Mit der Qualifikation für die EM 2024 in Deutschland wirft die Nationalmannschaft eine Last ab. Fällt damit auch all das ab, was das Team in dieser Qualifikation so gelähmt hat?
Ein bisschen Freude, eine grosse Portion Erleichterung, zugleich Verärgerung darüber, dass man schon wieder einen Vorsprung nicht über die Zeit gebracht, man schon wieder gegen einen klar unterlegenen Gegner den späten Ausgleich zugelassen hat: Es war ein eigenartiger Mix aus Gefühlen, den die Spieler nach dem 1:1 gegen Kosovo in Basel verspürten.
Er sei «sehr, sehr glücklich», habe es geklappt, meinte Remo Freuler im Nachgang an das Remis im St.-Jakob-Park. Auch er, der nach einer Viertelstunde freistehend aus fünf Metern die grosse Chance zur frühen Führung vergeben hatte, räumte wie Granit Xhaka und Nico Elvedi ein, dass nach den unglücklich verlaufenen Auftritten der letzten Monate der Wurm drinsteckt im Team, sich mit den späten Gegentoren ein Muster eingschlichen hat.
Zum fünften Mal in den letzten sechs Spielen gaben die Schweizer eine Führung aus der Hand. Auf die Frage, ob die Mannschaft das Siegen verlernt habe, antwortete Pierluigi Tami, der Direktor der Nationalmannschaft: «Ich hoffe nicht. Aber im Moment ist das so. Wir kreieren viele Torchancen. Aber es fehlt der Killerinstinkt, die Entschlossenheit auf den dreissig Metern.»
Zu gut, zu verunsichert
Tatsächlich stand das Spiel gegen Kosovo sinnbildlich für die Schweizer Auftritte in den letzten Monaten. Aus den zwar dominanten, aber aufgrund des Chancenwuchers und der Flut an späten Gegentoren nicht gewonnenen Spielen lässt sich der Ist-Zustand des Nationalteams gut ablesen. Die Mannschaft ist zu gut, um gegen Gegner vom Format Kosovos und Israels zu verlieren. Aber ausreichend verunsichert und destabilisiert, um nicht zu gewinnen, selbst wenn sie mit einer Führung in die Schlussphase geht.
Oder gehört dieses Bild nach der Qualifikation nun der Vergangenheit an? Die Spieler hoffen es. «Vielleicht ist jetzt der Druck komplett weg. Vielleicht haben wir das gebraucht und spielen jetzt befreit», meinte Xhaka, während Freuler davon sprach, dass man mit der Qualifikation eine Last abwerfe.
Um mit einem besseren Gefühl in die längere Nationalmannschaftspause zu gehen, ist die letzte Partie gegen Rumänien am Dienstag in Bukarest wichtig. Vor allem aber steht sportlich und personell noch einiges auf dem Spiel. Im Hinblick auf die Auslosung der EM-Gruppen ist von Topf 2 bis Topf 4 noch alles möglich – ein nicht zu unterschätzender Unterschied. Zudem geht es um die Zukunft von Murat Yakin als Nationalcoach.
Harte Fakten, weiche Faktoren
Trotz automatischer Verlängerung von Yakins Vertrag bis nach der EM-Endrunde im kommenden Sommer steht angesichts der jüngsten Probleme weiter die Frage im Raum, ob der Trainer noch der richtige ist. «Noch», weil Yakin zu Beginn mit seiner Ruhe und Gelassenheit zweifelsohne der richtige war, sich zuletzt aber Risse aufgetan haben, die das Gesamtbild arg trüben.
Tami hatte zu Beginn des jetzigen letzten Zusammenzugs des Jahres angekündigt, dass im Dezember eine vertiefte Analyse erfolgen wird, bei der auch die Zukunft von Murat Yakin geklärt werden soll. Stand jetzt sprächen die erfüllten Ziele – WM-Qualifikation, Erreichen des WM-Achtelfinals, Qualifikation für die EM 2024 – für Yakin. Doch das Wie habe die Entscheidungsträger zuletzt auch besorgt, so Tami. Souveränität und Leichtigkeit gingen verloren, viele Siege wurden verschenkt, es hagelte Gegentore in den Schlussphasen.
Nicht zuletzt gibt es Dissonanzen zwischen dem Trainer Yakin und dem Captain Xhaka, den beiden Schlüsselfiguren des Teams. Dissonanzen, die sich am Samstag eher erhärtet haben, als dass sie ausgeräumt wurden. Zwar bemühte sich Xhaka nach dem Match, keine Trainerdiskussion zu entfachen. Unterschiedliche Ansichten gibt es aber allemal. Auf die Frage, ob ihm die Position, auf der er bei Bayer Leverkusen spielt, besser liege als die aktuelle im Nationalteam, antworte Xhaka: «Statistiken haben noch nie gelogen – auch heute nicht.»