Paralympics Nora Meisters Weg zur paralympischen Medaille

sda

6.9.2024 - 05:01

Nora Meister träumt in Paris von einer Medaille
Nora Meister träumt in Paris von einer Medaille
Keystone

Nora Meister erfüllt sich vor drei Jahren in Tokio mit der paralympischen Bronzemedaille einen Traum. In Paris will die 21-jährige Aargauerin über 400 m Crawl die Gefühle von damals wieder erleben.

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In der Nacht vom 2. auf den 3. September 2021 schläft Nora Meister wenig. Das Adrenalin pumpt noch zu stark, all die Emotionen, die sie an diesem Abend in Tokio erlebt hat, sie sind noch zu präsent, als dass die Aargauerin ein Auge zu bekommen könnte. Meister fragt ihre Zimmerkollegin Elena Kratter, ob es ihr genauso gehe. Auch die Schwyzerin liegt wach. Auch sie hat einen Abend voller Emotionen und Adrenalin hinter sich.

Nora Meister sitzt auf einer Bank bei einer Tramstation im Berner Breitenrainquartier, als sie diese Episode von «Sleepless in Tokio» erzählt. Es ist ein Freitagnachmittag Anfang August, und die 21-Jährige steckt mitten in den Vorbereitungen auf ihre zweiten paralympischen Spiele. Am Morgen war sie bereits für zwei Stunden im Wasser im Schwimmbad Weyermannshaus, nach dem Zwischenstopp an der Tramhaltestelle wird sie noch einmal ins Becken steigen.

Vorliebe für längere Distanzen

Insgesamt etwa zwölf Trainingseinheiten pro Woche absolviert Meister, neun davon im Wasser. «Ich trainiere gern, und ich weiss, dass es sehr wichtig ist für den Wettkampf», sagt sie. Und wichtig dafür, dass sie solche Momente erleben kann wie vor drei Jahren in Tokio. In der japanischen Hauptstadt erfüllte sich Meister da nämlich einen Traum, der sie begleitet hat, seit sie im Alter von acht Jahren mit dem Schwimmen begonnen hatte.

Sie gewann an den Paralympics die Bronzemedaille über 400 m Crawl. Es ist ihre Lieblingsdisziplin, in der sie ihre Stärken am besten ausspielen kann. Meister kann nämlich den Beinschlag nicht einsetzen und muss sich entsprechend auf ihre Armzüge verlassen. Beim Start und bei den Wenden büsst sie so gegenüber Konkurrentinnen, die ihre Beine zum Antrieb benutzen können, etwas Zeit ein. Deshalb schwimmt sie lieber längere Distanzen, auf denen sie diese Nachteile eher ausgleichen kann. «Ich war schon immer ein Ausdauermensch», sagt Meister, die nicht primär mit dem Gedanken mit dem Schwimmen begann, sich dann wettkampfmässig mit anderen zu messen, sondern, weil sie Freude daran hatte, sich im Wasser zu bewegen.

Mehrere Weltrekorde

Erst, als sie bei Schweizer Meisterschaften ihre erste Medaille einheimst, merkt Meister, dass sich Spass und Erfolg kombinieren lassen könnten. Und als sie 2018 als 15-Jährige in Dublin ihre ersten EM-Titel über 100 m Rücken und 400 m Crawl holt, ist sie endgültig auch auf der internationalen Bühne angekommen. Im darauffolgenden Jahr schwimmt sie in Berlin über 200 m Rücken erstmals Weltrekord. Auch über 400 m und 800 m Crawl gibt es in ihrer Kategorie S6 global zumindest phasenweise keine schnellere Schwimmerin als Nora Meister, wobei ihre Bestmarke über 400 m an den Paralympics in Tokio von der Chinesin Yuyan Jiang um rund acht Sekunden unterboten wurde.

Insgesamt hat die Lenzburgerin, die eine Woche nach den Paralympics ihr Studium zur Oberstufenlehrerin an der Pädagogischen Hochschule in Bern beginnen wird, bisher sieben EM-Titel und sechs WM-Medaillen gesammelt. Im April, an den letzten kontinentalen Meisterschaften im portugiesischen Funchal, gewinnt Meister die Crawl-Wettbewerbe über 50, 100 und 400 m. Zudem schwimmt sie über 100 m Rücken zu Silber.

Es sind Belege dafür, dass aus dem Mädchen, das im Schwimmclub Aarefisch in Suhr im Becken herumplanschte, eine schnelle Frau geworden ist, die sich in der Para-Schwimmszene einen Namen gemacht hat. «Es ist schon nicht so, dass alle überrascht waren, dass ich in Tokio Bronze gewonnen habe», sagt Meister. «Es ist eine stete Entwicklung.» Jedes Training, jeden Wettkampf, jede Medaille, sieht sie als einen wichtigen Schritt dafür, dass sie als Schwimmerin jetzt da ist, wo sie ist. An ihren zweiten Paralympics, in Paris.

Vorbild und Freundin

Auf Meisters Weg gibt es aber auch eine Person, die noch heute als Vorbild fungiert. Chantal Cavin nahm als blinde Schwimmerin dreimal an Paralympics teil. Die Bernerin ist mehrfache Weltmeisterin und kennt Meister, seit diese mit dem Schwimmen angefangen hat. Cavin erzählt, wie sich Meister als junges Mädchen wahrscheinlich gar nicht getraut habe, sie anzusprechen, als sich ihre Wege das erste Mal kreuzten.

Aber die 46-Jährige, die mittlerweile passionierte Läuferin ist, nimmt sich schon zu ihrer Aktivzeit immer Zeit für den Nachwuchs. Steht mit Rat zur Seite und gibt Tipps. Wenn Meister in Bern trainiert, übernachtet sie manchmal bei Cavin, und sie kochen zusammen Pasta. Das ist noch heute so, denn zwischen den beiden Frauen ist längst eine Freundschaft gewachsen, die weit über das Sportliche hinausgeht.

«Nora ist eine sehr gute Schwimmerin», sagt Cavin, welche die Schwimmwettkämpfe der Paralympics fürs Schweizer Fernsehen als Co-Kommentatorin begleitet. «Sie ist diszipliniert und weiss, welche Ziele sie hat.» Gefragt nach diesen, gibt sich Meister erst diplomatisch und spricht davon, am «Tag X» ihr Bestes abrufen zu wollen. Nach dem siebten Rang über 50 und dem neunten über 100 m Crawl, die sich Meister bisher in der La Défense Aréna im Pariser Norden erschwommen hat, ist aber auch klar, dass sie ins Rennen in ihrer Lieblingsdisziplin über 400 m Crawl am Freitag mit etwas höheren Ambitionen steigt. «Idealerweise», sagt Meister, «gewinne ich eine Medaille.» Die eine oder andere schlaflose Stunde würde sie dafür sicher in Kauf nehmen.