Kolumne Abnehmen mit Diätprogrammen – funktioniert das wirklich?

Von Jürg Hösli

5.10.2020

Abnehmprogramme und -Apps boomen, doch meist bringen sie mehr Frust als Lust.
Abnehmprogramme und -Apps boomen, doch meist bringen sie mehr Frust als Lust.
Bild: Getty Images

«Fit in zehn Wochen» ist die Devise. Online-Abnehmprogramme haben Hochkonjunktur und treffen den Nerv der Zeit. Was Diäten aus dem Netz bringen und wie einem der Jojo-Effekt nicht umso gewichtiger einholt. 

Die Welt ist nicht erst seit Corona übergewichtig. Seit diesem Frühjahr wird vielen von uns umso mehr bewusst, dass Übergewicht ein Risikofaktor für erhöhte Sterblichkeit ist. Abnehmen ist also Trumpf.

Abnehmprogramme im Internet schiessen wie Pilze aus dem Boden, denn es ist lukrativ, den teuer angefressenen Speck noch etwas teurer loszuwerden.

Umso mehr will man dann auch Erfolg haben – doch der ist eben langfristig bei kaum einem Programm garantiert. Wie also entscheiden, ob ein Angebot Sinn macht oder nicht?

Frauen nehmen nicht gleich schnell ab wie Männer

Leider haben es Frauen deutlich schwerer abzunehmen als Männer. Reduzieren die Männer die Kohlenhydrate etwas und Kalorien, vor allem am Abend, purzeln schon die Pfunde.

Wenn Paare zusammen das gleiche Diätprogramm wählen, bietet dies grosses Frustpotenzial. Denn lässt eine Frau die Kalorien weg und isst deutlich weniger, muss sie noch lange nicht abnehmen.

Zum Autor: Jürg Hösli
Jürg Hösli
zVg

Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur und Zürich.

Der weibliche Körper beginnt relativ schnell die Fettreserven, vor allem in den Extremitäten, zu sichern oder gar zu erhöhen. Ein Programm, welches nicht zwischen Männern und Frauen unterscheidet, ist deshalb zum Scheitern verurteilt.

Frauen brauchen mehr Kohlenhydrate 

Bei der Ernährung sind Frauen meist viel strikter als Männer. Nach dem Motto: Wenn schon, dann grad richtig.

Leider sind Kohlenhydrate oft das wichtigste Ernährungsfeindbild vieler Frauen. Komplett zu Unrecht. Wir vermessen bei all unseren Kunden Körperfettzonen und passen Ernährungsformen an. Und wir sehen: Gerade Frauen, die in Armen und Beinen deutlich mehr Körperfett haben, profitieren von einer kohlenhydratreichen Ernährung.

Dies ist auch die Ursache, warum viele Frauen bei einem Wechsel zur veganen Ernährung eine deutliche Körperfettreduktion erfahren. Nicht, weil sie plötzlich kein Fleisch mehr essen, sondern deutlich mehr Kohlenhydrate. Darum bietet ein Abnehmprogramm, das nicht zwischen verschiedenen Körpertypen unterscheidet, oft mehr Frust als Lust. Die einen brauchen mehr Kohlenhydrate, andere wiederum weniger!

Abnehmprogramme arbeiten oft mit zu wenig Kalorien

In der Beratung sehen wir oft, dass viele Klienten zu wenig statt zu viel essen. Über den Tag wird kaum etwas gegessen. Am Abend kommt dann die grosse Sause. Wer den Tank seines Autos zweimal füllen will, der hat einmal Sauerei am Boden. Bei der Ernährung ist dies gleich. Nur dass dann die Sauerei nicht am Boden ist, sondern am Bauch.

Es kommt eben nicht nur darauf an, wie viel man isst, sondern auch wann. Dem tragen aber viele Abnehmprogramme keine Rechnung. Sie reduzieren nochmals die Kalorienmenge bis weit unter den Grundbedarf. Der Körper ist aber ein ökonomisches System und unsere Genetik ein guter Geschäftsführer.

Daher reduziert nun der Körper einfach den Verbrauch und sorgt für mehr direkte Einlagerung in den Fettreserven, auch bei weniger aufgenommenen Kilokalorien. Dieser Überlebensmodus sorgt zum Schluss einer Diät auch schnell wieder für den Jojo-Effekt.

Ein gutes Abnehmprogramm erkennt man an der Tatsache, dass zuerst mehr als gewöhnlich gegessen werden muss.

Bei Stress keinem Abnehmprogramm folgen

Der Körper ist vergleichbar mit einer Firma: Um richtig und erfolgreich arbeiten zu können, braucht die Firma genügend Cash. Wer also im Alltag eine besonders intensive Zeit vor sich hat, sollte auf keinen Fall ein Abnehmprogramm mit einer deutlichen Kalorienreduktion starten. Diese Energie wird im Alltag gebraucht.

Wer trotzdem startet – mit dem Ziel gross Körperfett zu verlieren – muss mit Dünnhäutigkeit und Schlafstörungen rechnen. Solche Symptome sind ein Zeichen dafür, dass der Körper dem Kopf auch einmal die Meinung geigen darf.

Wer zu viel trainiert, nimmt zu

Stress ist eben nicht nur im Alltag ein grosser Verhinderer von Körperfettreduktion, sondern auch zu viel Sport. Jegliche Überlastung sorgt dafür, dass weniger Energie in die Muskulatur gespeichert wird, sondern direkt in die Fettreserven transportiert wird. Der Körper schützt sich so zusätzlich vor Überlastung.

Die Oberschenkel beginnen immer mehr zu brennen, man muss immer mehr atmen, wenn man die Treppe hochsteigt, Leistung ist immer weniger möglich. Darum ist es zentral, dass ein Abnehmprogramm genau auf deine persönliche Regenerationsfähigkeit eingeht. Jedes zu viel an Training sorgt für viel Frust auf der Waage!

Wichtig ist nun zudem, dass Alltagsstress und schlechter Schlaf direkt auf diese Regenerationsfähigkeit einen Einfluss haben. Haben wir viele Termine in einer Woche, sollten wir weniger trainieren. Berücksichtigt dies ein Programm nicht, können Überlastungen und Verletzungen folgen.

Langfristiges Abnehmen ist nicht so einfach, wie immer alle denken. Wer sich einem Computerprogramm anvertraut, sollte erst überprüfen, ob all die obigen Punkte berücksichtigt werden. Sonst sind Frust, körperliche Symptome oder Verletzungen schneller da, als das Geld weg ist.

Mehr zu «blue News»-Kolumnist Jürg Hösli finden Sie auf der Seite des erpse-Instituts.

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