Interview «Glutenfreie Ernährung ist keine Methode zum Abnehmen»

Von Sulamith Ehrensperger

8.10.2020

Immer mehr Menschen leben bewusst glutenfrei, obwohl sie keine Unverträglichkeit haben. (Symbolbild)
Immer mehr Menschen leben bewusst glutenfrei, obwohl sie keine Unverträglichkeit haben. (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Glutenfrei liegt voll im Trend. Viele denken, eine glutenfreie Ernährung wäre gesünder und könnte beim Abnehmen helfen. Wir haben den Ernährungstrend mit einer Expertin unter die Lupe genommen.

Frau Gautschi, viele Menschen verbinden eine glutenfreie Ernährung mit einem Verzicht auf alles, was besonders gut schmeckt. 

Vor Jahren hätte diese Aussage zugetroffen. Die glutenfreien Grundlebensmittel wie Brot, Pasta, Gebäck waren trocken, krümelig und fade. In den letzten Jahren hat sich das Ernährungsverhalten stark geändert: Glutenfrei essen wurde zum Lifestyle. Immer mehr Konsumenten kaufen glutenfreie Produkte, der Wachstumsmarkt des Lebensmittel-Detailhandels ist stark gestiegen und die Produktvielfalt ist gross. Heute schmecken diese Produkte meist sehr fein.

Der Begriff Gluten ist in aller Munde, was ist eigentlich Gluten?

Hinter dem Begriff Gluten – auch Klebereiweiss genannt – stecken verschiedene Proteine, die natürlicherweise in den Körnern von Weizen, Roggen, Hafer und Gerste, aber auch in Dinkel, Grünkern, Einkorn, Emmer und Kamut vorkommen. Der Glutenanteil eines Mehls bestimmt die Backeigenschaften. Gluten und die Stärke im Weizen sorgen dafür, dass Gebackenes elastisch und locker aufgeht, stabil bleibt, mürbe oder knusprig wird. Zudem halten sie die Feuchtigkeit und machen das Gebäck länger haltbar.

Zur Person
Porträt Ernährungsberaterin Marlène Gautschi
Betty Bossi

Marlène Gautschi ist Ernährungsberaterin bei Betty Bossi.

Glutenfrei ist also zu einer Art Lifestyle geworden: Wann aber macht eine glutenfreie Ernährung Sinn?

Ein Drittel der Europäer meint, bestimmte Lebensmittel wie Brot, Milch oder Obst nicht zu vertragen. In Wirklichkeit haben nur ein paar wenige Prozent eine Nahrungsmittelunverträglichkeit. Eine glutenfreie Ernährung müssen nur Personen mit einer diagnostizierten Zöliakie und Personen mit einer Glutensensitivität einhalten. Gemäss Schätzungen reagieren bis zu fünf Prozent der Schweizer Bevölkerung sensitiv auf Gluten. In jedem Fall sollte eine gastroenterologische Abklärung vor einer Umstellung der Ernährung durchgeführt werden.

Kann man durch glutenfreie Ernährung abnehmen?

Nein. Die glutenfreie Ernährung ist keine Methode zum Abnehmen. Industriell hergestellte glutenfreie Produkte sind häufig trockener und enthalten weniger sättigende Nahrungsfasern. Um das auszugleichen und den Geschmack zu verbessern, wird ihnen deshalb Zucker und Fett zugefügt. Zucker, weisses glutenfreies Mehl, weisses Reismehl und Stärkemehle zählen zu den raffinierten Kohlenhydraten. Sie lassen den Blutzuckerspiegel schnell ansteigen, Insulin wird ausgeschüttet. Während Insulin im Blut ist, findet kein Fettabbau statt.

Glutenfrei ist nicht immer glutenfrei: Welches sind die häufigsten Stolpersteine?

Gluten steckt auch in Lebensmitteln, bei denen man das nicht unbedingt erwartet. So können kandierte Früchte Weizenglukose enthalten oder Dörrfrüchte mit Weizenmehl bestäubt sein, damit sie weniger kleben. Ein grosser Stolperstein ist die Kontamination mit glutenhaltigen Produkten. Wenn gleichzeitig glutenfreie und glutenhaltige Gerichte zubereitet werden und keine gute Trennung der Zubereitung erfolgt, lauern Kontaminationsfallen. Beispielsweise wenn Pommes in der gleichen Fritteuse frittiert werden, in der auch Paniertes zubereitet wird. Wer sich glutenfrei ernähren muss, soll sich bei einer Fachperson beraten lassen.

Glutenfreies Brot schmeckt und riecht anders als glutenhaltige Varianten, beispielsweise aus Weizen oder Roggen.
Glutenfreies Brot schmeckt und riecht anders als glutenhaltige Varianten, beispielsweise aus Weizen oder Roggen.
Bild: Getty Images, Tetra images RF

Ihre wichtigsten Tipps beim Einkaufen?

Betroffene müssen immer jede Etikette ganz genau unter die Lupe nehmen. Seit 2016 müssen allergene Zutaten in der Zutatenliste besonders hervorgehoben werden, zum Beispiel durch Fettdruck oder mit Grossbuchstaben. Wichtig: Deklariert wird nicht immer «Gluten», darum ist ganz wichtig, dass auf das Vorkommen von Weizen, Roggen, Gerste, Hafer, Dinkel und so weiter in der Zutatenliste geachtet wird. Manche Produkte enthalten den Hinweis «Kann Gluten enthalten» oder ähnlich, auch diese sollten Zöliakiebetroffene meiden.

Die meisten vermissen das Brot – welches wären Alternativen für ein glutenfreies «Zmorge»?

Das glutenfreie Mehl hat ganz andere Backeigenschaften und kann deshalb in bestehenden Rezepten nicht generell Eins zu Eins ersetzt werden. Zum Glück wird heute immer mehr an glutenfreien Rezepten getüftelt. Wer nicht selbst backen möchte, dem stehen viele glutenfreie Alternativ-Zmorge offen. Zum Beispiel ein Hirse-Joghurtmüesli, Quinoa-Porridge, Beeren-Smoothie, Tomaten-Eier-Muffins oder Rührei mit glutenfreiem Knäckebrot.

Haben Sie Beispiele für Rezepte, die vor allem am Anfang über die Runden helfen?

Bei der Umstellung auf eine glutenfreie Ernährung lohnt es sich, nicht selbst zu experimentieren. Die Mehle sind teurer und es wäre schade, wenn der gewünschte Erfolg ausbleibt beim Backen. Spezialisierte Webseiten, Apps oder die Zeitschrift «Glutenfrei leben» von Betty Bossi liefern viele gelingsichere Rezepte.


Rezept für glutenfreies Kernenbrot

Zutaten

Für eine Cakeform von zirka 25 cm, gefettet und bemehlt

120 g Leinsamenmehl (siehe Hinweis)

100 g Kernen-Nuss-Mix (Naturaplan Bio)

2 TL Backpulver

1/2 TL Salz

250 g Magerquark

3 Eier

3 EL Rapsöl oder Sonnenblumenöl

2 EL Kernen-Nuss-Mix

Dieses glutenfreie Brot ist voller Kernen-Power und macht lange satt. Das Rezept für das Kernen-Leinsamenbrot kommt aus dem Betty Bossi Magazin «Glutenfrei leben».
Dieses glutenfreie Brot ist voller Kernen-Power und macht lange satt. Das Rezept für das Kernen-Leinsamenbrot kommt aus dem Betty Bossi Magazin «Glutenfrei leben».
Bild: Betty Bossi

Zubereitung

Ofen auf 170 Grad vorheizen. Leinsamenmehl, Kernen-Mix, Backpulver und Salz in einer Schüssel mischen. Quark, Eier und Öl beigeben, mit einer Kelle gut mischen. Teig in die vorbereitete Form füllen, mit einem leicht geölten Löffelrücken glatt streichen, Kernen-Mix darüberstreuen.

Backen: zirka 1 Std. in der unteren Hälfte des Ofens. Herausnehmen, etwas abkühlen, Brot sorgfältig aus der Form nehmen, auf einem Gitter auskühlen.

Hinweis: Leinsamenmehl wird auch als Leinmehl bezeichnet. Es ist in Reformhäusern und in Online-Shops erhältlich. Haltbarkeit: In Folie eingepackt im Kühlschrank zirka fünf Tage; tiefgekühlt (ganz oder in Scheiben) zirka zwei Monate.

Weitere Rezepte gibt es bei «Glutenfrei leben», das bisher einzige Magazin in der Schweiz zum Thema «Leben ohne Gluten».

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