«Tatort»-Check Wie der Wiener «Tatort» Klischees schürte

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28.3.2021

Ermordete Prostituierte und entführte Kinder: Der Wiener «Tatort: Die Amme» begleitete einen überaus verstörenden Täter – und mäanderte dabei zwischen Rotlichtkrimi, Psychostudie und so manchem Klischee.

Ein Mord geschieht, Ermittler finden Spuren, befragen Verdächtige: Endlich mal wieder ein normaler Krimi, hätte man denken können, wenn man am Sonntagabend den Wiener «Tatort» schaute. Doch der Schein trog. Denn obwohl der 26. gemeinsame Fall des Duos Eisner und Fellner nach konventionellem Kriminalfilm-Einmaleins begann, enthüllte sich der Täter dem Publikum bereits nach weniger als zehn Minuten.

In seinem vierten «Tatort» aus der österreichischen Hauptstadt liess Regisseur Christopher Schier einen psychopathischen Mörder nicht nur Prostituierte erdolchen, sondern auch deren Kinder entführen und auf verstörend bemutternde Weise gefangen halten. Während der schön fotografierte Krimi mit hübsch-düsteren Bildern glänzte, trübten einige schräge Vorstellungen von Rotlichtmilieu, Drogenszene und Psycho-Einzeltätern den Blick.

Worum ging es?

Was zunächst wie ein klassischer Mordfall wirkte, entpuppte sich bald als Serientäter- und Entführungsgeschichte: Moritz Eisner (Harald Krassnitzer) und Bibi Fellner (Adele Neuhauser) untersuchten den Tod der 42-jährigen Jana Gruber, die nach einem anonymen Hinweis brutal erstochen in ihrer Wohnung gefunden wurde. Schnell stellte sich heraus, dass die Frau zu Hause als Prostituierte arbeitete, nebenan das Kinderzimmer. Ihr zehnjähriger Sohn Samuel (Eric Emsenhuber) jedoch schien spurlos verschwunden zu sein.

Ins Visier geriet zunächst der Hinweisgeber, dessen Anruf die Polizei zurückverfolgen konnte: Gustav Langer (Christian Strasser), vorzeige-zwielichtiger Freier des Opfers mit beachtlichem Vorstrafenregister, beteuerte allerdings seine Unschuld. Verbindungen zu einem älteren Fall liessen vermuten: Hier handelte ein Serientäter.



Warum war der «Tatort» so besonders?

Zunächst warnte Polizeichef Ernst Rauter (Hubert Kramar): «Mit dem Wort Serienmörder haben wir sofort einen nationalen Notfall», zudem wurde eine Art Taskforce zur Lösung des Falls einberufen. Jedoch: Dass es sich keineswegs um ein klassisches Whodunnit drehte, wurde nach ein paar Minuten deutlich: Der «Tatort» begleitete den Täter, einen als Frau verkleideten Mann, in seinem verstörenden Alltag in heruntergekommenen Wohnungen. Die Ermittler ahnten von all dem selbstverständlich nichts. In ihrem Wettlauf gegen die Zeit sollte das Publikum mitfiebern.

Funktionierte das Konzept?

Die schonungslose Täter-Konfrontation funktionierte zwar konzeptuell, brachte inhaltlich aber ein paar Probleme mit sich: Beeindruckend gespielt von Max Mayer, sagte die überzeichnete Figur Dinge wie «Ich bin eine gute Mama» und «Mir tut es genauso weh wie dir», lachte mit verschmiertem Lippenstift hysterisch, war cracksüchtig und drehte sich «Joker»-haft um sich selbst.

Was in einem Horrorfilm gut aufgehoben wäre, reproduzierte im sozialkritischen «Tatort» ein eigenartiges Bild vom psychopathischen Einzeltäter, der – so der grösste Kritikpunkt – von seiner Gender-Rolle abwich. Die etwas zynische Lesart: Wer Frauen ermordet und kleine Kinder entführt, kleidet sich natürlich auch wie ein Transvestit. Auch wenn sich letztlich dahinter ein veritabler Mutterkomplex verbarg: So manches Klischee sollte man vor Millionenpublikum lieber stecken lassen.

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War der «Tatort» ansonsten realistisch?

Es stimmt, dass Sexarbeiterinnen häufiger physischer Gewalt ausgesetzt sind und häufiger Opfer sexualisierter Gewalt werden. Auch Mordserien an Sexarbeiterinnen kommen vor, oft wie im englischen Ipswich 2006 medial sensationsheischend oder unter dem Label «Morde im Milieu» begleitet. Unwahrscheinlicher hingegen, dass es sich bei den Tätern wie im «Tatort» um traumatisierte Söhne handelt – oft begehen Freier die Femizide. Nicht selten sind auch Transpersonen Opfer.

Daneben gab es noch ein paar Klischees, die allerdings wohl auf sozialen Realitäten basieren: Crack gibt es dort, wo Graffiti hingeschmiert ist; Sex kann man in den ärmlichen Vierteln kaufen; Prostituierte leben mit alten Tapeten, staubigen Gardinen und engen Küchen. Trotz allem: Man muss dem «Tatort» zugutehalten, dass er ohne Rotlicht-Romantisierung auskam und – weil auf sexuelle Gewalt verzichtet wurde – auch ohne die übliche Prise Voyeurismus.

Wie waren die Ermittler drauf?

Moritz Eisner alias Harald Krassnitzer beging mit seinem 50. Fall ein kleines Jubiläum, wurde aber (schöner Running Gag) mehrfach für einen Sozialarbeiter gehalten. Passend: Zudem musste er sich in erster Linie um die dauermüde Kollegin kümmern. «Ich schlafe erst wieder, wenn wir das Kind gefunden haben», sagte die an schweren Schlafstörungen leidende Bibi Fellner – was auch die neue Kriminalassistentin Meret Schande (Christina Scherrer) zu spüren bekam.

Schöner als von Neuhauser wurde ein vor Müdigkeit hochreizbarer Mensch wohl selten gespielt, während die Einschlaftipps der Kollegen (Meeresrauschen-CD, zwei Seiten lesen) das ernste Thema bisweilen entschärften (schöner Running Gag Nummer zwei). «Ich halt diese Welt einfach nicht aus», drückte es Ermittlerin Fellner an einer Stelle aus. Verständlich, dass das Schlafen dann schwerfiel.