo»-Manier zurechtweist: «Nein heisst Nein, merken Sie sich das!» Schade eigentlich, dass das der letzte gemeinsame Fall der beiden war.

Warum ist jetzt Schluss?

Höfels wirft nach dieser Folge als Kommissarin hin. Unstimmigkeiten über die «ernstere» Ausrichtung des «Tatorts» hatten sie - ebenso wie den Drehbuchautor Ralf Husmann - zu diesem Schritt bewogen. Das ist auch insofern bedauerlich, dass die beiden hart-herzlichen Damen bereits tief in ihr bisweilen recht zerrüttetes Privatleben blicken liessen - und sich als erstes weibliches «Tatort»-Duo einen respektablen Ruf erarbeitet hatten.

Wie verabschiedete sich Alwara Höfels?

Umso tragischer also, welch kurzes und beinahe schmerzloses Ende sich die Autoren für Alwara Höfels Kommissarin ausgedacht haben: «Eigentlich wollte ich nie was anderes sein», sagte sie, auf ihr Polizistinnendasein angesprochen: «Aber ich kann nicht mehr. Und das ist gut so.» Dann wars vorbei. Bei aller Trauer über Alwara Höfels' Ausstieg: Immerhin wird mit Cornelia Gröschel eine echte Dresdnerin ihre Nachfolgerin.

Wer überzeugte noch?

Chef Schnabel und der Pubertierende, der nicht zur Party darf: Auflockernd gab der Kommissariatsleiter (Martin Brambach) erst unfreiwillig («Es hat sich ausgeschnabelt») und schliesslich gern den «Kerkermeister» für den Sohn (Alessandro Schuster) seiner Kommissarin, den er nett slapstickhaft mit Handschellen zu den Mathehausaufgaben zwang. Am Ende wurden die beiden sogar Freunde. Gerne mehr von dieser ungewöhnlichen Verbindung!

Wie gut war der «Tatort»?

Die Mischung machte den aktuellen Dresdner «Tatort» spannend. Zwischen hochdramatischen Gewalttaten und albernen Vorurteilen über Dating-Portale, zwischen banalem Allerweltsgequatsche («Peter Alexander entspannt mich») und ernsthafter Thematisierung des privat-beruflichen Balanceakts für Frauen, machten der Dresdner «Tatort» und seine Hauptdarstellerinnen wieder vieles richtig. Hoffentlich harmoniert das (halb-)neue Duo ebenso!

Wir vergeben eine Fünf.

Der «Tatort: Wer jetzt allein ist» lief am Montag, 21. Mai, um 20.05 Uhr auf SRF 1. Mit Swisscom TV Replay können Sie die Sendung bis zu sieben Tage nach der Ausstrahlung anschauen.

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