Mountainbike Jolanda Neff und die Parallelen zum Olympiasieg 2021

jos, sda

12.8.2023 - 04:31

Jolanda Neff gehört an der WM für einmal nicht zu den Topfavoritinnen. Dass das nichts heissen muss, wissen wir spätestens seit Neffs Olympiasieg vor zwei Jahren. Gewisse Parallelen liegen 2023 vor.

Keystone-SDA, jos, sda

Die Topfavoritin? Ist die Niederländerin Puck Pieterse, Gewinnerin von drei der vier Weltcuprennen der Saison. Die ersten Herausforderinnen? Sind die Französinnen Pauline Ferrand-Prévot und Loana Lecomte, die Österreicherinnen Laura Stigger und Mona Mitterwallner, Pieterses Landsfrau Anne Terpstra und Alessandra Keller. Und Jolanda Neff? Sie kommt in der Auflistung erst dahinter. Zumindest wenn die Einschätzung auf den nackten Zahlen beruht.

Nicht viel, ziemlich wenig sogar, deutet auf dem Papier darauf hin, dass Neff an der WM am Samstag im olympischen Cross-Country reüssieren wird. Die 30-jährige Ostschweizerin ist mit einem 6. Platz als Bestergebnis im laufenden Weltcup nach Schottland gereist. Zweimal klassierte sie sich in vier Weltcuprennen in den Top 10, Vierte wurde sie an der EM, Zweite an den Schweizer Meisterschaften.

Je näher die WM, desto besser die Form

Es ist ein bescheidender Leistungsausweis für eine Athletin ihres Renommees, die wie Nino Schurter die wichtigsten Titel im Mountainbike-Sport gewonnen hat. Doch der Schein trügt, denn dahinter steckt auch Kalkül: «Der Formaufbau ist klar auf die WM ausgerichtet», hatte Neff vor dem Saisonstart im Mai betont. Jemandem im Weltcup etwas zu beweisen, sei nicht ihr Ansporn.

Tatsächlich lässt sich aus den Resultaten eine Tendenz ablesen: Je näher die WM rückte, desto besser schnitt Neff in den Rennen ab. Beim 6. Platz vor einem Monat in Val di Sole legte sie nach einem Defekt von ausserhalb der Top 30 eine Aufholjagd im Stil einer Siegfahrerin hin.

Für die WM lässt diese Entwicklung hoffen, zumal es mehrere Parallelen zu 2021 gibt: Auch vor dem sensationellen Olympiasieg vor ihren Teamkolleginnen Sina Frei und Linda Indergand hatten die Saisonresultate nicht für Neff gesprochen. Vor dem Triumph in Tokio standen im Weltcup die Ränge 13, 8 und 4, ebenfalls in aufsteigender Reihenfolge. Wie in Tokio könnte der Regen im Glentress Forest zum Faktor werden. Wie vor Tokio blicken Neff und das Schweizer Nationalteam auf ein sehr gut verlaufenes gemeinsames Trainingslager (dieses Mal zwei Wochen in der Toscana), und wie 2021 hatten die Athletinnen mehrere weltcupfreie Wochen zur optimalen Vorbereitung auf den Saison-Höhepunkt.

Voraussetzungen besser als 2021

«Tatsächlich kam mir nach den letzten Weltcups in Leogang und Val di Sole immer wieder Tokio in den Sinn», sagt Neff. «Auch damals merkte ich im zweitletzten Rennen, dass ich wieder näher an der Spitze bin. Und wie damals erhielt ich im letzten Rennen mit der Aufholjagd die Bestätigung, dass ich wieder vorne mitfahren kann.» Auch die Vorbereitung sei sehr ähnlich verlaufen, und weil dieses Mal im Gegensatz zu Tokio (Milzriss sieben Monate vor den Spielen) keine Verletzung involviert ist und das Schweizer Team an der WM sieben Fahrerinnen umfasst gegenüber drei in Tokio, «sind die Voraussetzungen sogar noch besser», so Neff.

Kommt hinzu, dass der innere Stress, der in früheren Jahren verschiedentlich zur Unzeit das Immunsystem schwächte, mit den Erfolgen und der Erfahrung kleiner geworden ist. Weltmeisterin war sie schon, Olympiasiegerin ist sie auch. «Was noch kommt, ist gewissermassen Zugabe», sagte Neff unlängst. Genau diese Gelassenheit spielt ihr in die Karten. Nach wie vor verfolgt die dreifache Gesamtweltcupsiegerin das Ziel, wieder auf das Level der besten Jahre bis 2018 zu kommen. Der Erfolgshunger ist noch da, die bisweilen hindernde Anspannung nicht mehr in dem Ausmass.

Dass Neff an Weltmeisterschaften auch ohne Weltcupsiege ein Faktor ist, hat sie schon in aller Regelmässigkeit bewiesen: Seit dem WM-Titel 2017 klassierte sie sich nie schlechter als im 6. Rang. Zwei weitere Silbermedaillen kamen hinzu, die letzte im Vorjahr in Les Gets hinter Pauline Ferrand-Prévot.