Kolumne Plötzlich ging die vegane Umstellung ganz leicht

Von Michelle de Oliveira

16.1.2022

Ganz auf vegane Ernährung umzustellen, stellt die Kolumnistin vor Herausforderungen: Sie wollte ihre beiden Kleinkinder nicht vegan ernähren. (Symbolbild)
Ganz auf vegane Ernährung umzustellen, stellt die Kolumnistin vor Herausforderungen: Sie wollte ihre beiden Kleinkinder nicht vegan ernähren. (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Die Kolumnistin möchte sich vegan ernähren. Doch wie gelingt das mit zwei Kleinkindern und einem Mann, der gern Fleisch isst? Nach einigen Anläufen hat sie einen Weg gefunden, der für alle stimmt.

Von Michelle de Oliveira

16.1.2022

Schon als Kind schmerzte mich der Gedanke, Tiere zu essen. Ausserdem schmeckten mir Fisch und Fleisch nicht besonders. Ich bin seit 30 Jahren Vegetarierin.

«Aber vegan leben, das könnte ich nicht», sagte ich immer, wenn die Sprache auf die Ernährung ganz ohne tierische Produkte kam. Joghurt im Frühstücksmüesli, Mozzarella auf der Pizza, eine Wähe mit Ei-Guss, ein Raclette im Winter, Haselnuss-Milchschokolade – darauf zu verzichten erschien mir brutal, nahezu unmöglich.

Zu aufwändig, zu kompliziert.

Bis zu meiner ersten Schwangerschaft. Mit grossem Kugelbauch sah ich nicht mehr genau, wo meine Füsse landeten – und eines Tages bin ich beinahe auf drei Vogeleier getreten, beziehungsweise auf das, was davon übriggeblieben war.

Zur Autorin: Michelle de Oliveira
Bild: zVg

Michelle de Oliveira ist Journalistin, Yogalehrerin und Mutter und immer auf der Suche nach Balance – nicht nur auf der Yogamatte. Ausserdem hat sie ein Faible für alles Spirituelle und Esoterische. In ihrer Kolumne berichtet sie über ihre Erfahrungen mit dem Unfassbaren. Sie lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Inmitten der zerbrochenen Eierschalen erkannte ich fast vollständig entwickelte Vögelchen. Ich heulte los, weil ich an die Vogelmutter dachte, die verzweifelt ihr Nest suchte, das der Wind vom Baum getragen hatte. So stellte ich mir die Szene zumindest vor.

Ein eigenartiges Schuldgefühl

Mein Appetit auf Eier war mir damit gänzlich vergangen und ich verzichtete lange über die Geburt hinaus darauf. Auch später, als ich wieder gelegentlich Eier ass, beschlich mich stets ein eigenartiges Schuldgefühl.

Zwei Jahre später – mein zweites Kind war gerade geboren – las ich irgendwo, welch soziale Tiere die Kühe sind und wie sehr sie unter der Trennung von Kuh und Kalb direkt nach der Geburt leiden. Ich betrachtete mein trinkendes Kind an meiner Brust und kaufte am nächsten Tag Haferdrink.

Nach und nach kamen weitere Produkte hinzu: Joghurt auf Kokosnussbasis, veganer Aufschnitt, Gummibärli ohne Gelatine und Guetsli ohne Eier und Milch. Alles kein Problem. Eigentlich hätte ich es gern bei dieser etwas bewussteren Ernährung belassen. Doch das schlechte Gewissen, dass Tiere und die Umwelt aufgrund meines Konsums leiden müssen, sass immer mit am Tisch.

Ganz auf vegane Ernährung umzustellen, stellte mich aber vor Herausforderungen: Ich wollte meine beiden Kleinkinder nicht vegan ernähren.

Einerseits, weil ich keinesfalls riskieren wollte, dass sie unter Mangelerscheinungen zu leiden hatten. Dieses Risiko bestand, wollte ich mich nicht sehr umfassend mit der Ernährung und dem Kochen beschäftigen. Und dazu fehlte mir im Alltag schlicht die Zeit und die Energie. Anderseits wollte ich ihnen nicht starre Konzepte rund um die Ernährung aufzwängen. Sie sollten mit Freude essen, ausprobieren und selbst entscheiden können, was auf ihrem Teller landet. Oder eben nicht.

Mein Mann hatte zwar an vielen Ersatzprodukten Gefallen gefunden. Aber es kam für ihn nicht infrage, ganz auf tierische Produkte zu verzichten. Und ich wollte nicht ständig doppelt kochen oder dann doch noch extra etwas für mich zubereiten, wenn mein Mann das Essen machte.

«Ich trinke keine Milch mehr, esse keine Butter»

Das war es also mit der veganen Ernährung, dachte ich. Bis mir eine erfahrene Veganerin den Druck nahm, indem sie sagte: «Du musst ja nicht komplett umstellen, um einen Unterschied zu machen. Lieber tausend Leute, die auf gewisse Produkte verzichten, als nur einer, der strikt vegan lebt.» Das leuchtete mir ein.

Also kaufen wir seither Joghurt-, Milch- und Butteralternativen, die allen schmecken. Mein Pizzastück belege ich mit veganem Mozzarella, für die anderen gibt es die herkömmliche Variante, das Gleiche gilt beim Raclette. Und ich probiere regelmässig neue vegane Gerichte aus. Manche schmecken toll (alle Variationen von Currys, Pancakes, alle Arten von Suppen), andere hingegen haben noch Entwicklungspotenzial (Älplermagronen, Wähe mit Eiersatzguss, Ersatzhackfleischsauce).



Wenn möglich verzichte ich auf Eier, ausser sie kommen direkt vom Nachbarshof, wie das zum Beispiel bei meinen Schwiegereltern immer der Fall ist. Wenn ich eingeladen bin, esse ich vegetarisch und lasse die tierischen Bestandteile weg, wo es keine Umstände macht.

Das sind alles kleine Schritte, das ist mir klar. Und doch geben sie mir das Gefühl, einen Beitrag zu leisten.

Vor einer Weile habe ich beim Spazieren ein Kälbchen gestreichelt. Es reckte mir den Kopf entgegen und leckte genüsslich meine Hand ab. Ich lehnte mich zu ihm und flüsterte: «Ich trinke keine Milch mehr, esse keine Butter und nur noch wenig Käse.»

Ich könnte schwören, der Blick aus den braunen Augen wurde noch treuherziger.


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