Am 28. und 29. Juli gilt es für die Mountainbiker an den Olympischen Spielen in Paris ernst. Die Antworten auf die drängendsten Fragen.
Wer tritt für die Schweiz an?
Im Gegensatz zu den erfolgreichen letzten Olympischen Spielen stehen der Schweiz auch als führende Nation nur je zwei Startplätze pro Geschlecht zur Verfügung. Den Zuschlag erhielten Nino Schurter und Mathias Flückiger sowie Alessandra Keller und Jolanda Neff. Für Keller ist es die olympische Premiere. Schurter tritt zum fünften Mal an, Neff zum dritten Mal und Flückiger zum zweiten Mal.
Wie stehen die Chancen der Schweizer?
Nino Schurter: Einen kompletten Medaillensatz hat der Bündner Rekordmann bereits. 2008 gewann er in Peking Bronze, 2012 in London Silber, 2016 in Rio de Janeiro Gold. Hinzu kommt ein 4. Platz vor drei Jahren in Tokio.
Kann der 38-Jährige den Trend in Paris noch einmal umkehren? Chancenlos ist er im Kampf um die Medaillen keineswegs. Schurter ist in auch in dieser Saison der konstanteste Schweizer, im Gesamtweltcup lag er bis zu seinem Startverzicht Anfang Juli in Les Gets in Führung, Mitte Juni errang er in Val di Sole seinen 36. Weltcupsieg. «Das Ziel ist ganz klar eine Medaille, und wenn ich keine holen würde, wäre das auch ein wenig eine Enttäuschung», sagt er.
Mathias Flückiger: Die Selektion des 35-jährigen Routiniers aus dem Oberaargau anstelle des talentierten Tessiners Filippo Colombo sorgte Ende Mai für Diskussionen. Bis dahin verzeichnete der wegen Verfahrensfehlern vom Dopingvorwurf freigesprochene Olympiazweite von 2021 eine durchwachsene Saison. Zweimal war er krank, nur einmal, kurz vor der Selektion, schaffte er es in Nove Mesto im Weltcup in die Top 6.
Die Zweifel sind inzwischen ausgeräumt. Denn zuletzt fuhr Flückiger zweimal als Zweiter auf das Podest und war deutlich schneller als Colombo. Er sei ein Spezialist darin, am Tag X abzuliefern, sagen Swiss Cycling und er selbst. In der guten aktuellen Form gehören sowohl Schurter als auch Flückiger in Paris zu den Medaillenkandidaten, wenn auch nicht als Topfavoriten.
Alessandra Keller: 2021 hatte die 28-jährige Nidwaldnerin bei der Olympia-Selektion gegen Neff, Sina Frei und Linda Indergand das Nachsehen und sah aus der Ferne, wie das Schweizer Terzett in Tokio einen historischen Dreifachsieg feierte. 2024 ist Keller der alleinige grosse Trumpf bei den Frauen.
Keller geht am 28. Juli als Führende im Gesamtweltcup in ihr erstes Olympiarennen. Zwar fehlt ihr in dieser Weltcup-Saison noch ein Sieg im olympischen Cross-Country, sie mischte aber verlässlich vorne mit und klassierte sich in drei der sechs Rennen auf dem Podest. «Ich habe eine konstante Saison und weiss, was ich kann. Aber deshalb mache ich mir keinen Druck», sagt sie.
Jolanda Neff: Hinter dem Start der Olympiasiegerin von 2021, oder zumindest hinter der Form, um vorne mitzumischen, steht noch ein Fragezeichen. Grund dafür sind die Atemprobleme, die Neff zuletzt stark einschränkten. Anfang Juni erhielt die 31-jährige St. Gallerin die Diagnose «EILO», eine anstrengungsbedingte Verengung des Kehlkopfes. Eine Atemtherapie soll Besserung bringen, die letzten drei Weltcuprennen hat sie aber ausgelassen.
Wer sind die stärksten Gegner?
Mit dem Niederländer Mathieu van der Poel verzichtet einer der zwei aussergewöhnlichen Rad-Allrounder der Gegenwart auf das Olympiarennen der Mountainbiker. Der andere, der Brite Thomas Pidcock, wird der ganz grosse Favorit sein. In Tokio triumphierte er vor drei Jahren bereits als 21-Jähriger, in dieser Saison trat er zweimal im Weltcup an und siegte überlegen.
Hinter Pidcock, der am Samstag wegen einer Corona-Erkrankung aus der Tour de France ausgestiegen ist, präsentiert sich die Ausgangslage offen wie lange nicht mehr. Zum Kreis der Medaillenanwärter gehören neben Schurter und Flückiger zahlreiche weitere Athleten, darunter die Franzosen um den zuletzt gesundheitlich geschwächten Victor Koretzky, der südafrikanische Gesamtweltcup-Leader Alan Hatherly und der Italiener Luca Braidot.
Bei den Frauen sind die Französin Pauline Ferrand-Prévot und die Niederländerin Puck Pieterse die Favoritinnen. Die 32-jährige Ferrand-Prévot trat in dieser Saison nur zweimal im Weltcup an und siegte beide Male. Die zehn Jahre jüngere Pieterse gewann letzte Saison den Gesamtweltcup und war zuletzt die Stärkste im Weltcup. Auch Ferrand-Prévots Landsfrau Loana Lecomte bringt alles mit für einen Olympiasieg im eigenen Land. Zudem müssen sich Keller und Neff im Kampf um die Medaillen gegen die Schwedin Jenny Rissveds sowie die Amerikanerinnen Haley Batten und Savilia Blunk behaupten.
Was erwartet die Athleten auf der Olympia-Strecke?
Die Rede ist vom schnellsten Mountainbike-Rennen überhaupt. Viel loses Kies sorgt für erhöhtes Sturzrisiko und vermittelt das Gefühl, man fahre auf Kugeln. Auch die Hitze könnte zum Faktor werden.
Beat Müller, der Nationaltrainer der Schweizer Männer, sagt: «Bislang war das Olympiarennen von Rio de Janeiro das schnellste Rennen. Paris wird noch einmal deutlich schneller.» Der Frauen-Nationalcoach Edi Telser verweist ebenfalls auf das hohe Tempo sowie die «kurzen, physisch anspruchsvollen Anstiege». Nino Schurter meint: «Du musst extrem vorsichtig fahren, teilweise ist es wie auf Eiern.»