Dringend gesucht: ein torgefährlicher Stürmer mit italienischem Pass. Nach einem erschreckend schwachen Auftritt gegen Spanien fürchtet der EM-Titelverteidiger das Ausscheiden.
«Piccola Italia» – kleines Italien – titelte die «Gazzetta dello Sport» nach dem Offenbarungseid gegen Spanien. 0:1 hatten die Italiener das zweite Gruppenspiel verloren, und das Resultat war äusserst schmeichelhaft. In Wahrheit war man in allen Belangen krass unterlegen. Einzig Goalie und Captain Gianluigi Donnarumma verhinderte mit einer Weltklasse-Leistung ein komplettes Debakel.
Die grösste Problemzone liegt aber im gegnerischen Strafraum. Fabio Capello hatte dies schon vor dem Turnierstart geahnt. «Bei den Mittelstürmern haben wir ein wenig eine Wüste», stellte der ehemalige Erfolgstrainer der AC Milan und von Real Madrid im Fachblatt «Corriere dello Sport» fest. «Und ich möchte daran erinnern, dass man Tore erzielen muss, um im Fussball zu gewinnen.» Genau daran hapert es aber bei den Italienern.
Vierzehn Stürmer, keiner erfolgreich
Seit Längerem fehlt es an verlässlichen Goalgettern wie einst Roberto Baggio, Alessandro Del Piero (beide 27 Tore für die «Nazionale») oder nur schon Mario Balotelli (14). Nicht weniger als vierzehn Stürmer hat Luciano Spalletti ausprobiert, seit er vor zehn Monaten das Amt des nach Saudi-Arabien gelockten Roberto Mancini übernommen hat. Fündig wurde er nicht. Mit zehn Treffern ist der Mittelfeldspieler Nicolo Barella, der auch den 2:1-Siegtreffer zum Auftakt gegen Albanien erzielte, der erfolgreichste Torschütze im aktuellen EM-Kader.
Der Vergleich mit Cristiano Ronaldo (130 Tore), Romelu Lukaku (85), Robert Lewandowski (82), Harry Kane (64), Olivier Giroud (57), Kylian Mbappé (47) oder auch Xherdan Shaqiri (32) ist frappant. In der Skorerliste der abgelaufenen Serie-A-Saison findet sich in den Top Ten kein einziger Italiener.
Wettsünder als Hoffnungsträger
Am Montagabend, wenn es in Leipzig gegen Kroatien mindestens ein Unentschieden braucht, um sicher in die Achtelfinals zu kommen, zeichnet sich deshalb ein weiterer Wechsel ab. Gianluca Scamacca, der beim Europa-League-Sieger Atalanta Bergamo überzeugt, steht in der Squadra Azzurra nach 18 Länderspielen bei einem mickrigen Törchen, gegen Spanien schoss er in 64 Minuten nicht einmal aufs Tor. An seiner Stelle soll der erst vor einem Jahr eingebürgerte Argentinier Mateo Retegui sein Glück versuchen.
Gegen Spanien war allerdings auch das Mittelfeld mit den pfeilschnellen Jungspunden Pedri, Nico Williams und Lamine Yamal heillos überfordert. Deshalb erwarten die meisten Beobachter, dass der 32-jährige, beim EM-Titel vor drei Jahren noch eminent wichtige Jorginho dem neun Jahre jüngeren Nicolo Fagioli Platz machen muss. Der vielseitig einsetzbare Mittelfeldspieler von Juventus Turin wäre wohl schon früher zum Thema geworden, wenn er nicht erst Mitte Mai von einer siebenmonatigen Sperre wegen Wettvergehen zurückgekehrt wäre.
Mit der Wut im Bauch
Die Herausforderung gegen überalterte Kroaten, die bisher auf der ganzen Linie enttäuscht haben und zwingend einen Sieg brauchen, ist aber sowieso eine ganz andere als gegen das dynamische Spanien. «Wir sind wütend, aber das sollten wir für die letzte Partie nutzen», macht Donnarumma Mut. «Wir haben unser Schicksal noch in der eigenen Hand.» Ausserdem lässt auch der Blick zurück hoffen.
Auch den überraschenden EM-Titel 2021 holte man ohne überragenden Goalgetter. Keiner schoss mehr als zwei Tore. Immer reicht es aber auch nicht, sich ganz auf Goalie Donnarumma zu verlassen, ab und zu ein Stürmergoal wäre von Vorteil.