Ernährung Vorsichtig essen? Warum keiner mehr von Schonkost spricht

dpa/phi

17.10.2020

Nicht angebraten, unbedingt fettarm, kaum gewürzt: Was als Schonkost auf den Tisch kommt, scheint kaum schmackhaft. Gourmets können jedoch aufatmen – das Konzept ist überholt. Aus gutem Grund.

Bei Schonkost denken wohl die meisten an labberiges und fades Spital-Essen. Und der Begriff hält sich hartnäckig – obwohl es ihn eigentlich gar nicht mehr gibt. An seine Stelle ist die «angepasste Vollkost» getreten, bei der viel mehr auf individuelle Bedürfnisse eingegangen werden soll.

Doch erstmal zurück zum «berüchtigten» Begriff, seiner Geschichte – und einer Klarstellung: Die eine Schonkost gab es eigentlich nicht, erläutert Sabine Ohlrich-Hahn, Vizepräsidentin des Verbandes der Diätassistenten - Deutscher Bundesverband (VDD). Vielmehr gab es bis etwa Mitte der 70er Jahre verschiedene Arten für unterschiedliche Organe. Magen-, Gallen- oder Leberschonkost zum Beispiel.

So viele verschiedene Gerichte anzubieten, war in Krankenhäusern allerdings gar nicht möglich. Und so entwickelte sich das, was wir noch heute unter Schonkost verstehen: «Es wurde nichts angebraten und nur mild gewürzt», erläutert Ohlrich-Hahn, die auch Mitarbeiterin im Studiengang Diätetik an der Hochschule Neubrandenburg ist.

Kurswechsel bei Kranken

Dazu stand nur leicht verdauliches Gemüse auf dem Speiseplan: «Viel mehr als Möhren, Sellerie und vielleicht ein paar Blumenkohlröschen gab es nicht.» Die Kost sollte ausserdem möglichst fettarm sein. Vollkorn gab es nur wenig und wenn, dann fein vermahlen.

Hinter diesem Angebot steckte die Ansicht, dass mit einer solchen Kost der Verdauungstrakt und somit der Körper geschont und dadurch die Genesung – etwa nach einer Operation – beschleunigt wird.

Essensportionen in einem Zürcher Spital.
Essensportionen in einem Zürcher Spital.
Symbolbild: Keystone

Gegen Ende der 70er Jahre gab es einen Paradigmenwechsel: Die Schonung der Patienten verlor an Bedeutung, die Liegezeiten wurden kürzer. Und auch die Ernährung veränderte sich. «Die Patienten wurden nicht mehr geschont, sondern sollten möglichst schnell stabilisiert werden, damit eine abwechslungsreiche und gesundheitsfördernde Ernährungsweise möglich ist», so Ohlrich-Hahn.

Zwiebeln, Kohl und Scharfes passé

Bei der Schonkost ist das nicht der Fall: «Die Ernährung ist einseitig, es werden Dinge weggelassen, die eigentlich wichtig wären», erläutert die Expertin. Ausserdem werden nicht alle Bedarfe gedeckt. Als Beispiele nennt sie die unzureichende Ballaststoffzufuhr und den Mangel an hochwertigen Fetten. So eine Ernährung rege zudem nicht zum Essen an und trage auch nicht zum Wohlbefinden bei.

1978 wurde der Begriff Schonkost durch den der «leichten Vollkost» ersetzt. Diese Ernährungsweise sollte durch das Weglassen bestimmter Lebensmittel oder Garmethoden zwar leichter verdaulich sein als die Vollkost, aber trotzdem den Bedarf in allen Bereichen abdecken.

Laut Ohlrich-Hahn wurde etwa auf grössere Mengen Hülsenfrüchte, stark geröstete Speisen, Kohlsorten wie Sauerkraut, Grünkohl oder Zwiebeln, scharfe Gewürze oder fetten geräucherten Fisch verzichtet.

Mit Anpassungen besser durch den Alltag

Allerdings ist auch der Begriff der leichten Vollkost inzwischen überholt: 2019 wurde er im Leitfaden für Ernährungstherapie in Klinik und Praxis (LEKuP) durch «angepasste Vollkost» ersetzt. Hier sollen vor allem individuelle Unverträglichkeiten berücksichtigt werden.

«Gegessen werden kann, was vertragen wird», erläutert Ohlrich-Hahn das Konzept. «Einer könnte täglich Brokkoli essen, der andere bekommt davon Blähungen. Und beide haben Recht. Das ist ein Phänomen, das man nicht erklären kann.»

Wenn man etwas nicht verträgt, bekommt man beispielsweise Bauchweh, hat ein Völlegefühl, muss oft aufstossen oder hat Blähungen. «Solche unspezifischen Beschwerden müssen keine diagnostizierbare Unverträglichkeit als Ursache haben», so Ohlrich-Hahn.

Einseitige Ernährung vermeiden

In der Regel merkt man im Laufe der Zeit, welche Lebensmittel solche Beschwerden auslösen und kann darauf verzichten. So ernährt man sich dann ganz im Sinne der angepassten Vollkost. Zwingend ratsam ist der Verzicht für Menschen mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen oder diagnostizierten Lebensmittelintoleranzen.

Im Zweifel kann man ein Ernährungstagebuch führen und sollte Beschwerden ärztlich abklären lassen. Aber dies sei nur ein erster Schritt und reiche nicht aus, weil es das Problem in der täglichen Ernährung nicht löse, betont Ohlrich-Hahn. Schliesslich müsse man auch Alternativen finden, um eine einseitige Ernährung zu vermeiden. Hier kann eine professionelle Ernährungsberatung helfen.

In der Regel könne man seinem Körper vertrauen, sagt Prof. Diana Rubin aus dem Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM). «Bei einer Durchfallerkrankung hat man in der Regel keinen Appetit und isst automatisch fettarm und leichter verdaulich», erläutert die Leiterin des Zentrums für Ernährungsmedizin am Vivantes Klinikum Berlin

Drei Stufen der Basiskost

Auch nach grösseren Operationen kann die Vollkost, selbst wenn sie angepasst ist, Beschwerden verursachen. «Bei uns gibt es dann die sogenannte Basiskost», erklärt Rubin. Nach Eingriffen an der Bauchspeicheldrüse oder Magenentfernungen stehen dann zum Beispiel zunächst Suppen, Brei, Weissbrot, Fruchtmus und vor allem eiweissreicher Joghurt auf dem Speiseplan.

«Diese Form der Ernährung ist nur für wenige Tage geeignet, da sie nicht bedarfsdeckend ist», betont Rubin. «Bei uns gibt es drei Stufen der Basiskost. Das ist keine therapeutische Diät, sondern eine begleitende Ernährung, die dem Kostaufbau dient.»

Auch wenn Suppe, Brei und Co. nach wenig klingen: «Die Ernährung nach Operationen ist viel progressiver geworden. Früher gab es längere Nüchternphasen und einen langsameren Kostaufbau», weiss Rubin. «Heute können Patienten beispielsweise bereits einen Tag nach einer Blinddarmentfernung wieder leichte Vollkost essen.»

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