Lamine Yamal schreibt am Dienstag in München Fussballgeschichte. Der 16-Jährige gibt sich danach aber bescheiden und will mit Spanien nach dem EM-Titel greifen.
Der Held des Abends lässt auf sich warten. In den Katakomben der Münchner Arena herrscht am späten Dienstagabend reger Durchgangsverkehr. Auf dem Parkplatz nebenan warten die Mannschaftsbusse des spanischen und des französischen Teams, und die allermeisten Protagonisten dieses EM-Halbfinals suchen den direkten Weg dorthin. Vorbei an Kameras und Mikrofonen, vorbei an den Rufen der Medienschaffenden, die mit ihren Versuchen, ein paar Wortfetzen eines Fussballers zu ergattern, meist kläglich scheitern.
An diesem schwülheissen Abend, der erst weit nach Mitternacht durch ein kurzes Gewitter abgekühlt wird, treten die Spieler der spanischen Nationalmannschaft deutlich lieber hinter das Rednerpult, das diesem eigentlich banalen Austausch über ein Fussballspiel immer eine leicht staatsmännische Note verleiht.
Spielen zum Gewinnen
Erster Redner für «La Roja» ist Dani Vivian. Der Verteidiger von Bilbao sagt: «Wir stehen da, wo wir schon zu Beginn dieses Turniers hinwollten.» Danach kommt Rodri, der Mittelfeldstratege von Manchester City, und meint: «Wir sind nicht hier, nur um einen Final zu spielen. Wir wollen ihn auch gewinnen.» Die Selbstverständlichkeit, mit der die Spanier nach dem verdienten 2:1-Erfolg gegen Frankreich den Titel ins Visier nehmen, ist ein Zeichen für das Selbstvertrauen, das im Team von Luis de la Fuente im Verlauf der sechs Partien in Deutschland gewachsen ist. «Wir spielen unseren Fussball», sagt Rodri. «Nicht, um jemandem zu gefallen, oder um jemanden von unseren Qualitäten zu überzeugen. Sondern um zu gewinnen.»
Es ist eine pragmatische Sichtweise, die in ihrer Nüchternheit nicht so recht passen will zu einem Abend, an dem Fussballhistorisches passierte. Nicht, weil Spanien zum sechsten Mal in einen EM-Final einzog und am Sonntag in Berlin die Chance auf den vierten Titel haben wird. Sondern aufgrund dessen, was sich in der 21. Minute ereignete, diesem «Geniestreich» von Lamine Yamal, wie ihn sein Trainer bezeichnete.
Der Appell des Trainers
Der am Samstag 17 Jahre alt werdende Offensivspieler des FC Barcelona ist nach seinem wunderbaren Schlenzer von der Strafraumgrenze aus der jüngste Torschütze der EM-Geschichte. «Er ist ein Phänomen», sagt Vivian, und Rodri meint: «Ich gratuliere ihm. Ich bin sehr stolz auf ihn und seine eindrucksvolle Leistung.»
Mit seinem ersten Einsatz an diesem Turnier war Yamal bereits zum jüngsten Spieler einer EM-Endrunde geworden. Die Lobeshymnen und Rekorde fliegen dem in einem Vorort von Barcelona aufgewachsenen Teenager nur so zu. Auch deshalb ist es Coach de la Fuente wichtig, an die Demut seines Jungstars zu appellieren. «Es ist wichtig, dass er auf dem Boden bleibt. Dann werden wir noch viel Freude an ihm haben.»
Es ist 0:22 Uhr, als der viel Gepriesene dann an das Rednerpult tritt. 105 Sekunden dauert der Auftritt, minutiös durchgetaktet von eifrigen Mitarbeitern des königlichen, spanischen Fussballverbandes. Bei seinem spitzbübischen Lachen funkelt die Zahnspange im Scheinwerferlicht. «Das Wichtigste ist, dass wir im Final stehen», sagt er. Und: «Ich bin sehr glücklich, dass ich der Mannschaft helfen konnte.» Es sind Sätze, wie sie ein mediengestählter Routinier nicht besser hätte diktieren können.