Tadej Pogacar will mit dem Gewinn des Giro d'Italia und der Tour de France ein seltenes Double schaffen. Damit dies gelingt, hat er sich mit seinem Team UAE Emirates einen Masterplan zurechtgelegt.
Mit der Italien-Rundfahrt begann am Samstag die erste Grand Tour des Jahres und damit für Tadej Pogacar auch eine spezielle Mission. Der Slowene plant 2024 den Giro und die Tour de France zu gewinnen – etwas, was noch nicht viele Fahrer vor ihm geschafft haben.
Es ist zweifelsohne die grösste Herausforderung, der sich ein Rundfahrten-Spezialist stellen kann. Ein ultimativer Test für Ehrgeiz, Ausdauer und Kühnheit. Mit 25 Jahren fühlt sich Pogacar bereit, sich dieser Aufgabe zu stellen. Es ist das erste Mal überhaupt, dass er zwei grosse Landesrundfahrten in einer Saison bestreiten wird.
Seine Bilanz in Grand Tours liest sich beeindruckend. 2019 bestritt Pogacar in Spanien mit der Vuelta seine erste dreiwöchige Rundfahrt. Als Dritter des Gesamtklassements und dreifacher Etappensieger gelang ihm ein beeindruckendes Debüt. In den beiden Jahren darauf gewann er jeweils die Tour de France, ehe er 2022 und 2023 in der prestigeträchtigsten Rundfahrt (nur) von Jonas Vingegaard geschlagen wurde.
Nun also folgt seine Premiere am Giro, die mit der Eroberung der Maglia Rosa in der 2. Etappe am Sonntag für Pogacar vielversprechend angelaufen ist.
Illustres Septett schaffte das Double
Nur sieben Fahrern ist es bislang gelungen, den Giro und die Tour de France im selben Jahr zu gewinnen. Angeführt wird die illustre Liste von Eddy Merckx. Der Belgier, der mit elf Grand Tours mehr als jeder andere gewonnen hat, schaffte das Double drei Mal (1970, 1972 und 1974). Dem Italiener Fausto Coppi (1949 und 1952), dem Franzosen Bernard Hinault (1982 und 1985) und dem Spanier Miguel Indurain (1992 und 1993) gelang das Kunststück zwei Mal, dem Franzosen Jacques Anquetil (1964) und dem Iren Stephen Roche (1987) ein Mal.
Das bislang letzte Giro-Tour-Double liegt bereits 26 Jahre zurück. 1998 gewann Marco Pantani beide Rundfahrten. Wirklich nah dran an diesem Coup war danach niemand mehr.
Was also braucht Pogacar, damit sein Unterfangen nicht so endet wie die erfolglosen Versuche von Chris Froome, Vincenzo Nibali oder Alberto Contador? Schliesslich liegen zwischen dem Ende des Giros und dem Anfang der Tour de France nur fünf Wochen; das bringt Körper und Geist an den Rand ihrer Belastbarkeit.
Hunger, Frische, Glaube
Zusammen mit seinem Team UAE Emirates hat Pogacar dafür einen Masterplan entwickelt. «Wir mussten das Programm komplett überdenken und Opfer bringen», verrät Joxean Fernandez Matxin, Pogacars Sportdirektor bei UAE Emirates, gegenüber dem Newsportal «Velo». Die Strategie basiert auf Frische und Motivation.
Nach fünf Jahren mit einem weitgehend vertrauten Rennprogramm hat Pogacar im Hinblick auf 2024 grundlegende Änderungen in seiner Agenda vorgenommen. Die Anzahl Rennen wurde um mehr als 50 Prozent reduziert, dabei musste er auch harte Entscheidungen treffen.
So liess Pogacar die Pavé-Klassiker komplett aus und verzichtete damit auch auf die Chance, an der Flandern-Rundfahrt seinen Sieg aus dem Vorjahr zu wiederholen. Stattdessen legte er Trainingsblöcke an der Côte d’Azur und hoch oben in der Sierra Nevada ein, die es ihm ermöglichten, sich in einer perfekt abgestimmten Aufwärtskurve seiner Höchstform zu nähern.
«Tadej wollte eine neue Herausforderung, er wollte mental nicht das gleiche Programm, die gleichen Rennen und den gleichen Kalender fahren», begründet Matxin im Gespräch mit «Velo» die Umstellung. Dadurch habe er die Möglichkeit, anders zu trainieren und den Sommer anders anzugehen. Das sei gut für seine Motivation und um ihn auf diese Herausforderung vorzubereiten.
Schwer zu bremsen
Die Herausforderung für Pogacars Team bestand in den letzten Monaten darin, ihn «mental und in den Beinen frisch zu halten, um ihn hungrig zu halten und ihm mehr Zeit für das Training zu geben», wie Matxin erklärt. Das sei nicht immer einfach. «Wir mussten ihn fast zurückhalten.»
Pogacars Credo lautet: Viel trainieren, wenig Rennen fahren – und wenn, dann nur mit einem bestimmten Ziel: «Wenn Tadej in diesem Jahr Rennen fährt, dann fährt er, um zu gewinnen», so Matxin. «Er fährt keine Rennen, um zu trainieren.»
Bis jetzt könnte es für Pogacar nicht besser laufen. Acht Siege aus den ersten zwölf Renntagen lautet seine eindrückliche Bilanz 2024. Der aktuell beste Radprofi der Welt hat in diesem Frühjahr das Peloton zu seinem Spielball gemacht.
Angefangen beim Saisoneinstieg bei Strade Bianche, als er mit einem heroischen Solo über 81 Kilometer die Konkurrenz auf den Schotterstrassen der Toskana in Grund und Boden fuhr, gefolgt von den unwiderstehlichen Auftritten an der Katalonien-Rundfahrt über seinen neuerlichen Solo-Triumph bei Lüttich-Bastogne-Lüttich und letztlich am Sonntag die Eroberung der Maglia Rosa mit seinem ersten Etappensieg am Giro.
Eine Frage der Balance
Pogacars Attacken stiessen bislang auf wenig Gegenwehr und liessen die Konkurrenz oft staunend zurück. So zweifelt eigentlich niemand daran, dass der Slowene am 26. Mai in Rom als Gesamtsieger der 107. Italien-Rundfahrt einfahren wird, sollte er nicht von einer Krankheit oder einem Sturz ausgebremst werden.
Auch mit Blick auf die Ende Juni beginnende Frankreich-Rundfahrt will Pogacar eigene Wege beschreiten. Ein Vorbereitungsrennen, wie es die Konkurrenz plant, ist heuer nicht vorgesehen. Stattdessen wird er in einem Trainingslager in der Höhe versuchen, die optimale Balance zwischen Erholung und Training zu schaffen. Um die richtigen Reize zu setzen, helfen auch die unzähligen Daten, die sein Team in den letzten fünf Jahren gesammelt hat. Auch die Tatsache, dass Pogacar so schnell regeneriert wie wohl kein anderer, ist ein grosses Plus.
Das alles wird es brauchen, um das Rätsel um das seltene Double aus Giro und Tour zu lösen. Oder um es in den Worten seines Sportdirektors Matxin auszudrücken: «Wenn ein Fahrer dazu in der Lage ist, dann Tadej, mit diesem Programm.»