Der Golfsport erlebt hierzulande gute Zeiten. «Falsch», korrigiert Marc Chatelain, Leistungssportchef des Verbandes. «Es ist die beste Zeit des Golfsports in der Schweiz in der Geschichte.»
Am Omega European Masters wurde zumindest zu Beginn des Turniers der Trend bestätigt. Mit dem Amateur Nicola Gerhardsen (22) und dem Baselbieter Cedric Gugler (24) halten sich zwei aufstrebende Schweizer zumindest am Anfang unter den ersten zehn. Gerhardsen wechselt nächste Woche zu den Profis. Gugler errang in dieser Saison drei Turniersiege und schaffte den Aufstieg auf die zweithöchste Stufe (Challenger Tour).
Fähige Schweizer Golfer gibt es plötzlich viele. Die Thurgauer Joel Girrbach (30) und Benjamin Rusch (34) bestreiten in dieser Saison die grosse europäische Tour, und zumindest Girrbach befindet sich auf gutem Weg, die Tourkarte auch für nächste Saison zu lösen. Der Bündner Jeremy Freiburghaus spielte im letzten Jahr auf der DP World Tour, wie die ehemalige European PGA Tour mittlerweile heisst.
19 Jahre
Zuvor schaffte es 19 Jahre lang kein Schweizer auf die grosse Tour. Der Zürcher André Bossert (60) und der Tessiner Paolo Quirici (56) hielten sich in den Neunzigerjahren als einzige Schweizer über mehrere Jahre auf der Tour.
Vor dem Aufschwung der letzten Jahre galt die Schweiz im Golf – Kleinstaaten wie Luxemburg oder Liechtenstein nicht eingerechnet – als die mit Abstand schwächste westeuropäische Nation bei den Männern. Wie gelang der Turnaround? «Wir haben den Sportbereich umgekrempelt. Wir sind mit den Förderungs-Stützpunkten in die Regionen gezogen. Wir investieren mehr und geben uns Mühe, professionell zu sein», sagt Marc Chatelain. Die Schweizer Frauen beschleunigten mit ihren Olympiateilnahmen von 2016 und 2021 den Aufschwung. «Die Frauen sind vorangegangen. Die Männer folgen jetzt», so Chatelain.
Der Aufschwung ist gerade in Crans-Montana gut zu beobachten. Heuer kommen so viele Leute wie noch nie ins Wallis, und schon in den letzten Jahren waren es 50'000 an vier Tagen.
Euphorie verfrüht
Noch aber ist es zu früh für Euphorie. Die Aufstiege und Fortschritte müssen bestätigt werden. Die hauptsächliche Schwierigkeit in der ersten Saison nach dem Aufstieg ist der Niveau-Unterschied. Mit einer Leistung, die ihm auf der Challenge Tour den 10. Platz einbringt, scheidet ein Spieler auf der grossen Tour nach zwei Runden aus. Ein Spieler scheitert zwangsläufig, wenn er sich diesen neuen Gegebenheiten nicht anpassen kann.
Für Benjamin Rusch sieht es nicht gut aus, die Tourkarte für nächste Saison wieder zu ergattern. Jeremy Freiburghaus verlor sie 2023 auch gleich wieder. Noch sind die Männer nicht so weit wie die Genferin Albane Valenzuela und die Lausanner Schwestern Kim und Morgane Métraux – alle drei im besten Alter zwischen 26 und 28 Jahren und arrivierte Tour-Spielerinnen.
Zu wenig Plätze
Auch strukturell sind dem Verband Grenzen gesetzt. «Es gibt nur hundert Golfplätze in der Schweiz – und die sind gut ausgebucht», sagt Chatelain. «In der Schweiz verfügen wir lediglich über 6000 Junioren unter 18 Jahren, und von denen verfügt nicht die Hälfte über ein Handicap oder spielt ambitioniert. Andere Länder wie Schweden verfügen über zehnmal mehr Nachwuchs.»
Es wird nach Möglichkeiten gesucht, um den Sport für die Jungen attraktiver zu machen. Die finanziellen Hürden in Klubs fallen. Im Golfclub Crans-sur-Sierre wurde die Eintrittsgebühr für unter 35-Jährige von 8000 auf 2500 Franken gesenkt. Das führte zu vielen Wiedereintritten. «Wir stellen in den letzten Jahren eine deutliche Veränderung fest. Der Sport ist nicht mehr nur denjenigen vorbehalten, die Zeit oder Geld haben», sagt Thomas Grech, Leiter des Golfclubs Verbier.
Wer weiss: Vielleicht gewinnt in nächster Zeit tatsächlich wieder ein Schweizer auf dem Circuit ein Turnier wie André Bossert im April 1995 in Cannes. Das Potenzial dazu haben Nicola Gerhardsen, Cedric Gugler, Joel Girrbach oder wie sie alle heissen.