Angst vor Ersticken «Ohne Maske in den Laden, das war fast schon eine Mutprobe»

Von Marianne Siegenthaler

29.9.2020

Claudia K.*, Grafikerin mit Masken-Dispens: «Als die Maskenpflicht auch in den Läden eingeführt wurde, hat mich das enorm eingeschränkt. Ich lebe allein, kann also nicht mal einfach den Mann oder das Kind einkaufen schicken.» (Symbolbild)
Claudia K.*, Grafikerin mit Masken-Dispens: «Als die Maskenpflicht auch in den Läden eingeführt wurde, hat mich das enorm eingeschränkt. Ich lebe allein, kann also nicht mal einfach den Mann oder das Kind einkaufen schicken.» (Symbolbild)
Bild: Getty Images

Manche Menschen können aus gesundheitlichen Gründen keinen Nasen-Mundschutz tragen. Mit einem ärztlichen Attest gilt für sie keine Maskenpflicht. Was den Alltag aber nicht unbedingt erleichtert. Eine Betroffene erzählt.

Claudine K.* ist 35 Jahre alt, wohnt im Kanton Zürich und ist freischaffende Grafikerin. Die Einführung der Maskenpflicht hat ihren Alltag verändert. «blue News» hat sie ihre Geschichte erzählt:

«Ich habe es wirklich versucht, ganz ehrlich. Als die Maskenpflicht für den öffentlichen Verkehr Anfang Juli eingeführt wurde, habe ich mich auch dran gehalten. Das heisst, ich habe es versucht. Aber es ging einfach nicht. Ich glaubte, ich müsse ersticken, und hab den Zug an der nächsten Haltestelle fluchtartig verlassen.

Wenn irgend etwas das Atmen beeinträchtigt, dann bekomme ich Panik. Ich hatte als junge Frau schweres Asthma, wie es sich anfühlt, wenn man beinahe erstickt, weiss ich nur zu gut. Inzwischen ist es zwar gut eingestellt und Medikamente helfen mir, dass ich kaum mehr Anfälle habe. Die Angst vor dem Ersticken ist aber geblieben.

Jedenfalls habe ich von da an den ÖV gemieden. Wenn immer möglich gehe ich zu Fuss oder mit dem Velo, für weitere Strecken nehme ich das Auto. Als freischaffende Grafikerin muss ich glücklicherweise nicht in die Stadt bzw. in ein Grossraumbüro, mein Atelier kann ich bequem zu Fuss erreichen. Und Besprechungen finden jetzt ja coronabedingt ohnehin meist per Video-Call oder einfach telefonisch statt. Insofern habe ich mich gut arrangiert.

Als dann aber Ende August im Kanton Zürich die Maskenpflicht auch in den Läden eingeführt wurde, hat mich das enorm eingeschränkt. Eben weil ich ja keine Maske anziehen kann. Ich lebe allein, kann also nicht mal einfach den Mann oder das Kind einkaufen schicken. Ich habe diverse Lösungen ausprobiert. Mal hat eine Freundin für mich eingekauft, mal habe ich über Online-Shops bestellt. Aber irgendwas fehlt ja immer. Manchmal bin ich auch einfach in einen anderen Kanton gefahren – Schwyz und St. Gallen sind nicht so weit entfernt, und da herrscht ja keine Maskenpflicht in den Einkaufsläden.

«Meine Hausärztin um ein Attest gebeten»

Irgendwann wurde mir das dann aber doch zu mühsam. Ich fühlte mich in meinem vertrauten Umfeld ausgeschlossen. Ich konnte ja nicht mal ein Paket auf der Post aufgeben oder Kopfschmerztabletten in der Apotheke kaufen. Ich hab deshalb meine Hausärztin um ein Attest zur Entbindung von der Maskenpflicht gebeten. Sie kennt mich schon lange und hat mir nach einer gründlichen Untersuchung und Befragung eins ausgestellt.

Als ich dann aber zum ersten Mal nach langer Zeit ‹oben ohne› einen Laden betrat, war das fast schon eine Art Mutprobe. Ich war ziemlich nervös und rechnete ständig damit, dass ich angesprochen oder womöglich angepöbelt werde. Ich habe natürlich die Diskussion rund um die Coronaskeptiker mitverfolgt, und die Fronten sind da schon sehr verhärtet. Aber ich will auf keinen Fall in die Maskenverweigerer-Verschwörer-Ecke gedrängt werden. Und dass ich aus gesundheitlichen Gründen keine Maske tragen kann, sieht man mir ja nicht an.



Die ersten paar Male ging alles gut. Wenn überhaupt, wurde ich nur von den Verkaufsmitarbeitenden auf die Maskenpflicht aufmerksam gemacht. Ich zeigte dann mein Attest, worauf sich manche sogar entschuldigen, was mir dann auch wieder unangenehm ist, weil den Läden ja die Schliessung droht, wenn sie die Maskenpflicht nicht kontrollieren.

Leider kam es auch einige Male zu ungefreuten Begegnungen. Ein älterer Mann beispielsweise beschimpfte mich lautstark als Drückebergerin und Virenschleuder. Und ein anderes Mal forderten mich zwei Frauen mit sehr unfreundlich Worten auf, den Laden sofort zu verlassen. Für mich ist das unangenehm, aber ich nehme an, solche Menschen haben einfach Angst davor zu erkranken.

Aber ich respektiere das und achte immer sehr darauf, dass ich genügend Abstand zu den anderen Kundinnen und Kunden halte, und Handdesinfektion ist sowieso ein Muss. Und ja, ich gehe nur in Läden, in denen ich mich sehr gut auskenne und ganz schnell meine Einkäufe zusammen habe. Und auch das nur, wenn sich ganz wenige Leute im Geschäft befinden. Mehr als zwei, drei Minuten dauert meine Einkaufstour nie, und ich bezahle möglichst am Self-Check-out.

Manche meiner Freunde und Bekannte beneiden mich, weil ich keine Maske tragen muss, aber mal ehrlich: Ich kann zwar frei atmen, aber ich falle halt auch genau deswegen auf – und muss mich deshalb anpöbeln lassen oder rechtfertigen.

Leider hat sich meine Hoffnung, dass die Maskenpflicht im Kanton Zürich demnächst wieder aufgehoben wird, zerschlagen. So wie es aussieht, bleibt das Obligatorium noch lange erhalten, egal, wie sich die Zahl der positiv Getesteten entwickelt. Denn wenn es immer weniger werden, heisst es, das ist auf das Maskenobligatorium zurückzuführen und darum wird es beibehalten. Und wenn es mehr Fälle werden, ist das erst recht ein Grund, weiterhin auf die Maskenpflicht zu bestehen.»

*Name von der Redaktion geändert

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