Alina Müller blickt im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA auf ihre erste Spielzeit als Profi zurück und gibt sich begeistert.
Wenig fehlte, und di 26-jährige Winterthurerin hätte mit Boston in der ersten Saison in der Professional Women's Hockey League (PWHL) triumphiert. Das entscheidende fünfte Finalspiel gegen Minnesota endete 0:3.
Alina Müller, Sie haben in den letzten Tagen eine emotionale Achterbahn erlebt. Im vierten Finalspiel schossen Sie in der Verlängerung das Siegestor und erzwangen damit ein entscheidendes fünftes Spiel. Dieses ging nun allerdings 0:3 verloren. Wie haben Sie diese Zeit erlebt?
«Für mich war es nicht unbedingt eine emotionale Achterbahn. Ich war im Playoff-Modus und komplett auf die Spiele fokussiert. Erst nach der letzten Partie kam alles hoch, ging es sozusagen von Hundert auf Null runter. Ich brauche nun schon etwas Zeit, um das Ganze setzen zu lassen. Zudem sehe ich ein paar Mitspielerinnen vielleicht nie mehr; ich weiss nicht, wer nächste Saison wieder dabei ist. Das macht es noch trauriger.»
Gemäss eigener Aussage habt Ihr im ersten Drittel der Finalissima Eure beste Leistung der Saison gezeigt. Ist deshalb die Niederlage umso bitterer?
«Auf die eine Seite schon. Aber die letzten zwei Drittel gehörten dann eher zu unseren schlechtesten. Wir hatten keine Kraft mehr. Wir waren ausgelaugt und liefen dem Puck hinterher. Mit dem Gegentor kippte das Momentum. Letztendlich waren sie besser. Von daher geht das Resultat in Ordnung.»
Das heisst, dass über alles gesehen das Positive überwiegt?
«Wir mussten Mitte Saison, als es nicht gut aussah, erkennen, dass uns im Vergleich mit anderen Teams ein paar Qualitäten fehlten. Wir schossen viel zu wenig Tore und schafften es in erster Linie wegen Aerin Frankel, unserer Torhüterin, in die Playoffs. Zudem lief am Ende der Qualifikation alles für uns. Deshalb war alles, was dazu kam, umso schöner. Wir holten definitiv das Optimum heraus. Ich bin mega stolz auf das Team.»
Sie haben die Saison bei den ZSC Lions begonnen. Der Niveauunterschied ist wohl wie Tag und Nacht.
«Der Unterschied ist schon sehr gross – umso mehr, weil in der Frauen-NHL Checks erlaubt sind. Das macht das Spiel noch viel schneller, der Kopf muss immer oben sein. Auch wenn du technisch noch so gut bist, heisst das nicht, dass du in dieser Liga eine erfolgreiche Spielerin bist.»
Fiel Ihnen die Umstellung leicht?
«Ja, ich gewöhnte mich rasch daran. Ich spielte drei Jahre bei den Elite Novizen (heute U17) in Kloten auf Topniveau mit Jungs, das half mir nun. Ich lernte dort, wie mich bei Checks zu verhalten. Allerdings war am Anfang nicht klar, was erlaubt ist und was nicht. Ein paar Spielerinnen wurden übermütig. Das führte zu gefährlichen Aktionen. Manchmal ist es ausgeartet. Dass die Gesundheit von Spielerinnen gefährdet wird, darf nicht passieren. Am Ende der Saison war es dann besser. Aber das ist sicher etwas, das die Liga noch anschauen muss. Die Schiedsrichterleistung war sehr oft ungenügend.»
Wie stufen Sie Ihre Leistungen ein?
«Ich bin nicht unzufrieden, aber es liegt definitiv noch mehr drin. Ich hätte gerne mehr Skorerpunkte (sie erzielte 7 Tore und 12 Assists in 32 Partien) beigetragen.»
Was fehlt Ihnen noch zu den absoluten Topspielerinnen?
«Der Killerinstinkt, den einige vor dem Tor haben. Ich bin eher jemand, der schön spielt, den Pass sucht. Manchmal wäre es besser, mehr ein 'Eigenbrötler» zu sein und zu versuchen, sich vor dem Tor durchzusetzen. Das war der Unterschied zu den Topskorern der Liga.»
Es war die erste Saison der PWHL. War es so, wie Sie sich das erhofft hatten, oder wurden die Erwartungen gar übertroffen?
«Meine Erwartungen wurden komplett übertroffen. Es ist unglaublich, was wir bewegen konnten, wie viele Leute aus allen Altersgruppen die Partien schauten. Es war ein grosser Traum von mir, in ausverkauften Stadien zu spielen.»
Kamen in den Playoffs noch mehr Zuschauer?
«Bei uns in Boston waren es während den Playoffs mehr, in der Regular Season kamen im Schnitt 4000 Zuschauer (die Kapazität beträgt 6500). Die kanadischen Teams (Montreal, Toronto, Ottawa) spielten praktisch jede Partie vor ausverkauftem Haus. Es war unglaublich, dort anzutreten. Das Problem in Boston ist, dass wir etwa fünfzig Autominuten ausserhalb der Stadt spielen. Das ist schade, sonst würden wir mehr Leute anlocken. Davon bin ich überzeugt.»
Wo sehen Sie bei der Liga nebst den Schiedsrichterleistungen noch das grösste Verbesserungspotenzial?
«Definitiv beim Reisen. Wir hatten keine Charterflüge, sondern reisten mit Linienflügen. Ein paar Reisen waren schlimm, da waren wir den ganzen Tag unterwegs bei einer Flugzeit von drei Stunden. Das ist alles andere als optimal für den Körper, wenn jeden dritten Tag ein Spiel stattfindet.»
Es war für Sie die erste Saison als Profi. Wie war das?
«Unglaublich cool. Ich genoss diesen Lifestyle sehr. Aufgrund der vielen Spiele wurde es mir keine Sekunde langweilig, ich hatte nie das Bedürfnis, mal etwas für den Kopf zu machen.»
Im April bestritten Sie auch noch die WM. In dieser verpassten die Schweizerinnen erstmals seit 2019 die Halbfinals. Ein Unfall oder ein Warnzeichen?
«Es war sicher kein Unfall, nein. Es wäre zwar möglich gewesen, den Viertelfinal zu gewinnen. Jedoch arbeiten auch die anderen Mannschaften gut. Wenn die Topteams alle Spielerinnen dabeihaben, ist es für uns schwierig, sie zu bezwingen. Wir müssen schauen, dass wir den Anschluss halten. Insgesamt schlugen wir uns allerdings sehr gut mit dem zur Verfügung gestandenen Team. Gegen die grossen Nationen hielten wir gut mit, was uns Selbstvertrauen gibt.»
Wie sieht Ihr Programm im Sommer aus?
«Ich werde nun das Ganze hier noch etwas verdauen. Wahrscheinlich am Ende der nächsten Woche kehre ich dann in die Schweiz zurück und werde etwas pausieren. Dann starte ich mit dem Sommertraining, das ich grösstenteils in Boston bestreiten werde.»
Ihr Vertrag mit Boston läuft noch zwei Saisons. Haben Sie sich schon Gedanken darüber hinaus gemacht?
«Nicht gross. Der Wunsch ist aber schon, so lange wie möglich hier zu spielen.»