«Der Welten Lohn» Wenn enttäuschte Mitarbeiter auf Rache sinnen – so brisant war der Stuttgarter «Tatort»

tsch

1.11.2020

Die Ermittler Lannert und Bootz mussten den brutalen Zweikampf zwischen einem Unternehmer und dessen ausgestossenem Mitarbeiter regulieren. Auch wenn nicht immer gemordet wird; enttäuschte Arbeitnehmer richten regelmässig schwerste Schäden an.

Der neue «Tatort»-Krimi, «Der Welten Lohn», spielte in einer eiskalten Welt schwäbisch-effizienter Wirtschaftlichkeit. Der Chef eines Automobilzulieferers opferte in einem Bestechungsskandal einen besonders loyalen Mitarbeiter. Nachdem der Mann drei Jahre in US-Haft sass und seine Familie darüber zerbrach, sann der Gerechtigkeitsfanatiker auf Rache. Dabei traf er auf einen Unternehmer, der keinen Meter preisgab.

Für das fiese Duell zweier sehr unterschiedlicher Männer – einem Schwerstenttäuschten und einem Wirtschaftsrationalisten – gibt es in der Realität Vorlagen ohne Ende. Viele davon haben Firmen und Protagonisten schwer geschadet. Oft wird das Rachepotenzial frustrierter Mitarbeiter oder Entlassener unterschätzt, weil man den Arbeitnehmern rationales Verhalten unterstellt. Dabei sind deren Rachegedanken immer wieder stärker als das Bedürfnis, sich selbst oder zumindest die eigene Karriere zu schützen.

Worum ging es?

Oliver Manlik (Barnaby Metschurat) sass über drei Jahre lang als Bauernopfer seiner Firma wegen Korruption in US-Haft. Sein Vorstandschef Joachim Bässler (Stephan Schad) hatte ihn damals eiskalt fallen lassen, um seine Stuttgarter Firma in einem Bestechungsskandal zu schützen. Während der Haftzeit ist auch das Privatleben Manliks zerbrochen. Seine Frau Caroline (Isabelle Barth) hat nun einen anderen Mann, auch der halbwüchsige Sohn will nichts mehr vom Vater wissen.



Schon vor seiner Verhaftung hatte der sich von der Familie entfremdet, weil er wie ein Besessener für die Firma gearbeitet hatte. Nun möchte Manlik, dass ihn der Ex-Arbeitgeber für sein gestohlenes Leben entschädigt. Doch Konzernchef Bässler lässt den einst hochloyalen Mitarbeiter abblitzen. Als die Personalchefin des Unternehmens tot im Wald liegt, beginnen die Kommissare Lannert (Richy Müller) und Bootz (Felix Klare) mit ihren Ermittlungen beim Automobilzulieferer.

Worum ging es wirklich?

Als «Goldene Regel» bezeichnet man einen verbreiteten Grundsatz der praktischen Ethik, der auf der Reziprozität menschlichen Handelns beruht: «Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.» Oft wird diese Regel jedoch gerade im Wirtschaftsleben gebrochen – was bei Untergebenen und Geschädigten regelmässig Rachegedanken auslöst.

Im «Tatort»-Debüt von Regisseur Gerd Schneider, der früher mal katholischer Priester werden wollte, treffen sich zu diesem Duell: ein kühler Wirtschaftsrationalist und ein «Gerechtigkeitssammler», den jedes Ausbleiben von Wiedergutmachung durch Firma und Chef tiefer in eine Rache-Spirale hineintreibt. Psychologen wissen um das Phänomen. Wichtig ist, um eine Eskalation zu vermeiden, dass sich der enttäuschte Mitarbeiter gehört und verstanden fühlt. Doch dann wäre kein «Tatort» aus dieser modellhaften Wirtschafts-Gruselgeschichte am Tag nach Halloween geworden.

Wie gehen Mitarbeiter mit einer Kündigung um?

Die beiden amerikanischen Organisationsforscher Anthony Klotz und Mark Bolino identifizierten 2018 sieben Persönlichkeitstypen, die unterschiedlich mit dem Verlassen eines Arbeitsplatzes umgehen. Immerhin 10 Prozent gehören demnach zur Gruppe «fulminanter Abgang». Diese Menschen nutzen eine Trennung zur grossen Abrechnung, selbst wenn ihnen das, zum Beispiel beim Finden eines neuen Arbeitsplatzes, schaden könnte.



Rache gilt unter Arbeits- und Betriebspsychologen als oft unterschätztes Thema in der Mitarbeiterführung. Viele Unternehmen und ihre Manager glauben, dass sich Menschen rational verhalten, wenn ihnen gekündigt oder Gerechtigkeit verweigert wird. Nach dem Motto: Sie werden stillhalten, um sich nicht selbst zu schaden. Dabei definiert sich das Prinzip der Rache eben dadurch, dass es dem Rächer egal ist, ob er selbst einen (hohen) Preis dafür zahlen muss, Hauptsache, der andere wird bestraft.

Berühmte Rachefeldzüge von Arbeitnehmern

Als einer der spektakulärsten Abgänge gilt der «Nachruf» von Manager Greg Smith, der nach zwölf Jahren bei der US-Investmentbank Goldman Sachs Schluss machte. Smith veröffentlichte 2012 das Hasspamphlet «Why I Am Leaving Goldman Sachs» in der «New York Times» und bezeichnete seine Ex-Firma als kaltschnäuzigen Abzockerladen, bei dem die Kunden intern «Muppets» genannt werden. Der Aktienkurs des Geldhauses brach danach spürbar ein.

Andere Abgänge waren jedoch tragischer: Ein Mitarbeiter der Genfer Verkehrsbetriebe erschoss vor einigen Jahren seinen Chef, weil er wenige Tage zuvor im «Ranking» seines Unternehmens herabgestuft wurde. Wegen zweier Todesfälle im nächsten familiären Umfeld war der Täter emotional instabil, doch seine Rachegelüste konzentrierten sich auf etwas «Angreifbares»: den Arbeitgeber, der sich «ungerecht» verhalten hatte.



Andere berühmte Anekdoten sind das öffentlich gepostete Video eines unbekannten Mitarbeiters, der auf ein Cornflakes-Produktionsband der Firma «Kellogg's» pinkelte, oder eines wütenden Grafikers, der das Bild eines Penis im Ikea-Katalog versteckte. Laut einer Studie der Unternehmensberatung KPMG verursachte Wirtschaftskriminalität 2015
in der Schweiz einen Schaden von 280 Millionen Franken. Immerhin
40 Prozent davon wurden von Tätern verursacht, die Angestellte des geschädigten Unternehmens waren.

Wer waren die beiden Schauspiel-Kontrahenten?

Der wütende Mitarbeiter wurde von Barnaby Metschurat verkörpert, einem Schauspiel-Autodidakten aus Westberlin. Metschurat, vierfacher Vater – drei gemeinsame Kinder hat er mit seiner Schauspielkollegin Lavinia Wilson – ist seit der Jahrtausendwende immer wieder in pointierten Haupt- und Nebenrollen im Fernsehen zu sehen. In der stilprägenden ZDF-Serie «KDD – Kriminaldauerdienst» (2007–2010) spielte der heute 46-Jährige einen jungen Kommissar. Seine letzte grössere «Tatort»-Rolle fand in der Bremer Folge «Der hundertste Affe» statt, wo er den Leiter des Krisenstabs im Rahmen einer angedrohten Trinkwasservergiftung spielte.

Top 20: Das sind die beliebtesten «Tatort»-Teams der Schweizer

Metschurats Antipode ist der schwäbische Schauspieler Stephan Schad. Er gibt den eiskalten Unternehmer mit mutiger Nüchternheit. Der 56-jährige Pforzheimer ist vor allem von der Bühne und als Synchronsprecher bekannt. Er arbeitet auch als Schauspiellehrer in Hamburg. Schad ist zudem regelmässig in Krimis und anderen Fernsehproduktionen zu sehen, zuletzt in «Die verschwundene Familie» und «Morden im Norden».

Wie geht es beim Stuttgarter «Tatort» weiter?

Die nächste Folge «Das ist unser Haus», sie soll im Januar 2021 ausgestrahlt werden, könnte ein echtes Highlight werden. Dafür steht Regisseur Dietrich Brüggemann, der auch für die vielfach ausgezeichnete Schwaben-Folge «Stau» verantwortlich war. Das Drehbuch entstand wie bei «Stau» zusammen mit Daniel Bickermann.

«Das ist unser Haus» erzählt als Ensemblefilm von einer Baugemeinschaft in einem Stuttgarter Vorort, auf deren Baustelle eine weibliche Leiche gefunden wurde. Alle Häuslebauer sind gerade mit ihren Träumen vom gemeinschaftlichen Wohnen eingezogen, haben Einlagen geleistet und lange auf ihre Wohnungen gewartet. Und jetzt das: eine Leiche im Fundament. Musiker Heinz-Rudolf Kunze hat im Film einen Gastauftritt – als Verdächtiger.

Zurück zur Startseite