Nationalteam Die Schweizer schnuppern vorsichtig am Coup

sda

29.6.2024 - 04:31

Granit Xhaka, Ardon Jashari, Renato Steffen und Manuel Akanji auf dem Weg ins Abschlusstraining
Granit Xhaka, Ardon Jashari, Renato Steffen und Manuel Akanji auf dem Weg ins Abschlusstraining
Keystone

Was seit Wochen behutsam aufgebaut wurde, soll nun Früchte tragen: Nach einer ansprechenden und ruhigen Vorrunde steht die Schweiz im EM-Achtelfinal und trifft am Samstag auf das grosse Italien.

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Die Ausgangslage ist in gewisser Weise beängstigend ähnlich wie vor anderthalb Jahren an der WM in Katar. Damals fehlte der Schweiz im letzten Gruppenspiel ein Tor zum Gruppensieg. Da dies nicht gelang, traf das Team von Murat Yakin statt auf Südkorea auf Portugal. Der Achtelfinal wurde in Lusail ausgetragen, wo zwei Wochen später auch der Final stattfand. Silvan Widmer fehlte krankheitshalber.

Und nun: Im letzten Gruppenspiel verhinderte ein Gegentor in der 92. Minute den Gruppensieg der Schweiz. Somit heisst der Gegner im Achtelfinal nicht Dänemark, sondern Italien. Gespielt wird in Berlin – im Finalstadion. Silvan Widmer fehlt gesperrt.

Beängstigend sind die Parallelen aus Schweizer Sicht, weil der WM-Achtelfinal gegen Portugal bekanntlich im 1:6-Desaster endete. Und sowieso: Mit der einen Ausnahme vor drei Jahren gegen Frankreich endeten die Schweizer Hoffnungen in den letzten zehn Jahren stets in der ersten K.o.-Runde.

Trotzdem oder gerade deshalb spricht einiges dafür, dass es am Samstagabend im EM-Achtelfinal anders laufen wird. Das Nationalteam hat aus den Fehlern gelernt, Spieler und Trainer treten besonnener auf, die Stimmung ist eine andere. Rund um das altehrwürdige, etwas abgelegene Waldau-Stadion, wo die Schweizer seit bald drei Wochen trainieren, liegt etwas in der Luft.

Atmosphäre «viel angenehmer»

Oft sind es Nuancen, die den Unterschied ausmachen. So stand die Kampagne in Katar unter dem Stern, Geschichte schreiben zu wollen. Und das wollen die Schweizer natürlich immer noch, sonst hätten sie gar nicht erst anreisen müssen. Doch dieses Mal hat man darauf verzichtet, dies zum alles überstrahlenden Motto zu erheben. Stattdessen heisst es an diesem Turnier schlicht und einfach: Wir sind Schweiz.

Die Auftritte der Spieler sind ruhiger, weniger verbissen. Selbst Captain Granit Xhaka hat von Anfang an gesagt, dass er diesmal keine hohen Ziele ausgeben werde. In Leverkusen, wo er in der vergangenen Saison das Double feierte, sei er gut damit gefahren, von Spiel zu Spiel zu schauen. Er selbst habe sich «eine Challenge gesetzt», die er aber nicht mit der Öffentlichkeit teilen wolle.

Auf Pressekonferenzen geht es nicht mehr um politisch aufgeladene Duelle oder krankmachende Ventilatoren in Hotelzimmern. Vielmehr reden die Spieler darüber, wer in der Freizeit welche Spiele spielt. Die Atmosphäre sei «natürlich viel angenehmer» als noch in Katar, sagt Michel Aebischer. «Alle wissen, worum es geht. Alle sind fokussiert. Wenn die Medien nicht viel zu schreiben haben, ist das ein Kompliment für uns.»

Aufkommende Debatten werden meist im Keim erstickt. Die Frage nach der Nummer eins im Tor: längst geklärt. Die ausstehende Vertragsverlängerung des Trainers: auf die Zeit nach dem Turnier verschoben. Die Probleme mit dem Trainingsrasen in Stuttgart: etwas mühsam, aber letztlich kein Problem.

Ohne zusätzlichen Druck, aber selbstbewusst

Ähnlich souverän umging Yakin eine erneute Diskussion um den Rechtsverteidiger. Um Widmer ersetzen zu können, habe er ja Leonidas Stergiou aufgeboten, hielt er direkt nach dem letzten Gruppenspiel fest. Dass der 22-Jährige eigentlich gelernter Innenverteidiger ist und in der vergangenen Saison nur sechs Mal in der Startelf des VfB Stuttgart stand, scheint für den Nationaltrainer keine grosse Rolle zu spielen – oder dann versteckt er es gut und überrascht am Spieltag erneut mit einer speziellen Aufstellung.

Und schliesslich wiesen die Schweizer die Favoritenrolle gekonnt von sich. Dies, obwohl die Azzurri in der Gruppenphase keinen guten Eindruck hinterlassen haben und das Weiterkommen am Ende einem Treffer in der 98. Minute zu verdanken hatten. Aber Italien sei eben Italien, meinte Remo Freuler knapp. Und auch Aebischer verwies in aller Kürze darauf, der Gegner sei kein Geringerer als der aktuelle Europameister. Und nicht nur das: Er ist auch vierfacher Weltmeister (zuletzt 2006 in Deutschland) und gegen die Schweiz seit 31 Jahren ungeschlagen.

Indem die Spieler auf die grosse Geschichte des Gegners hinweisen, laden sich die Schweizer bewusst keinen zusätzlichen Druck auf, ohne dabei die eigenen Qualitäten zu vergessen. Denn auf die Frage, was im Achtelfinal für die Schweiz spreche, antwortete Aebischer: «Die Vorrunde, unser Teamgeist, wir verteidigen gut und sind ebenso gut am Ball.» Das sind nicht nur mehr, sondern auch bessere Gründe.