Nationalmannschaft Das Schweizer Nationalteam hat die Solidität verloren

sda

22.11.2023 - 11:31

Murat Yakin blickt einer unsicheren Zukunft entgegen
Murat Yakin blickt einer unsicheren Zukunft entgegen
Keystone

Nach der statistisch zweitschlechtesten Qualifikation in den letzten 20 Jahren ist die Zukunft von Trainer Murat Yakin offener denn je. Die SFV-Exponenten stehen vor einem schwierigen Entscheid.

Keystone-SDA, sda

Es hätte die Befreiung werden sollen. Nach der erknorzten Qualifikation für die Endrunde in Deutschland wollte das Schweizer Nationalteam zum Abschluss in Bukarest ohne Druck zeigen, was in ihm steckt. Bei gesonderter Betrachtung der Partie kämen wohl viele zum Schluss, dass die 0:1-Niederlage unglücklich war. Die Rumänen nutzten ihre Chance kaltblütig, den Schweizern fehlte das Abschlussglück.

Eingeordnet in die gesamte Kampagne sieht das Fazit jedoch anders aus. Dass die Schweizer aus vielen Chancen wenig herausholen und umgekehrt selbst gegen bescheidene Gegner nicht imstande sind, die Null zu halten, ist längst zum Muster geworden. Dass man «ja eigentlich dominanten und offensiven Fussball» zeige, wie es Yakin seit Wochen hervorhebt, mag stimmen. Gemäss UEFA-Statistik wies die Schweiz in der EM-Qualifikation nach Spanien den höchsten Ballbesitz-Anteil auf. Dies hilft jedoch wenig, wenn die Resultate eine andere Sprache sprechen.

Fakt ist, dass die Schweiz seit Ende März nur noch Andorra besiegen konnte. Daneben gab es fünf Unentschieden, darunter zweimal gegen Kosovo und einmal gegen Belarus, und schliesslich die Niederlage zum Schluss. Damit hat sich das Team von Yakin den unrühmlichen Titel «worst nation that qualified» geholt, die «schlechteste qualifizierte Nation». Die durchschnittlich erspielten 1,7 Punkte kommen dem zweittiefsten Wert aller Qualifikationen der letzten 20 Jahre (EM und WM) gleich. Und dies in einer Gruppe, in der die Schweiz als klarer Favorit galt.

Tamis bittere Feststellung

«Wir müssen feststellen, dass wir dieser Rolle nicht gewachsen sind», sagte Pierluigi Tami, der Direktor der Nationalmannschaft, zur Favoritenstellung. Die Erwartungen und das tatsächlich Gezeigte divergieren seit dem 19. Juni stark. Es war der Tag, als die Schweiz in Luzern gegen Rumänien (2:2) den vierten Sieg im vierten Qualifikationsspiel aufgrund zweier Unachtsamkeiten in den Schlussminuten verpasste. «Diese Sicherheit und Entschlossenheit aus den ersten vier Spielen haben wir seither nicht mehr gesehen», hielt Tami fest.

Welche Schlüsse werden daraus gezogen? Diese Frage wiegelte Tami ab. Im Fussball könne es schnell gehen, sagte er und verwies auf all die Erfolge, die unter Yakin gefeiert wurden. Unter ihm qualifizierte sich die Schweiz vor Italien für die WM, hielt sich in einer starken Nations-League-Gruppe auch dank den Siegen gegen Spanien und Portugal in der höchsten Liga und erreichte in Katar die K.o.-Phase. Und auch in diesem Jahr wurde das Hauptziel mit der Qualifikation für die EM 2024 erreicht. Dies gelte es in die Analyse einzubeziehen.

Auf der anderen Seite stehen die schwache Punkteausbeute und die teils fahrigen Auftritte in den letzten Monaten. «Wir sind nicht mehr solide», sagte Tami auch. Eine Feststellung, die in die Magengrube trifft. Denn was, wenn nicht ein gutes Fundament, ist die Voraussetzung dafür, Erfolge feiern zu können? Daher vermied es der Direktor auch, dem Trainer eine Job-Garantie zu geben. «Ich möchte von Murat wissen, was zum Schluss dieser Qualifikation schiefgelaufen ist, wo er Lösungsansätze sieht, bevor wir Entscheide treffen», so Tami.

Xhakas unerwarteter Rückhalt

Aus eigenen Stücken dürfte Yakin kaum zurücktreten. Er freue sich, wenn es im März mit der Vorbereitung auf das grosse Turnier losgehe, sagte der 49-Jährige. Und auch bei den Spielern ist ein Rückhalt für den Trainer spürbar. Selbst Captain Granit Xhaka, dem wegen seinen bis dahin zurückhaltenden Aussagen zu diesem Thema ein schwieriges Verhältnis mit Yakin zugeschrieben wurde, stellte sich in Bukarest hinter den Coach. «Das Verhältnis zwischen Trainer und Mannschaft ist sehr gut», sagte Xhaka. «Wir wollen weiter mit ihm arbeiten.»

Weil sich das Gesagte jedoch nicht oder zumindest nicht genügend mit den Leistungen auf dem Platz deckt, gibt es trotzdem Gründe, Yakins Zukunft im Nationalteam infrage zu stellen. Die angekündigte Analyse, in der auch seine Weiterbeschäftigung besprochen wird, ist für «Mitte Dezember» vorgesehen; ein genaues Datum steht noch nicht fest. Yakin wird aber aller Voraussicht nach an der Auslosung der EM-Gruppen am 2. Dezember in Hamburg teilnehmen.

Blancs verfrühte Zusicherung

Doch eigentlich hat sich der Schweizerische Fussballverband in der Frage, ob Yakin der Richtige ist, um eine erfolgreiche EM zu bestreiten, bereits deutlich eingeschränkt. Präsident Dominique Blanc hatte kürzlich in einem Interview festgehalten, dass man mit Yakin an die EM reisen werde. Dieses Versprechen soll er auch dem Trainer persönlich gegeben haben. Jedenfalls bestätigte Yakin an der Pressekonferenz nach dem Auswärtsspiel gegen Rumänien, die Zusicherung von Blanc erhalten zu haben.

Der Verbandspräsident müsste also einen historischen Rückzieher machen, wenn man in den ominösen «Dezember-Gesprächen» zu einem anderen Schluss käme. Es wäre die erste Trainer-Entlassung im Nationalteam der Männer seit jener von Rolf Fringer 1997, die erste überhaupt nach einer erreichten Qualifikation für eine Endrunde. Verliert Yakin den Job, verliert Blanc das Gesicht.