Fußball Ohne Lichtgestalt Lineker geht in Englands Fussball nichts

sda

13.3.2023 - 11:58

Die englische Fussball-Ikone Gary Lineker wird von der BBC wegen eines Tweets gegen die Ausländer-Politik seines Landes suspendiert und zurückgeholt. Denn die Kollegen stehen auf seiner Seite.

Keystone-SDA, sda

Gary Lineker dürfte sein Wochenende mehr genossen haben als die Chefs der BBC. Er hatte unverhofft frei und besuchte am Samstag in seiner Heimatstadt das Spiel seines ehemaligen Vereins Leicester gegen Chelsea. Leicester verlor zwar, doch Lineker wurde von den Fans mit Sprechchören und Plakaten gefeiert. Noch mehr dürfte den 62-Jährigen aber die Solidarität seiner Berufskollegen gefreut haben – und dass er bald zurückkehren darf.

Seit 1999 präsentiert Lineker im öffentlich-rechtlichen TV-Sender BBC am Samstagabend die Highlight-Sendung «Match of the Day» über die Spiele der Premier League – zusammen mit jeweils zwei oder drei prominenten Experten. Auch bei der WM in Katar stand der ehemalige Goalgetter von Barcelona und Tottenham im Einsatz – und kritisierte die Menschenrechtslage im Golfemirat deutlicher als die meisten anderen Kommentatoren.

Der heikle Nazi-Vergleich

Nun schoss er aber vielleicht übers Ziel hinaus. Nachdem die konservative Regierung letzte Woche einen Gesetzesentwurf vorgelegt hatte, mit dem diese illegalen Einwanderern das Recht absprechen will, einen Asylantrag zu stellen und sie stattdessen nach Afrika auszuschaffen, reagierte Lineker auf Twitter. «Um Himmels Willen, das ist jenseits von schrecklich», schrieb er. «Das ist einfach eine unermesslich grausame Politik gegen die verletzlichsten Menschen, in einer Sprache, die der des Deutschland der 30er-Jahre nicht unähnlich ist. Und da soll ich daneben sein?»

Linekers linksliberale Position war schon vorher bekannt, er hatte sich auch in der Vergangenheit zu tagesaktuellen Themen wie seiner Ablehnung des Brexits geäussert. Der Nazi-Vergleich brachte aber das Fass zum Überlaufen. Die BBC suspendierte ihren bestbezahlten Moderator, der jährlich rund 1,5 Mio. Pfund verdient – «bis wir uns auf eine klare Position in Sachen Social Media geeinigt haben», wie die BBC mitteilte.

Die Folgen für das Programm waren drastisch. Als erste erklärten Linekers Standard-Experten Alan Shearer und Ian Wright ihren Boykott der Sendung. Es folgten weitere Moderatoren und Experten, die als Ersatz in Frage gekommen wären, Kommentatoren und sogar Teams der Premier League, die ankündigten, unter diesen Voraussetzungen nicht mehr mit der BBC zusammenarbeiten zu wollen. Dieser war das in dem Moment vielleicht ganz recht, sie hätte mit Protest- und Solidaritätsbekundungen rechnen müssen. Die Fussball-Berichterstattung am Wochenende fiel deshalb nur sehr rudimentär aus – 20 Minuten statt der üblichen eineinhalb Stunden.

BBC krebst zurück

Die Diskussion um Lineker ist Teil einer grösseren Debatte. Die Rechte im Land will die Gebühren für die öffentlich-rechtliche Anstalt, die sie sowieso als linkslastig empfindet, abschaffen. Tim Davie, der Generaldirektor der BBC, und deren Vorstandsvorsitzender Richard Sharp, sind selber allerdings Vertraute der konservativen Tories. Da ist es naheliegend, dass sie das Heu mit Lineker, dem Sprössling von drei Generationen von Gemüsehändlern, nicht auf der gleichen Bühne haben.

Im englischen Fussball kam die vorläufige Absetzung der Ikone einem Erdbeben gleich. Die BBC musste einsehen, dass sie es sich kaum leisten kann, ihr Aushängeschild zu verlieren. Ein entscheidender Punkt ist, dass Lineker nicht beim Sender angestellt ist, sondern freiberuflich arbeitet. Am Montag wurde entschieden, dass er zurückkehren wird – und eine unabhängige Stelle die Regeln für den Gebrauch von Social Media untersuchen und gegebenenfalls anpassen soll. Damit kann auch Lineker leben – zumindest für den Moment. Er dankte Davie für dessen Verständnis. Er habe einen fast unmöglichen Job, alle Seiten zufrieden zu stellen.

Nach den Ereignissen des Wochenendes dürfte Linekers Position aber stärker denn je sein. Der Torschützenkönig der WM 1986 und ehemalige englische Rekordhalter steht wie kaum ein anderer für Redegewandtheit, Fachwissen, Charme und Integrität. Auf Twitter bedankte er sich für die Unterstützung, wollte aber auch die Relationen wahren. «Ein letzter Gedanke noch: Auch wenn die letzten Tage schwierig waren, es ist kein Vergleich dazu, wenn man seine Heimat wegen Verfolgung oder Krieg verlassen und in der Ferne Schutz suchen muss.»