Françoise Gilot Die einzige Frau, die Pablo Picasso den Schuh gab

Von Bruno Bötschi

20.4.2024

Im Leben von Pablo Picasso gab es viele Frauen. Für die meisten von ihnen endete die Liebe böse – nicht so für Françoise Gilot. Sie gilt als einzige Frau, die den Jahrhundertmaler je verliess, statt von ihm verstossen zu werden.

Von Bruno Bötschi

20.4.2024

Keine Zeit? blue News fasst für dich zusammen

  • Künstlerin Françoise Gilot war zehn Jahre lang Pablo Picassos Geliebte und Muse. Sie ist ausserdem die Mutter seiner Kinder Claude und Paloma.
  • Im Leben des Jahrhundertmalers gab es viele Frauen. Für die meisten von ihnen endete die Liebe böse – nicht so für Gilot.
  • Journalist Malte Herwig sprach ab 2012 regelmässig mit der 2023 verstorbenen Künstlerin, von der kürzlich das «Portrait de Geneviève avec un collier de colombes» für 840'000 Euro versteigert wurde.
  • «Sie war noch im hohen Alter voller Energie, unglaublich lebendig. Also ich sie das erste Mal anrief, meldete sich eine Stimme, die verblüffend jung klang. Ich konnte kaum glauben, dass Françoise Gilot bereits 90 Jahre alt war», sagt Herwig gegenüber blue News.

Malte Herwig, Sie schreiben regelmässig Texte und Bücher über bekannte Menschen im hohen Alter. Was interessiert Sie an diesen Persönlichkeiten?

Hundertjährige haben mehr zu erzählen als Halbstarke, schon allein aufgrund ihres Lebensalters. Sie sind Zeitzeugen längst vergangener Epochen, und meine Gespräche mit diesen Menschen sind die letzte Möglichkeit, ...

... noch etwas aus erster Hand über diese Zeiten zu erfahren.

So ist es. Wie tickten die Menschen damals? Wie hat sich das angefühlt, in einer Zeit zu leben, die wir nur vielfach widergespiegelt und trocken durchgekaut aus Geschichtsbüchern kennen? Ich habe einmal in Hong Kong die Kriegsreporterin Clare Hollingworth interviewt, da war sie schon 100 Jahre alt und fast blind.

Was erzählte Ihnen Clare Hollingworth?

Sie erzählte mir, wie sie im September 1939 in Polen deutsche Panzer über die Grenze rollen sah und als erste Journalistin weltexklusiv den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs meldete. Seitdem hatte diese erstaunliche Frau aus zahlreichen Krisengebieten berichtet. Auch mit 100 Jahren schlief sie noch immer mit ihrem Reisepass unter dem Kopfkissen, um sofort aufbrechen zu können, falls irgendwo wieder ein Krieg ausbricht.

Im März versteigert das Auktionshaus Sotheby’s das «Portrait de Geneviève avec un collier de colombes» der 2023 verstorbenen französischen Künstlerin Françoise Gilot für 840'000 Euro. Das sei das Vierfache des Schätzpreises, teilte das Auktionshaus danach mit. Gilot war zehn Jahre mit dem fast 40 Jahre älteren Pablo Picasso liiert. Sie kannten die Künstlerin persönlich. Wie kam es dazu?

Vor zwölf Jahren las ich in einer Zeitung über eine Ausstellung zum Thema «Picasso und die Frauen». Da waren Porträts seiner Musen und Geliebten abgebildet, unter denen die Namen und Lebensdaten standen:

Fernande Olivier (1881 bis 1966), Olga Chochlowa (1891 bis 1955), Marie-Thérèse Walter (1909 bis 1977), Dora Maar (1907 bis 1997), Jacqueline Roque (1927 bis 1968). Bei Françoise Gilot stand «1921 bis ». Ich hielt das erst für einen Druckfehler. War diese Frau wirklich noch am Leben? Und wo könnte ich sie finden?

Wie ging es danach weiter?

Ich habe mich auf die Suche gemacht und nach einer ziemlich langen Recherche – die Frau schien wie vom Erdboden verschluckt – über eine Galerie in New Orleans schliesslich eine Telefonnummer in New York bekommen.

«Hundertjährige haben mehr zu erzählen als Halbstarke, schon allein aufgrund ihres Lebensalters»: Malte Herwig, Journalist und Podcaster.
«Hundertjährige haben mehr zu erzählen als Halbstarke, schon allein aufgrund ihres Lebensalters»: Malte Herwig, Journalist und Podcaster.
Bild: Christina Körte / Molden Verla

Wann und wo trafen Sie Françoise Gilot zum ersten Mal?

2012 in ihrem Pariser Atelier am Montmartre, wo Françoise Gilot den Sommer verbrachte. Wir sprachen mehrere Stunden. Sie war eine tolle Erzählerin – und nicht nur von ihrer Zeit mit Pablo Picasso.

Was war die Künstlerin für ein Mensch?

Sie war noch im hohen Alter voller Energie, unglaublich lebendig. Sie malte und zeichnete noch immer jeden Tag. Also ich sie das erste Mal anrief, meldete sich eine Stimme, die verblüffend jung klang. Sie lachte oft schallend. Ich konnte kaum glauben, dass Françoise Gilot bereits 90 Jahre alt war.

Was wollten Sie von Frau Gilot wissen?

Ich wollte wissen, was davor und danach in ihrem Leben geschehen war. Sie war bereits Malerin, bevor sie Pablo Picasso 1943 im von den Deutschen besetzten Paris kennen lernte. Sie hatte Jura und Philosophie studiert und war eine sehr kluge und intelligente Frau, während Picasso eher ein Instinktmensch war. Gleichzeitig war sie eine grosse Philosophin der Kunst und des Lebens.

Was haben Sie die Gespräche mit Françoise Gilot gelehrt?

Ich habe unglaublich viel von ihr gelernt, zum Beispiel, wie wir die Welt um uns herum anders wahrnehmen können. Sie hat mir nicht das Malen beigebracht, sondern wie ich meine Umgebung mit neuen Augen sehen und bewusster erleben kann. Insofern ist mein Buch «Die Frau, die Nein sagt» nicht nur ein Buch über die Kunst, sondern auch über die Kunst des Lebens.

Françoise Gilot und Pablo Picasso wurden Eltern von den zwei Kinder Claude und Paloma. Gilot gilt als einzige Frau, die den Jahrhundertmaler je verliess, statt von ihm verstossen zu werden. Warum wird dies immer herausgestrichen, wenn über die Künstlerin geschrieben wird?

Für Picasso waren Frauen entweder Göttinnen oder Fussabtreter und oft erst das eine, dann das andere. Er hinterliess eine Spur der Verwüstung in seinem Privatleben. Picassos letzte Frau Jacqueline Roque setzte ihrem Leben 13 Jahre nach seinem Tod mit dem Revolver ein Ende, Marie-Thérèse Walter erhängte sich.

Olga Chochlowa und Dora Maar wurden irgendwann wahnsinnig. Alle waren sie emotional und auch finanziell von ihm abhängig. Nur Françoise Gilot nicht. Sie war die einzige, die sich traute, ihm zu widersprechen. Deshalb nannte er sie «Die Frau, die Nein sagt», was natürlich der Titel meines Buchs werden musste.

Die Mehrzahl der Ex-Partnerinnen von Pablo Picasso erlebten nach der Trennung grosses Unglück. Nicht so Françoise Gilot: Was lief in Ihrem Leben anders?

Picasso drohte ihr, dass keine Frau jemanden wie ihn verlassen würde. Das sei unmöglich. Picasso war ein Genie, aber auch ein Angeber, der sich selbst überschätzte. Sie durchschaute ihn und war die einzige Frau, die ihn verliess. Sie war selbstbewusst und klug, aber auch finanziell unabhängig, denn sie kam aus einem grossbürgerlichen Elternhaus. Seine anderen Musen waren teilweise auch künstlerisch begabt, aber sie stellten sich wohl oder übel ganz in seinen gewaltigen Schatten.

Es gibt dieses berühmte Foto von Robert Capa, das Pablo Picasso und Françoise Gilot am Strand zeigt. Er hält einen Sonnenschirm über sie, aber sie lässt sich nicht einfangen. Das ist für mich ein wunderbares Sinnbild für diese starke, lebensfrohe und intelligente Frau, die wortwörtlich aus dem Schatten des übermächtigen Genies tritt.

Ich bin sicher, während Ihren Gesprächen mit Françoise Gilot, fanden Sie Dinge heraus, die viel wichtiger für das Leben der Künstlerin waren als die Beziehung zu Picasso. Stimmt’s?

Mich hat ihre konsequente Lebensphilosophie beeindruckt: «Reue ist pure Zeitverschwendung» war einer ihrer Maximen. Es sei viel interessanter, mit einem besonderen Menschen etwas Tragisches zu erleben, als ein wunderbares Leben mit einer mittelmässigen Person zu führen. Für sie war es ein Irrtum zu glauben, man könne seinen Frieden mit einem durchschnittlichen Menschen finden. Denn oft brauche dieser Mensch bloss länger, um einen zu zerstören, besonders wenn man eine Frau sei.

Diese Einstellung hat sie schon als junge Frau gehabt, bevor sie Pablo Picasso kennenlernte. Sie hat das Leben immer in vollen Zügen gelebt, mit allen Höhen und Tiefen. In der Mitte sei nur Mittelmass.

Ein anderer Lebensspruch von Gilot lautete: «Wenn du wirklich leben willst, musst du etwas Dramatisches riskieren, sonst lohnt sich das Leben nicht. Wenn du etwas riskierst, erlebst du auch schlimme Dinge, aber du lernst vor allem eine Menge und lebst und verstehst immer mehr. Vor allem wirst du nicht langweilig. Das ist das Allerschlimmste: langweilig werden.»

War immer klar, dass Sie ein biografisches Buch über Françoise Gilot schreiben werden?

Ich veröffentlichte das erste Gespräch als Interview im «Süddeutsche Zeitung Magazin». Das überwältigende Echo von Leserinnen und Lesern auf dieses Interview führte dazu, dass ich Angebote von Verlagen bekam, ein Buch über sie zu schreiben. Ich habe sie dann viele Male in Paris und auch in ihrem New Yorker Atelier am Central Park in Manhattan besucht und stundenlange Gespräche mit ihr geführt, aus denen das Buch wurde.

Einer der eindrücklichsten Sätze von Françoise Gilot im Buch «Die Frau, die Nein sagt» geht so: «Was ich mache, sieht alles mühelos aus. Aber es kostet mich unglaubliche Anstrengung.»

Françoise Gilot hat ihre Berufung als Künstlerin sehr ernst genommen. Sie war das Wichtigste in ihrem Leben, deshalb hat sie auch bis zuletzt weiter an ihrem Werk gearbeitet. Das Alter ist bekanntermassen nichts für Feiglinge. «Als ich 90 wurde, dachte ich mir: Du musst dich umbringen, wenn du jemals sterben willst», erzählte sie mir. Aber da sie keinen Grund sah, sich umzubringen, lebte ich eben weiter und sagte mir «Ich hasse es. Aber da ich nun mal hier bin, male ich eben.»

Was haben Sie die vielen Gespräche mit Françoise Gilot gelehrt?

Als ich entgegnete, dass sie trotz Lebensüberdrusses mehr Energie habe als eine Handvoll Teenager, blickte sie mich streng an und sagte, dass ihr das Leben zum Hals heraushänge, nicht die Malerei. So ist in mehr als 80 Jahren ein mächtiges Œuvre mit mehr als 5000 Zeichnungen und 1600 Gemälden entstanden, dessen künstlerischer Wert heute mehr und mehr erkannt wird. Das zeigt sich nicht nur in den Auktionsergebnissen für Gilot-Werke, sondern auch in dem Umstand, dass sie jetzt  – endlich – einen eigenen Saal im Pariser Musée Picasso bekommen wird, in dem ihre Werke ausgestellt werden. Bravo.


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