Extremsport Andrea Huser: «100 Kilometer bringen mich nicht mehr an meine Grenzen»

Marjorie Kublun

12.9.2017

Die Schweizer Mammut Pro Team Athletin Andrea Huser hat jede Menge sportliche Erfolge nachzuweisen. Ob zu Fuss, im Wasser oder auf dem Mountainbike - ihre Ausdauer scheint endlos, kein Weg zu steinig. Gerade nahm sie am «Ultra-Trail du Mont-Blanc» teil und wir gratulieren zum 2. Platz. Grund genug mit ihr ins Plaudern zu kommen und ihr ein paar Erfolgs-Geheimnisse zu entlocken.

«Bluewin»: Woran liegt der Reiz an einem Sport mit Grenzerfahrung und wann haben Sie gedacht «jetzt möchte ich mehr als nur Hobbysport»?

Andrea Huser: Es hat sich schleichend ergeben. Ich wollte eigentlich nur ein mal eine Grenzerfahrung erleben und habe einen langen Triathlon gemacht, da hat es mich dann gepackt. Ab dem Zeitpunkt war ich vom «Virus» infiziert, solche Herausforderungen anzunehmen. Die Grenzen verschieben sich auch. Ich komme manchmal nicht mehr an meine Grenzen, wenn ich 100 km laufe. Es kommt immer drauf an, wie es mir gerade geht.

Immer weiter, immer höher - sind Sie süchtig nach Sport?

Süchtig hört sich  für mich irgendwie krank an und es ist keine psychische Krankheit. Der Sport gibt einem viel zurück durch die Erlebnisse, die vielen Emotionen, die Höhen und Tiefen. Das ist vielleicht der Reiz daran, es immer wieder machen zu wollen. Ich bewege mich gerne in der Natur, auch ein wichtiger Grund, warum ich das mache. Ich muss aber zugeben, dass ich es im Leben brauche. Aber ich finde nicht, dass es eine Sucht ist.

Gibt es für Sie eine Grenze?

Ich würde keine gefährlichen Sportarten machen wie Base Jumping, auch wenn hinterher jede Menge Endorphine ausgeschüttet werden. Ich mache gerne Sport, den man kontrollieren kann.

Kann man den Willen, es noch weiter zu schaffen, trainieren oder ist es am Ende doch wieder eine Frage der Fitness?

Der Wille spielt auf jeden Fall eine grosse Rolle. Wenn man unbedingt etwas erreichen will, kann man auf ein Ziel hinarbeiten. Natürlich muss man genau wissen, was man will. Zielorientiert durch den Willen etwas erreichen, das kann man trainieren.

Was passiert im Kopf wenn man müde wird? Wie sorgt er dafür, dass wir weitermachen?

Ich setze mir kleine Ziele. Bei den Ultra-Trails beispielsweise gibt es Verpflegungsposten, da habe ich meistens auch jemanden, der mich betreut. Um mich zu motivieren, denke ich meistens an die nächste Station. Das hilft sehr. Vor Allem ist es wichtig, nicht schon zu Beginn daran zu denken, was man noch vor sich hat. Ich hake im Kopf immer ab, was ich schon erledigt habe.

Haben Sie einen Tipp, wie man sich selber überlisten kann?

Mir hilft die Erfahrung, zu wissen, dass auch die müden, schwierigen Phasen vorübergehen. Nach jedem Tief kommt auch wieder ein Hoch. Daran versuche ich mich in solchen Momenten immer zu erinnern. Wenn es einem gerade sehr schlecht geht, ist es natürlich schwer daran zu glauben. Dann versuche ich, in dem Moment zu bleiben und nicht zu weit zu denken. Im Jetzt zu sein hilft, zum Beispiel indem man die wunderschöne Landschaft bewundert.

Welchen Tipp geben Sie einem Hobbysportler?

Geduld haben. Nicht schon zu früh die Nerven verlieren und aufgeben. Jede Krise geht vorbei.

Wo werden Sie im Alltag schwach?

Ich esse liebend gerne Kuchen. Dem kann ich kaum widerstehen! Wir Sportler müssen ja auf eine gesunde Ernährung achten. Zucker und zu viel Fett sind natürlich nicht optimal.(lacht) Ansonsten schiebe ich gerne Dinge vor mir her.

«Der «Ultra-Trail du Mont-Blanc» war der Lauf meines Lebens»

Andrea Huser, Mountainbikerin, Triathletin und Multisportlerin

Haben Sie ein «Geheimnis», wie Sie so viel erreicht haben?

Znächst ist es definitiv die Freude an dem, was ich tue. Ich setze mir gerne Ziele und nehme gerne Herausforderungen an. Dann finde ich den menschlichen Körper wahnsinnig spannend. Ihn so zu trainieren, dass er zu solchen Leistungen fähig ist, fasziniert mich. Die ganze Trainingswissenschaft interessiert mich. Und ich brauche Abwechslung im Leben. Manchmal habe ich durch Zufall Herausforderungen gefunden und angenommen. Und «Wow-Erlebnisse». Wenn du merkst «du kannst das ja» oder «da kannst du ja mithalten» - das ist extrem motivierend.

Woran scheitert es Ihrer Meinung nach bei jenen, die es nicht ganz an die Spitze schaffen?

Viele haben einfach zu hohe Erwartungen und sind letztendlich total überfordert. Eine realistische Einschätzung ist hilfreich. Klein anfangen, das motiviert.

Worin besteht der Kick, an seine Grenzen zu kommen?

Es ist dieses Gefühl danach: «Wow, ich habe es wieder geschafft». Die Endorphine, die im Gehirn ausgeschüttet werden, spürt man im ganzen Körper. Tagelang hat man danach noch ein Glücksgefühl! (lacht)

So lange hält das Glücksgefühl an?

Drei Tage lang bin ich nach einer grossen sportlichen Aktivität wie dem Ultra-Trail auf einer Wolke. Aber auch schon wenn ich mich zu einem guten Training überwunden habe, fühle ich mich im Anschluss super.

Haben sie Ihr Limit schon einmal überschritten und sich Verletzungen zugezogen?

Nein eigentlich nicht. Mir wurde wahrscheinlich eine gute körperliche Konstitution mitgegeben.

Welche Schmerzen sind normal? Und wo ist der Punkt erreicht, an dem Sie abbrechen?

Das weiss man dank Erfahrung. Muskuläre Schmerzen, die auftauchen, wenn man lange abwärts laufen muss, kann man «überlaufen». Solche Schmerzen sollte man versuchen zu ignorieren, da sie nicht schlimm sind. Nach ein paar Tagen hat man sich regeneriert. Auch Blasen an den Zehen werden meist nicht schlimmer. Die bleiben dann einfach. Solange ein Schmerz stagniert und nicht schlimmer wird, versuche ich ihn zu ignorieren. Manchmal taucht dann ein Schmerz wie Verspannungen oder Überlastungen an einem anderen Ort des Körpers auf.

Wie bereiten sie sich die letzten zwei Wochen auf ein Rennen vor?

Ich fahre den Trainingsumfang zurück und mache nur noch kurze und schnelle Einheiten, damit ich den Muskeltonus bereithalte. Ich muss schon etwas machen, denn wenn ich gar nichts mache, schläft mein Körper ein. Jedoch pausiere ich ein, zwei Tage die Woche.

Wie sieht der Tag vorher aus? Achten sie da auf bestimmte Dinge wie Schlaf, Ernährung, Ruhe oder Training?

Meistens mache ich am Morgen vor dem Frühstück einen halbstündigen lockeren Lauf mit ein paar Sprints. Das ist mein Ritual. Den restlichen Tag verbringe ich recht entspannt mit Vorbereitungen des nächsten Tages, die sich rund um die Ernährung und meine Betreuung am Streckenposten drehen. Ich versuche möglichst viel zu ruhen.

Ihr grösstes sportliches Highlight bisher?

Eine Zeit lang habe ich Adventure Rennen gemacht, das sind extreme Teamrennen, die bis zu sieben Tage gehen. Flussüberquerungen, Abseilen, Mountainbike,Trekking und im Anschluss noch Kayaken und das alles ohne Schlaf. Das waren unglaubliche Erlebnisse, auch weil es sehr auf den Teamzusammenhalt ankommt. Dabei geht man wirklich bis an seine Grenzen. Nach drei Tagen kämpft man zusätzlich gegen die Wetterbedingungen und insbesondere gegen den Schlafmangel, weil man non-stop weiterläuft. Alle 48 Stunden haben wir circa zwei Stunden «Power-nap» gehalten. Der Lauf meines Lebens war aber der «Ultra-Trail du Mont-Blanc» letztes Jahr, beim berühmtesten Ultratrail der Welt auf Platz 2 ins Ziel zu laufen und tausende Zuschauer winken einem zu! Das war wirklich ein Highlight, das ich nie vergessen werde.

Was steht dieses Jahr bei Ihnen noch auf dem Programm?

Unter anderem möchte ich nun nach dem «Ultra-Trail du Mont-Blanc» meinen Titel auf La Réunion verteidigen und «La diagonale des fous», ein Lauf quer durch die Insel im Oktober absolvieren.

Haben Sie ein Ritual oder einen Glückbringer?

Eigentlich nicht. Obwohl ich manchmal schon denke «dieses Outfit oder diese Schuhe haben dir letztes Jahr Glück gebracht». Aber ich versuche, mich nicht darauf zu fixieren, damit ich auch andere Kleidung anziehe. (lacht)

Zur Person:

Andrea Huser (geb. am 11. Dezember 1973 in Alt St. Johann) ist eine Schweizer Triathletin, Mountainbikerin und Multisportlerin. Sie ist Mitglied des Mammut Pro Teams. Andrea Huser ist Mountainbike-Europameisterin (2002) und Schweizer Meisterin Mountainbike-Marathon (2004, 2014). Seit 2014 ist sie auf Ultra-Trail-Läufe spezialisiert.

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