Kolumne Zucker – welche Behauptungen über ihn stimmen denn nun?

Von Jürg Hösli

2.3.2020

Die gute Nachricht: Zucker ist nicht per se ungesund. Er kann es aber schnell mal werden.
Die gute Nachricht: Zucker ist nicht per se ungesund. Er kann es aber schnell mal werden.
Bild: Getty Images

Zucker macht süchtig, hungrig, krank, Forscher überführen ihn als wahren Krankmacher. Wie bitter die Wahrheit über Zucker wirklich ist – das beschreibt Jürg Hösli hier facettenreich.

Es überschlagen sich die Aussagen von Politikern und Hobby-Verschwörungstheoretikern, wenn es um den Zucker geht.

Zucker ist Mord, Zucker ist eine Droge, Zucker fördert Krebs – das sind nur einige jener Behauptungen, die auch immer wieder in einschlägigen Foren herumgeistern. Ich versuche einmal etwas Licht ins Dunkel zu bringen.

Zuerst wollen wir uns den Verschwörungstheorien widmen:

Macht Zucker süchtig?

Nein. Wir sehen zwar, dass das Glückszentrum aktiviert wird, wenn wir Schokolade oder etwas Süsses essen, aber das tut es auch, wenn wir Welpen sehen. Ab und zu etwas Schoggi zu geniessen, macht uns schlicht und einfach: glücklich.



Wenn wir die Menge Früchte über den Tag erhöhen und weniger Stress im Alltag haben, fällt auch die unbändige Lust auf Süsses normalerweise komplett weg. Wenn Zucker eine Droge wäre, würde das nicht passieren.

Essen wir immer mehr Zucker?

Weltweit gesehen ja, aber nicht in unseren Breitengraden. Der Zuckerkonsum stagniert sogar seit den 70er-Jahren. Die Europäer werden durchschnittlich aber immer dicker. Einen direkten Zusammenhang gibt es also kaum.

Was sich in den letzten 50 Jahren klar verstärkt hat, ist aber der Alltagsstress und der Druck auf jeden von uns. Hier einen Zusammenhang zu sehen, liegt eher auf der Hand.

Fördert Zucker Erkrankungen?

Es ist sicher so, dass Menschen, die den ganzen Tag lang Zucker essen, vermehrt mit Erkrankungen zu kämpfen haben. Und noch einmal: Ebenso evident ist, dass viele Menschen vermehrt zu zuckerhaltigen Speisen greifen, weil sie gestresst sind. Zucker sollte aus Fertigprodukten entfernt werden – dort hat er eigentlich nichts zu suchen.

Ich möchte hier noch ein anderes Beispiel aus meinem Alltag erzählen: Ein Patient sagte zu unserem Diabetologen, dass er immer am Abend Heisshunger habe und etwas aggressiv sei. Der Diabetologe scherzte daraufhin, er solle doch zwei «Snickers» zu sich nehmen bevor er jeweils nach Hause gehe. Als der Patient die Aussage für bare Münze genommen hatte, war die Folge: Er hatte am Abend keine Heisshungerattacken mehr, womit er auch deutlich weniger gegessen hat als zuvor. 



Sein Langzeitzucker ist massiv zurückgegangen, und weitere gesundheitliche Faktoren haben sich deutlich verbessert. «Snickers» nun als Diabetesmedikament zu verkaufen, wäre aber ebenso abenteuerlich wie zu behaupten, dass es nur der Zucker sei, der Erkrankungen auslösen würde. Es ist der Lebensstil.

Die Sache mit dem Haushaltszucker

Worin liegt eigentlich das Problem des Haushaltszuckers? Zucker, also Saccharose oder Haushaltszucker, besteht aus Glukose und Fruktose. Wenn wir Süssgetränke über den Tag konsumieren, führen wir uns eine grosse Menge dieser Fruktose zu – eine Leberverfettung droht! Ein Liter Cola hat beispielsweise die Menge Fruktose von elf Äpfeln. Elf!

Auf Früchte als Zwischenmahlzeit zu verzichten, weil man Angst vor Fruktose hat, ist jedoch komplett übers Ziel hinausgeschossen. Viele Früchte führen wichtige Puffersubstanzen mit, die Entzündungen reduzieren können. Bei Fruchtsäften zwischendurch ist jedoch Vorsicht geboten.

Konsumieren wir Süsses, führt dies oft zu einer folgenden Unterzuckerung mit Hungerattacke, Lust auf Süsses, Salziges oder Brot. Was aber noch schlimmer ist: Der Stresshormonspiegel Cortisol steigt, und Körper wie Psyche kommen in einen erhöhten Stress.

Es fällt auf, dass vor allem diejenigen am Nachmittag mehr Süsses konsumieren, die sich gerade einmal ein «Salätchen» zum Mittagessen «gönnen». Salat ist aber eine Beilage und kein Essen – kein Wunder folgt danach die Lust auf Zucker.

Zucker ist also gefährliches Zeug?

Stimmt nur zur Hälfte. Zeitpunkt und Menge sind das Problem. Wenn ich nach dem Mittagessen mal ein kleines Stück Kuchen esse, dann geht der Blutzuckerspiegel nicht durch die Decke. Ich kann mir ruhig etwas Soulfood gönnen.

Zucker ist auch ein geiles Zeug!

Wirklich? Ja! Beispiel: Wenn wir Zucker zu einem intensiven Training verwenden. Genügend Glukose ist die Voraussetzung dafür, dass wir während des Trainings auch wirklich härter trainieren können und vermehrt Säuren bilden. Säuren bzw. die aus Milchsäuren entstehende Base Laktat haben unter Trainingsbedingungen viele stimulierende Wirkungen auf den Körper: Wir verbessern die Durchblutung und die Pufferung, das macht die Zelle allgemein fitter für Stress im Alltag. Cool, oder?



Bei intensivem Training hat Zucker in Form einer Apfelschorle, eines Sportgetränks oder sogar als Energy-Getränk gemischt mit Wasser einen gesundheitlich positiven Effekt, erhöht die Trainingsintensität und überhaupt den Spass am Training, senkt die Ermüdung und die Verletzungsgefahr. Ein weiterer positiver Faktor ist, dass wir dann nach dem Training den Kühlschrank eher nicht bestürmen.

Was ist nun das Fazit?

Nicht nur die Menge macht das Gift, sondern auch der Zeitpunkt. Trinken wir über den Tag literweise Fruchtsäfte, Süssgetränke oder essen Schokolade, ebnen wir einer Erkrankung natürlich den Weg. Ein kleines Dessert zum Mittagessen hat aber noch niemandem geschadet. Vor dem Training darf es auch einmal etwas Schokolade sein. Das macht uns fitter für Stress – und lecker ist's ohnehin!

Einmal für eine gewisse Zeit über den Tag Zucker wegzulassen, würde ich generell jedem empfehlen. Doch sollte dann auch die Basisernährung ausgewogen sein und nicht nur aus Gemüse und Salat bestehen. Die Menge macht das Gift – das wussten schon unsere Urgrosseltern.

Zum Autor: Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur und Zürich.

«Die Kolumne»: Ihre Meinung ist gefragt

In der Rubrik «Die Kolumne» schreiben Redaktorinnen und Redaktoren von «Bluewin» regelmässig über Themen, die sie bewegen. Leserinnen und Leser, die Inputs haben oder Themenvorschläge einreichen möchten, schreiben bitte eine E-Mail an: redaktion2@swisscom.com

Bilder des Tages

Zurück zur Startseite