TürkeiAus Tier mach Portemonnaie – die Lösung für die Kugelfisch-Plage?
Von Anne Pollmann, dpa
28.8.2022 - 00:00
Der giftige Hasenkopf-Kugelfisch gilt den Menschen im Mittelmeerraum als Plage. Er zerstört Fischernetze und frisst sich ungestört durch die Fischbestände. Ein Ingenieur rückt ihm jetzt auf die Pelle.
Von Anne Pollmann, dpa
28.08.2022, 00:00
Von Anne Pollmann, DPA
Rot, blau, gelb, grau: Mehmet Özata breitet bunte Fischhäute auf einem Tischlein in der Nähe des Hafens von Alanya in der Südtürkei aus. Der türkische Ingenieur erklärt hier, was er für die Lösung einer Katastrophe hält: Leder aus Kugelfischen, die nicht nur in türkischen Gewässern als eine Plage gelten.
Besonders der Hasenkopf-Kugelfisch hat sich im Mittelmeer ausgebreitet. Er frisst sich durch die heimischen Bestände – und hat offenbar einen feinen Gaumen. Besonders an Tintenfischen, Krabben und Shrimps in den Fischernetzen bedient sich der Kugelfisch. Netze und Fischerhaken hinterlässt er dabei oft zerstört. Jährlich verursacht er türkischen Fischern Schätzungen zufolge einen Verlust von zwei bis fünf Millionen Franken.
Profiteur des Klimawandels
Der Fisch gelangte mit der Öffnung des Suezkanals 1869 aus dem Indopazifik ins Mittelmeer und kann sich dort so gut ausbreiten, weil er keine Fressfeinde hat. Auch die Klimaerwärmung und der Anstieg der Temperatur im Mittelmeer haben dazu beigetragen, dass der Fisch sich besser ausbreiten konnte.
Kommerziell gefischt wird er auch nicht, denn der Kugelfisch ist giftig. Tetrodotoxin, was er etwa in der Leber trägt, lähmt die Muskeln und kann sogar tödlich für Menschen sein. Je näher man an den Suezkanal kommt, umso dichter wird die Population. Die türkischen Fischer teilen das Problem also mit vielen Mittelmeeranrainer.
Staat zahlt Prämien auf Kugelfische
Dem Missstand versucht auch die türkische Regierung etwas entgegenzusetzen und hat seit ein paar Jahren Prämien auf die unterschiedlichen Arten des Kugelfisches ausgesetzt. 12,5 Türkische Lira gibt es derzeit pro Flosse des Hasenkugelfisches – das macht rund 70 Rappen pro Exemplar. Viel zu wenig, findet Fischer Mehmet Gökmen, der seit 40 Jahren vor Alanya seine Netze auswirft. Dafür lohne sich die Arbeit nicht. Die Wirtschaftskrise in der Türkei, der damit einhergehende Anstieg des Lebenshaltungs- und Energiekosten lasten auch auf den Fischern.
Auch Ekin Akoglu, Meeresbiologe an der Odtü-Universität in Ankara, steht dem Prämiensystem kritisch gegenüber. In Zypern etwa sei seit mehr als zehn Jahren ein ähnliches Anreizsystem in Kraft, mit deutlich höheren Prämien pro Fisch. Am Anteil der Kugelfische im Fang habe sich aber nichts geändert, sagt Akoglu.
Invasion nicht mehr umzukehren
Verlässliche Schätzung über die Gesamtpopulation des Fisches im Mittelmeer gebe es nicht. Aber wenn eine solche Invasion einmal begonnen habe, sei es fast unmöglich, sie rückgängig zu machen, sagt der Meeresbiologe. Er glaubt darum, dass es nur zwei Lösungen für die Plage geben kann: Entweder es taucht ein natürlicher Fressfeind auf, wie in der Vergangenheit bei anderen Plagen – oder es findet sich ein Weg, den Fang des Kugelfischer zu kommerzialisieren. Das Gift des Fisches könne etwa für pharmazeutische Zwecke genutzt werden.
Oder man hat es auf seine Haut abgesehen, wie der Ingenieur Özata.
Seitdem er 2019 von einem Mädchen hörte, dem nach einem Kugelfischbiss im Meer vor Mersin ein Finger amputiert werden musste, will Özata zu einer Lösung der Plage beitragen. Im Labor hat er die behandelte Fischhaut bereits zahlreichen Tests unterzogen. Das Leder habe gute Eigenschaften, sagt er. Der Fisch bläht sich in Gefahrensituationen um ein vielfaches seiner eigenen Körpergrösse auf und bildet eine dicke Blase am Unterkörper. Eine Kuh könne das nicht, was das Kugelfischleder deutlich widerstandsfähiger mache, sagt Özata.
Bisher hat er das Fischleder zu Portemonnaies und Taschen verarbeitet. Für eine Tasche brauche er etwa sieben der Fische, die durchschnittlich mit 30 Zentimeter Länge aus dem Wasser gezogen werden.
Er zahlt den Fischern mehr als der Staat
Die Haut kriegt er von Fischern wie Gökmen und er zahlt immer ein bisschen mehr als die staatliche Prämie. Gökmen selbst sagt, mit drei Helfern könne er in der Stunde rund 100 Kugelfische fangen. Seit gut 20 Jahren ziehe er den Kugelfisch bereits unfreiwillig aus dem Wasser, erzählt der 55-Jährige.
Noch hat sich kein grösserer Abnehmer für die Produkte aus Kugelfischhaut gefunden, aber es gebe Kontakte zum russischen und arabischen Markt, sagt Özata.