Obwohl es der Schweiz im Final gegen Gastgeber Tschechien nicht zum ersten WM-Titel reicht, haben die Verantwortlichen Recht bekommen. Es gibt allerdings auch Warnsignale.
Als die Verantwortlichen im Februar den Vertrag mit Nationaltrainer Patrick Fischer vorzeitig bis nach der Heim-WM 2026 verlängerten, stiess das auf einiges Unverständnis. Viele fragten sich, warum nicht bis nach der WM in Tschechien gewartet wurde, zumal die Schweizer zu diesem Zeitpunkt elfmal hintereinander verloren hatten und an den vorangegangen drei Weltmeisterschaften als Favorit im Viertelfinal gescheitert waren.
«Wir wollten Ruhe ins System bringen. Resultate sind wichtig. Wir sind jedoch objektiv genug, das Ganze richtig einzuschätzen», begründete damals Lars Weibel, der Direktor Sport von Swiss Ice Hockey, den Entscheid. Die konsequente Überzeugung, auf dem richtigen Weg zu sein und trotz einigen Widerständen entsprechend gehandelt zu haben, wurde nun mit dem Gewinn der Silbermedaille belohnt.
Die richtigen Schlüsse gezogen
Die Entscheidungsträger zogen die richtigen Schlüsse aus der bitteren 1:3-Niederlage im letztjährigen Viertelfinal gegen den Erzrivalen Deutschland. Die Mannschaft ist nun taktisch variabler und mental gefestigt. Letzteres kommt nicht von ungefähr. Der Staff wurde mit Performance Coach Stefan Schwitter ergänzt, der mit den Spielern intensiv daran arbeitete, stets im Hier und Jetzt zu sein.
Mit Adrian Brüngger wurde ein weiterer Experte rund um mentale Stärke ins Boot geholt. Der frühere Handballer ist auch ein Spezialist für Sport-Hypnose, die der Schlüssel ist, um mit dem Unterbewusstsein arbeiten zu können. Dieses hat einen enormen Einfluss auf das Verhalten eines Menschen, welche Entscheide er trifft, wie er sich fühlt. Es ist zuständig für alle Emotionen. Diese zu kontrollieren, ist gerade in Drucksituationen entscheidend. Die intensive Arbeit im mentalen Bereich war auf dem Eis zu sehen. Die Schweizer verloren nie die Ruhe, sie spielten äusserst abgeklärt.
Optimale Konstellation
In erster Linie aber hätte die Konstellation in diesem Jahr kaum besser sein können. Mit Roman Josi, Nico Hischier und Kevin Fiala standen Fischer die wichtigsten drei Spieler zur Verfügung. Dass Fiala in Prag dabei sein konnte, war eine glückliche Fügung, kam doch die Tochter zwei Wochen früher als geplant zur Welt. Die Geburt beflügelte Fiala sichtlich; der Ostschweizer wurde dank sieben Toren und sechs Assists zum wertvollsten Spieler des Turniers gewählt. Josi machte die Mannschaft allein schon mit seiner Präsenz besser, Hischier gehört zu den besten Zweiweg-Centern der Welt.
Das Trio lieferte gross ab und sammelte zusammen 36 Skorerpunkte (16 Tore). Mit Nino Niederreiter, der viel Power und Geradlinigkeit ins Team hineinbringt, war ein weiteres wichtiges Puzzleteil dabei. Nicht umsonst gehörte der Churer Stürmer wie Josi und Torhüter Reto Berra schon bei den Silbermedaillengewinnen 2013 und 2018 zur Equipe.
So gut die Mischung in der Mannschaft war, zeigte sich auch in Prag und Ostrava, wie stark die Schweizer in der Offensive von den NHL-Spielern abhängig sind. Es ist kein Zufall, dass ohne diese an den ersten drei Turnieren in dieser Saison in der Euro Hockey Tour sämtliche neun Spiele gegen Schweden, Finnland und Tschechien verloren gegangen sind. Nichtsdestotrotz ist es ein Segen, dass die Schweizer aufgrund des Ausschlusses von Russland dort dabei sind. Der Lerneffekt ist immens, auch deshalb agierten die Schweizer in der Defensive äusserst stilsicher.
Ernste Zeichen
Ein viel diskutiertes Thema ist, ob die Aufstockung der National League von vier auf sechs Ausländer ein Fluch oder ein Segen ist. Kurz- und vielleicht sogar mittelfristig ist es sicher ein Segen, da die aktuellen Nationalspieler vom höheren Niveau profitieren. Doch wie sieht es langfristig aus? Erhalten die Jungen mit sechs Ausländern jene Rollen, die sie eher früher als später einnehmen müssen, um das an einer WM nötige Niveau erreichen zu können? Das ist mit einem grossen Fragezeichen zu versehen.
Ein Fakt ist zudem, dass bei den letzten sechs NHL-Drafts mit Verteidiger Lian Bichsel als Nummer 18 nur noch ein Schweizer in der ersten Runde gezogen wurde. Überdies nahm die Anzahl an eingesetzten Schweizern in der besten Eishockey-Liga der Welt von zwölf auf zehn ab. Das sind Zeichen, die ernst genommen werden müssen.
Allerdings darf nicht vergessen werden, dass es hierzulande im Vergleich zu den Top-Nationen deutlich weniger Lizenzierte im Eishockey gibt. Der bald in Pension gehende Ausbildungschef von Swiss Ice Hockey, Markus Graf, der am Samstag mit dem Johan Bollue Award für seine Verdienste in der Nachwuchsförderung ausgezeichnet wurde, sagte deshalb gegenüber der Nachrichtenagentur Keystone-SDA: «Wir dürfen uns im Bereich Talententwicklung keine Fehler leisten. 'Kein Talent geht verloren' heisst das Motto, was nicht immer einfach ist. Der Athletenweg muss gesichert werden.» Besonders wichtig ist das bei den Torhütern – der einmal mehr überragende Leonardo Genoni ist bereits 36 Jahre alt.
Das heisst, die Jungen müssen Perspektiven haben, Stichwort Swiss League. Die Verantwortlichen der National League sind sich zwar grundsätzlich einig, dass der aktuelle Modus nicht ideal und 14 Teams eigentlich zu viel sind. Doch ist sich da jeder selber der Nächste, umso mehr als die Liga floriert.
Noch mehr Entwicklung in Vordergrund stellen
Für Graf sind jedoch nicht nur Spiele entscheidend, wichtig sei auch, wie insbesondere im Alter von 18 bis 21 Jahren trainiert werde. «Das muss professionell sein.» Zuvor sollte für ihn noch mehr die Entwicklung der Spieler als die Resultate im Vordergrund stehen. Dadurch würden es wohl mehr Talente nach oben schaffen, da weniger auf den Ist-Zustand und mehr auf das Potenzial geschaut würde. Für Graf sind neben dem Talent das Umfeld und die Motivation ebenso wichtig für den Erfolg.
«Wir freuen uns riesig über die Medaille. Aber wir werden uns deswegen nicht blenden lassen», versprach Graf. «Die nachhaltige Entwicklung unserer Rookies wird immer ein Schlüsselthema sein.» Schliesslich sollen weitere Erfolge folgen.