Der ehemalige Spitzen-Curler Ralph Stöckli ist heute Delegationsleiter bei Olympischen Spielen. Im Interview spricht er über die Entwicklung seines Sports und seine Erwartungen für Paris 2024.
In Schaffhausen findet aktuell die Curling-WM der Männer statt. Am Dienstag war auch Ralph Stöckli vor Ort. Der 47-Jährige, heute als Delegationsleiter von Swiss Olympic tätig, besuchte die Veranstaltung zusammen mit Markus Egger, Jan Hauser und Simon Strübin, mit denen er 2010 in Vancouver Olympia-Bronze gewann. Das Quartett trifft sich so einmal im Jahr.
Im Interview mit der Nachrichtenagentur Keystone-SDA spricht Stöckli unter anderem über die Entwicklung im Curling sowie die bevorstehenden Olympischen Spiele in Paris.
Ralph Stöckli, Sie sind mit Ihren Teamkollegen von Vancouver 2010 in Schaffhausen. Wie starken verfolgen Sie Curling noch?
«Sehr stark, ich bin nach wie vor ein grosser Fan. Wie Curling medial verfolgt werden kann, hat sich extrem geändert, ob das nun eine Frauen-WM in Kanada ist oder eine Heim-WM der Männer in Schaffhausen. Vor Ort ist die Stimmung aber schon noch einiges spezieller als im Fernsehen.»
Sie haben Ihre Karriere nach Vancouver beendet. In welchem Bereich hat sich die Sportart seither am meisten weiterentwickelt?
«Sicher der Einfluss des Wischens. Es ist krass, wie die Steine nun dirigiert werden können. Die Physis ist deutlich wichtiger geworden. Jene Teams mit guten Wischern sind automatisch weiter vorne, es kann diesbezüglich viel herausgeholt werden. Von daher ist es ein anderes Spiel als noch vor 14 Jahren.»
Können Sie noch etwas konkreter werden?
«Der 'Curl' kann beeinflusst werden, was es ermöglicht, viel genauer zu spielen. Dementsprechend ist das Niveau gestiegen. Es wird auch deutlich aggressiver agiert. Neue Regeln führen dazu, dass viel mehr Steine im Spiel sind, was spannende Situationen zur Folge hat und die Sportart für die Zuschauer attraktiver macht.»
Muss man heutzutage professioneller sein als früher?
«Absolut. Das Curling ist viel professioneller geworden. In den heutigen Teams sind alle Halb-, wenn nicht Vollprofis. Viele Länder, die früher keine Chance hatten, wie beispielsweise Italien, haben sich in der Weltspitze etabliert. Dadurch ist diese viel näher zusammengerückt. Das macht es für die Schweizer Teams nicht einfacher, den Anschluss zu halten.»
Nichtsdestotrotz war die Schweiz zuletzt sehr erfolgreich, insbesondere bei den Frauen mit vier Titeln und einer Silbermedaille bei den letzten fünf Weltmeisterschaften. Ist die aktuelle Generation einfach besonders gut?
«Das hoffe ich natürlich nicht. Wir machen in der Schweiz im Nachwuchsbereich eine gute Arbeit, haben weltweit die beste Infrastruktur, würde ich frech behaupten. Es gibt enorm viele Curling-Hallen mit einer Top-Qualität an Eis. Das ist eine gute Basis. Dann wurden über verschiedene Organisationen gute Strukturen geschaffen, sodass mehr Ressourcen in die Sportart investiert werden. Und nicht zuletzt gibt es immer wieder Spieler, die mit dem Traum von Olympischen Spielen vor Augen dem Curling alles unterordnen, obwohl es eine kleine Sportart bleibt und auf vieles verzichtet werden muss. Deshalb bin ich überzeugt, dass auch nach Rücktritten jemand nachrückt. Man muss aber schon sagen, dass die Leistungen bei den Frauen ausserordentlich sind.»
Was ist für Sie das Wichtigste, um top sein zu können?
«Es muss gelingen, das perfekte Team zusammenzustellen. Man braucht einerseits physisch starke Spieler. Der Skip muss ein gewiefter Taktiker sein, der weiss, wie man gegen die besten Teams der Welt bestehen kann. Dafür ist neben zahlreichen Trainingsstunden auch viel Analyse notwendig. Und auf der Position Nummer 4 ist Killerinstinkt gefragt. Das Paradebeispiel ist für mich Alina Pätz (die bei den Schweizer Frauen jene Position spielt), sie bringt diese Nervenstärke mit. Das ist unbezahlbar und aus meiner Sicht eine Charaktereigenschaft, die einem gegeben sein muss. Es gilt herauszufinden, wer diese mitbringt. Ganz wichtig neben all dem ist, dass es auch neben dem Eis stimmt. Man verbringt so viel Zeit miteinander, das darf nicht unterschätzt werden.»
Sie sind Delegationschef von Swiss Olympic. Schon bald beginnen die Olympischen Spiele in Paris. Wie ist der Stand?
«Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir vor Ort optimale Rahmenbedingungen haben werden. Wir wissen jedoch, dass wir im Schweizer Sport von einigen wenigen Athletinnen und Athleten abhängig sind, was Medaillen betrifft. Es wird sich kurzfristig zeigen, wer wie fit an den Start geht und wie es bezüglich des Potenzials der Delegation aussieht. Der Spitzensport zeigt immer wieder, wie nah Freud und Leid sind.»
Im Vorfeld von Olympischen Spielen herrscht immer wieder Skepsis. In Paris ist der Verkehr ein grosses Thema. Haben Sie ebenfalls Befürchtungen?
«Befürchtungen habe ich keine. Wir müssen allerdings in verschiedenen Szenerien denken, es ist ja nicht das erste Mal, dass wir in eine solche Grossstadt gehen. Die gleichen Themen gab es schon in London oder Rio. Jeder, der in Rio de Janeiro war, weiss, was Verkehrschaos heisst. Ich habe zumindest im jetzigen Moment noch keine schlaflosen Nächte.»
Ist es aus Ihrer Sicht ein Vorteil, dass die Olympischen Spielen dermassen nah an der Schweiz stattfinden?
«Man kann es sich zum Vorteil machen, es sind ja sozusagen Heimspiele. Olympische Sommerspiele werden nie mehr so nah an der Schweiz stattfinden, wie das in Paris der Fall ist. Mit dieser Denkweise reisen wir dorthin. Es kann aber auch zum Nachteil werden. Von daher gilt es, auf mögliche Störfaktoren vorbereitet zu sein. Das private und persönliche Umfeld wird mehr Raum einnehmen, wie die Athletinnen und Athleten damit umgehen, dafür müssen sie einen Plan haben. In Tokio erlebten wir Olympische Spiele in einem sterilen Raum.»
Apropos Tokio. Dort gab es für die Schweiz 13 Medaillen. Ist eine ähnliche Ausbeute aus Ihrer Sicht wieder möglich?
«Mein Team im Curling hat immer gesagt, ich sei kein Optimist, sondern ein Realist. Ich glaube wir müssen realistisch bleiben, 13 Medaillen für eine Schweizer Sommerdelegation sind schon ein sehr grosser Erfolg. Drei Podestplätze im Mountainbike der Frauen wird es sicher nicht mehr geben, weil wir nur noch zwei Quotenplätze haben. Zwei Medaillen holte Bencic, die bald Mutter wird. Von daher wären 13 Medaillen ein sehr hoch gestecktes Ziel. Zuerst müssen wir aber abwarten, mit welchem Team wir am 26. Juli in Paris einlaufen werden.»
sfy, sda