Als dreifacher Saisonsieger gehört Werner Schlegel am Jubiläumsschwingfest in Appenzell zum Kreis der Favoriten – auch dank schmerzhafter Niederlagen, wie er im Gespräch mit Keystone-SDA sagt.
Es ist ein seltenes Bild, das sich am Morgen des 26. Mai den rund 6000 Zuschauern in der Arena in Werdenberg bietet. Werner Schlegel liegt mit dem Rücken im Sägemehl, eingebettet vom Südwestschweizer Gast Benjamin Gapany. Es ist die erste Niederlage der Saison für den 21-jährigen Toggenburger. Und es wird für lange Zeit die letzte bleiben.
Werner Schlegel, wie sehr hat Sie die Niederlage gegen Benjamin Gapany im Anschwingen des 109. St. Galler Kantonalschwingfestes gewurmt?
«Schon extrem. Ich habe danach zwar alle Gänge gewonnen, aber es trotzdem nicht in den Schlussgang geschafft. Das lag nicht nur an der Startniederlage, sondern an den fehlenden Plattwürfen. Ich habe mir den möglichen Festsieg selbst verbaut. Aber ja, die Niederlage hat schon gewurmt, zumal das Heimfest immer etwas Besonderes ist. Manchmal tut es aber auch gut, eins aufs Dach zu kriegen. Beim nächsten Gang stieg ich mit einer anderen Einstellung ins Sägemehl, war zäher.»
Sie hatten schon in der letzten Saison Ihr Potenzial angedeutet, haben dieses Jahr aber nochmals einen Schritt nach vorne gemacht. Wie erklären Sie sich Ihre Leistungsexplosion?
«Ich sehe es nicht wirklich als Explosion. Wie gesagt, das letzte Jahr war auch schon ziemlich gut. Ich hatte einfach immer wieder mit kleinen Verletzungen zu kämpfen. Ich habe in der Vorbereitung auf diese Saison gut trainiert und bin dann gut rein- und in einen Lauf gekommen. Je mehr man schwingt, desto mehr bekommt man ein Gespür.»
Was meinen Sie genau?
«Schwünge können mit Kraft angesetzt werden oder intuitiv, aus dem Reflex. Mit zunehmendem Gespür gelingt es öfters, intuitiv die richtigen Reflexe anzuwenden, etwa den Schwung des Gegners zu nutzen ohne enormen Kraftaufwand.»
Gab es in dieser Saison den einen Moment, in dem es «klick» gemacht hat?
«Nein, den gab es nicht. Ich wusste schon immer, dass ich jeden Gegner schlagen kann, wenn alles zusammenpasst. Jeder Gegner hat einen Rücken.»
Die Vergleiche mit Abderhalden
189 Zentimeter «klein», 112 Kilogramm «leicht». Werner Schlegel ist weder der grösste noch der schwerste Schwinger. Vielmehr überzeugt der gelernte Zimmermann mit geschickter Verteidigungsarbeit und variablen Angriffsschwüngen, technischer Vielfalt. Mit «Bauernschläue» und dem Gespür für den richtigen Moment merzt er die körperlichen Nachteile gegenüber den anderen Spitzenschwingern aus.
Körperlich nicht der Grösste war auch Jörg Abderhalden. Wie Schlegel stammt auch er aus dem Toggenburg. Beide sind im Schwingklub Wattwil beheimatet. Beide haben ihren ersten Kranz mit 16 Jahren gewonnen. Beide haben bis ins 22. Altersjahr in etwa gleich viele Kränze gesammelt – Abderhalden 36, Schlegel 34. Parallelen, die einen Vergleich nahelegen, auch wenn der eine dreifacher Schwingerkönig sowie Unspunnen- und Kilchberg-Sieger ist und der andere mit seinen 21 Jahren noch am Anfang seiner Karriere steht.
Nerven Sie die Vergleiche mit Jörg Abderhalden – oder ist an diesen auch in Ihren Augen was dran?
«Nerven tun mich die Vergleiche nicht. Vielmehr ist es eine Ehre, mit dem grössten Schwinger aller Zeiten verglichen zu werden. Und ja, es gibt schon gewisse Parallelen, das ist selbst mir aufgefallen.»
Welche?
«Nebst Herkunft, Werdegang und den körperlichen Voraussetzungen gibt es Ähnlichkeiten bei der Schwingart. Die technische Vielseitigkeit war eine Stärke von Jörg und sie ist auch eine Stärke von mir. Ob schwingen am Boden, schwingen von Stand mit Drehungen nach links und rechts – das Repertoire ist gross. Jörg gibt mir auch immer wieder Tipps, wir tauschen uns regelmässig aus. Ich will aber kein Mini-Abderhalden sein, sondern meinen eigenen Schwingstil entwickeln und meinen eigenen Weg gehen.»
In der Nordostschweiz ist der Zusammenhalt gross. Wie wichtig ist für das Team und für Sie persönlich das Zugpferd Samuel Giger?
«Sämi ist sehr wichtig. Einerseits hilft er dem Team nur schon durch seine Präsenz und die entsprechenden Resultate im Wettkampf. Noch wichtiger ist jedoch, dass wir uns Tag für Tag mit ihm im Training messen und an ihm wachsen können. So starke Sparringpartner zu haben ist super und bringt einen weiter. Sämi ist ein absoluter Glücksfall für uns.»
Der Saisonhöhepunkt vor der Haustür
Mit 21 ist Werner Schlegel knapp fünf Jahre jünger als Giger. Acht Kranzfestsiege schmücken bereits sein Palmarès, darunter ein Bergfestsieg und drei Triumphe an Teilverbandsfesten. Dem Sport ordnet Schlegel alles unter. Seit dem Abschluss der Rekrutenschule arbeitet der Ostschweizer nicht mehr in seinem erlernten Beruf als Zimmermann, hilft stattdessen auf dem elterlichen Betrieb und packt auch auf dem Bauernhof seines Cousins an. Mehr Flexibilität nennt Schlegel als Hauptgrund. Auf rund 60 bis 80 Prozent beziffert er sein Arbeitspensum, je nach Woche.
«Wenn ich etwas wirklich will, dann bin ich bereit, alles dafür zu geben»: Was steckt hinter diesem Zitat, das prominent auf Ihrer Website zu lesen ist?
«Das Zitat widerspiegelt mich ziemlich gut. Ich habe einen Dickschädel. Wenn ich etwas unbedingt will, dann ziehe ich es auch durch, koste es, was es wolle. Leiden tut darunter in erster Linie mein Umfeld, weil ich wenig Freizeit habe.»
Auf der anderen Seite steht der Erfolg, der insbesondere in dieser Saison nicht zu kurz kommt. Nun steht mit dem Jubiläumsschwingfest in Appenzell der Höhepunkt der Saison an. Das Fest findet praktisch vor Ihrer Haustüre statt. Von Ihrem Wohnort Hemberg zum Festgelände sind es keine 25 Kilometer. Sie gehören zum erweiterten Favoritenkreis. Es ist angerichtet.
«Ich will mir keinen Druck machen und habe mir kein Ziel gesetzt, will Gang für Gang nehmen und einfach ein gutes Fest zeigen. Die Konkurrenz ist gross.»
Welche Bedeutung hat das Fest für Sie? Ist es vergleichbar mit einem Eidgenössischen, Unspunnen oder Kilchberger?
«Das Fest hat eidgenössischen Charakter und ist entsprechend stark besetzt. Es fehlt das Traditionelle, das etwa ein Unspunnen oder ein Kilchberger haben. Und es ist auch nicht vergleichbar mit dem Eidgenössischen. Vielmehr ist es etwas Einmaliges, und gerade das macht es so speziell. Beim nächsten Jubiläumsschwingfest wird keiner, der jetzt aktiv dabei ist, noch schwingen.»
Werner Schlegel, welche Ziele möchten Sie im Schwingsport noch erreichen?
«Ich will noch viele Jahre auf dem Niveau weiterschwingen, auf dem ich mich momentan befinde, an den eidgenössischen Anlässen vorne mitschwingen und dann vielleicht auch mal einen davon gewinnen. Doch bis dahin ist es noch ein langer Weg.»
Wer weiss, vielleicht kamen die Niederlagen gegen Fabian Staudenmann und Severin Schwander auf der Schwägalp – die ersten seit jener im Anschwingen am St. Galler Kantonalen – zum richtigen Zeitpunkt.