Dänemark spielt an der letzten EM gross auf. Seither läuft es nicht mehr ganz so rund. Scheitern die Dänen in Deutschland erneut in der Vorrunde, dürfte es für Trainer Kasper Hjulmand eng werden.
Gerade einmal 17 Minuten dauert es, und das Stuttgarter Stadion ist nicht nur mit 54'000 mehrheitlich euphorisierten Fans gefüllt – sondern auch mit ganz viel Pathos und Emotionen.
Es ist der erste Spieltag des dänischen Nationalteams an dieser Europameisterschaft, und hätte ein Drehbuchautor aus Hollywood genau das skizziert, was in ebendieser 17. Minute des Spiels zwischen Dänemark und Slowenien passiert ist – er wäre wohl bezichtigt worden, auf der emotionalen Schiene zu dick auftragen zu wollen.
Doch Christian Eriksen ist in diesem Moment keine Filmfigur, sondern der dänische Captain, der nach einem Lauf in den Strafraum gekonnt mit dem Aussenrist die Führung für sein Team bewerkstelligt. Der 32-Jährige strahlt und jubelt ausgelassen, als er danach übers Feld rennt. Natürlich weiss er, was viele der Millionen Menschen, die dieses Spiel irgendwo auf der Welt verfolgen, in diesem Moment gerade denken: «Was für eine berührende Geschichte.»
Nicht, weil es das erste Tor für sein Heimatland an einer EM ist. Sondern weil bei der letzten Austragung dieses Turniers sein Leben beinahe von einer Sekunde auf die andere zu Ende gegangen wäre.
Eriksens Fokus
Natürlich wurde der Akteur von Manchester United im Vorfeld der EM immer wieder darauf angesprochen, was an diesem 12. Juni 2021 in Kopenhagen im Spiel gegen Finnland passierte. In einem Podcast des dänischen Rundfunks sprach er ausführlich über den Moment, als er wie ein Ziehen in der Wade gespürt habe, bevor er dann «plötzlich weg» war.
Sein Herzstillstand liess auch die Fussballwelt stillstehen, und obwohl doch einige Zweifel darüber äusserten, dass der Mittelfeldspieler wieder zurückkehren würde, ist er nun an der EM in Deutschland fester Bestandteil und Führungsspieler eines Teams, das nach dem Schockmoment an der letzten Europameisterschaft bis in die Halbfinals stürmte und sich dort England erst nach Verlängerung geschlagen geben musste.
«Zum Glück habe ich viele Spiele gespielt, seit das passiert ist», sagt Eriksen nach der Partie gegen die Slowenen. «Ich bin einfach glücklich, dass ich überhaupt spielen konnte.» Eriksen weiss um das emotionale Potenzial seiner Geschichte. Er ist aber bemüht, den Fokus auf das Sportliche und weg von sich zu richten.
Ein Resultat – zwei Sichtweisen
Nach zwei 1:1 haben die Dänen intakte Chancen, sich mit einem Sieg gegen Serbien am Dienstag in die Achtelfinals zu spielen. Trotz identischem Resultat wurden die beiden Unentschieden im Umfeld der Dänen ganz unterschiedlich wahrgenommen. Das Spiel gegen die Slowenen war aufgrund des kassierten Ausgleichs in der Schlussphase eine Enttäuschung, die Partie gegen die Engländer hingegen ein Erfolg.
«Gegen England haben wir gezeigt, was wir mit Leidenschaft und Feuer erreichen können», sagt Kasper Hjulmand. «Genau so wollen wir in jedes Spiel gehen.» Der 52-Jährige ist seit knapp vier Jahren Trainer des dänischen Teams. Nach dem Halbfinaleinzug bei der letzten EM wurde er zum Trainer des Jahres gewählt.
Kritik am Spielsystem
Dieser Tage muss Hjulmand aber wieder einmal konstatieren, dass im schnelllebigen Fussballgeschäft vergangene Erfolge rasch verbleichen können. Die kritischen Stimmen kamen schon auf, als Dänemark bei der WM in Katar 2022 in der Vorrunde ausschied. Als dann die Qualifikation zu dieser Europameisterschaft auch eher holprig verlaufen war, sah sich der Coach immer wieder Kritik ausgesetzt.
Sein Spielsystem, vorzugsweise ein 3-4-3, aber auch ein 4-3-3, wurde nicht mehr als perfekt passende Ausrichtung für diese Mannschaft angesehen. Vielmehr galt Hjulmand plötzlich als unflexibel. Und als in den letzten zwei Jahren augenscheinlich wurde, dass dem dänischen Team ein verlässlicher Skorer fehlt, musste Hjulmand noch eine Diskussion um die Stürmer moderieren, bei der er mit seinen Entscheiden phasenweise selbst den Eindruck erweckt hatte, noch nicht genau zu wissen, welche Spieler er in diesen Positionen aufstellen soll.
In den drei Spielen in Katar erhielt in jeder Partie ein anderer Akteur den Vorzug. Zu überzeugen vermochte keiner. Nun liegen die Hoffnungen auf Rasmus Höjlund. Der 21-Jährige debütierte im Herbst 2022 im Nationalteam, war dann aber in Doha nicht dabei. In 16 Einsätzen hat der Stürmer von Manchester United siebenmal getroffen. Zu viel Verantwortung wird Trainer Hjulmand seinem jungen Stürmer indes nicht aufbürden wollen, ohne zu riskieren, ihn zu stark unter Druck zu setzen.
Die Aussage des Sportdirektors
Apropos Druck: Kasper Hjulmands Vertrag beim dänischen Verband ist noch bis Sommer 2026 gültig. Es ist allerdings möglich, dass ihn die Verantwortlichen diesen nicht erfüllen lassen. Die Partie gegen Serbien sei «richtungsweisend und entscheidend», meinte Sportdirektor Peter Möller kürzlich. «Wenn wir ausscheiden, hätten wir zwei Turniere in Folge die Gruppenphase nicht überstanden.» Dass er diese Worte wählt und diesen möglichen Fakt hervorhebt, dürfte nicht als Vertrauensbeweis gegenüber dem Trainer gewertet werden, auch wenn er – wie üblich – betont, sich jetzt nur mit dem Turnier und nicht mit Zukunftsfragen zu beschäftigen.