Wieder gewonnen, wieder weiter: Das Nationalteam liefert erneut im entscheidenden Moment ab. Doch Granit Xhaka fällt in alte Muster und kann sich Sticheleien gegen Serbien nicht verkneifen.
Was für ein wilder Ritt! Zweimal tritt die Schweiz an der WM in Katar zu Beginn im Stile eines minimalistischen Beamten auf. Im entscheidenden dritten Spiel legt sie jegliche Zurückhaltung ab und zieht mit einem 3:2 gegen Serbien zum dritten Mal in Folge in die WM-Achtelfinals ein.
Schon nach 20 Sekunden kommen die Schweizer zu einer Dreifachchance. Danach haben zweimal die Serben die Führung auf dem Fuss, sie scheitern aber mitunter am Pfosten. Nach 20 Minuten erzielt Xherdan Shaqiri das 1:0. Danach offerieren die Schweizer dem Gegner die Wende auf dem Silbertablett. Am Ursprung des 1:1 verliert Remo Freuler den Ball an der Mittellinie mit einem misslungenen Dribbling, das 1:2 leitet Shaqiri mit einem fehlgeschlagenen Rückpass ein.
Nerven und Drama
Es passt zum Selbstbewusstsein der Mannschaft, dass die Schweizer am Druck des drohenden Scheiterns nicht zerbrechen. Vor der Pause gleicht Breel Embolo aus, zu Beginn der zweiten Halbzeit macht Freuler seinen Fehler mit dem 3:2 vergessen. Beide Tore entstehen nach sehenswerten schnellen Kombinationen.
Es passt auch zur Nationalmannschaft, dass sie trotz Chancen keinen vierten Treffer erzielt und damit die Nerven der Fans beruhigt. Das 4:2 hätte sogar zum Gruppensieg verholfen, weil sich im Parallelspiel das bereits qualifizierte Brasilien nicht sonderlich anstrengt und gegen Kamerun 0:1 verliert. Andererseits hätten Kamerun und Brasilien bei einem torreicheren knappen Sieg Kameruns am Ende beide vor der Schweiz stehen können. Ein bisschen Drama muss eben sein, auch das gehört zum Nationalteam.
Xhakas Gesten
Auch ein Nebenschauplatz tut sich wieder auf. Weil es Granit Xhaka nicht ganz gelingt, die Emotionen zu kontrollieren. Für ihn und Xherdan Shaqiri, zwei der kosovarisch-stämmigen Schweizer im Nationalteam, ist das Spiel gegen Serbien wie erwartet eine hochemotionale Angelegenheit. Es passiert vor dem Hintergrund der Geschehnisse an der WM 2018 – der Doppeladler-Affäre in Kaliningrad -, des traumatischen Krieges zwischen Serbien und Kosovo und Serbiens hartnäckiger Weigerung, Kosovo als unabhängigen Staat anzuerkennen.
Der alte Granit stecke noch in ihm drin, aber er sei mit dem Alter etwas ruhiger geworden, hat Xhaka im Vorfeld gesagt. Lange scheint es, als hätte der im bisherigen Turnierverlauf so ungewohnt ruhige Schweizer Captain sein Temperament im Griff.
Heikle Angelegenheit
Xhaka war extrem fokussiert, Fragen zum Match gegen Serbien liess er nicht an sich heran. Aber im Spiel tritt der alte Granit wieder aus der Deckung. Nach einer Schwalbe von Aleksandar Mitrovic legt sich Xhaka mit der serbischen Bank an und fasst sich den Schritt. Lippenleser erkennen ein paar wüste Verwünschungen. Und nach dem Match feiert Xhaka im Trikot seines jungen Teamkollegen Ardon Jashari, der zufälligerweise den gleichen Nachnamen trägt wie Adem Jashari, ein bekannter kosovarischer Freiheitskämpfer.
Vorerst kommt Xhaka mit einer Gelben Karte davon, die er sich bei einem Gemenge in der Nachspielzeit einhandelt. Doch die FIFA könnte die Vorfälle noch unter die Lupe nehmen. Das Tragen von Jasharis Trikot wird sie ihm kaum als politische Botschaft nachweisen können, aber unter «Feldverweiswürdige Vergehen» gibt es einen Passus für «anstössige, beleidigende oder schmähende Äusserungen und/oder Gebärden». Affaire à suivre?