Die Schweizer Handballer sind am Montag mit viel Selbstvertrauen nach Düsseldorf an die EM-Endrunde gereist. Dennoch wäre das Erreichen der Hauptrunde eine Überraschung.
Die Schweizer nehmen zum dritten Mal in der 2016 begonnenen und nach der Saison endenden Ära von Nationaltrainer Michael Suter an einem grossen Turnier teil, zum zweiten Mal an einer EM. An der WM 2021 in Ägypten erreichten sie die Hauptrunde, die auch in Deutschland ins Visier genommen wird.
Um diese zu erreichen, muss vieles zusammenpassen. Die Schweizer wurden in eine sehr schwierige Gruppe gelost; sie bekommen es mit dem Gastgeber, Frankreich und Nordmazedonien zu tun. Gegen die Deutschen spielen sie am Mittwoch vor der Weltrekordkulisse von über 50'000 Zuschauern im Fussballstadion von Düsseldorf. «Ausser für Andy (Schmid) ist es für alle eine neue Erfahrung. Es wird etwas anderes sein. Das gilt es zu akzeptieren. Es ist aber eine coole Sache», sagt Suter.
Deutschland wie 2007?
Die DHB-Auswahl gehört nicht zu den ersten Medaillenkandidaten. Mit ihr ist gleichwohl insbesondere wegen des Heimvorteils zu rechnen. An der WM 2007, als letztmals ein grosses Turnier im Handball nur in Deutschland über die Bühne ging, entfachte der Gastgeber eine riesige Euphorie, die im Titel gipfelte. Auf einen ähnlichen Effekt hofft das Team von Trainer Alfred Gislason auch diesmal.
Allerdings lastet am Mittwoch ein enormer Druck auf den Deutschen. Eine Niederlage können sie sich eigentlich nicht leisten. «Klar sind sie breiter aufgestellt als wir», sagt der zu den Schweizer Teamleadern gehörende Aufbauer Lenny Rubin. «Wenn wir jedoch einen guten Tag erwischen und jeder an seine Leistungsgrenzen geht, haben wir alle Chancen gegen die Deutschen.» Auf die Stimmung im Stadion ist er «sehr gespannt».
Rubin noch wichtiger
Der bei Wetzlar tätige Rubin ist in der Offensive allein schon wegen seiner Grösse von 2,05 m eine starke Waffe in der Schweizer Mannschaft. Nicht umsonst ist er in der Bundesliga die Nummer 10 der Torschützenliste in der laufenden Meisterschaft. An der EM nimmt er auch in der Defensive eine Schlüsselrolle ein. Er wird aufgrund des Ausfalls des an der Hand verletzten Abwehrchefs Samuel Röthlisberger im Innenblock zum Einsatz kommen. Diesen werden vorwiegend zwei aus dem Trio Rubin/Lucas Meister/Lukas Laube bilden.
«Es ist eine ganz andere Belastung. Sie ist viel, viel grösser. Daran musste ich mich gewöhnen», sagt Rubin. Zumindest am Yellow Cup von vergangener Woche funktionierte der Innenblock über weite Strecken. «Es sah schon relativ gut aus. Wir konnten uns gut einspielen. Genau das brauchten wir.»
Selbstvertrauen getankt
Überhaupt überzeugten die Schweizer in Winterthur. Die Folge waren klare Siege gegen die EM-Teilnehmer Rumänien (37:31) und Bosnien-Herzegowina (39:21) sowie gegen Argentinien (35:27). «Wir zeigten drei begeisternde Auftritte und tankten Selbstvertrauen», bilanziert Suter.
Einziger Wermutstropfen war der Ausfall von Jonas Schelker, der gegen Argentinien unter anderem einen Kreuzbandriss im linken Knie erlitt. Der 24-jährige Aufbauer war gut in Form und hätte im rechten Rückraum eine wichtige Rolle einnehmen sollen. Ersetzt wird er durch den 20-jährigen Felix Aellen, der ein Versprechen für die Zukunft ist.
Das Gefühl vor der EM könnte also kaum besser sein. Und das ist auch nötig. Nach dem Startspiel in Düsseldorf dislozieren die Schweizer nach Berlin, wo am Sonntag Frankreich der zweite Gegner sein wird. Die Franzosen gehören wie stets in den letzten Jahren nebst Weltmeister Dänemark, Titelverteidiger Schweden und Spanien zu den Topfavoriten. An den letzten vier Olympischen Spielen holten sie dreimal Gold und einmal Silber. An den Europameisterschaften 2020 und 2022 dagegen gingen sie leer aus.
Unverwüstlicher Nikola Karabatic
Angeführt wird die «Equipe tricolore» weiterhin vom unverwüstlichen Nikola Karabatic. Der 39-jährige dreifache Welthandballer bestreitet wie der Schweizer Top-Regisseur Andy Schmid (40) seine letzte Saison. Dass auch gegen die Franzosen etwas möglich ist, bewiesen die Schweizer an der WM 2021, als sie lediglich 24:25 unterlagen.
Die abschliessende Partie der Vorrunde am 16. Januar gegen Nordmazedonien wird ebenfalls alles andere als ein Selbstläufer. Die letzten sechs Duelle gegen die Südosteuropäer gingen allesamt verloren. Um die Hauptrunde zu erreichen, müssen die Schweizer in der Gruppe A mindestens Zweite werden.
Als Ziel wurde definiert, «siegreich heimzukehren». Zudem möchte Suter die EM-Bühne dazu nutzen, dass der Handballsport in der Schweiz an Attraktivität zulegt und mehr Junge den Sport ausüben.