Bötschi fragt Norbert Bisky: «Die Stadt fühlt sich an, als wäre sie im Kriegszustand»

Von Bruno Bötschi, Lausanne

17.12.2020

«Ich finde es wichtig, dass Bilder nicht nur eine Deutung zulassen»: Norbert Bisky.
«Ich finde es wichtig, dass Bilder nicht nur eine Deutung zulassen»: Norbert Bisky.
Bild: Keystone

Er ist einer der berühmtesten Maler Deutschlands. Norbert Bisky, 50, über seine Jugend in der DDR, die Corona-Massnahmen, seine Ausstellung in Lausanne – und warum er während des Malens oft Salsa-Musik hört und dazu laut singt.

Das Atelier von Norbert Bisky liegt mitten in einem Berliner Ausgehviertel, im Bezirk Friedrichshain, wo abends sonst immer viel los ist. In diesem Jahr ist jedoch alles anders. Das Coronavirus hat die deutsche Hauptstadt lahmgelegt. In der Nacht herrscht seit Wochen, nein, Monaten eine unbehagliche Stille.

Die Pandemie ist auch der Grund, warum Bisky Ende November nicht nach Lausanne gereist ist, um seine Ausstellung «Unrest» in der Galerie Fabienne Levy zu eröffnen. Der Künstler wollte eine Quarantäne vermeiden. Er wollte nicht untätig daheim auf dem Sofa sitzen müssen und tagelang nicht malen können. 

Bisky, der im vergangenen Oktober 50 geworden ist, wuchs in der DDR auf. Er studierte Kunst bei Georg Baselitz und gilt heute als einer der wichtigsten deutschen Maler.

Herr Bisky, wir machen heute per Facetime ein Frage-Antwort-Spiel: Ich stelle Ihnen in den nächsten 45 Minuten möglichst viele Fragen. Und Sie antworten möglichst kurz und schnell. Wenn Ihnen eine Frage nicht passt, sagen Sie einfach ‹weiter›.

Okay, aber ich bin nicht der Schnellste.

Rot oder Blau?

Blau. Das Universum ist eigentlich schwarz, aber wenn Licht hineinkommt, leuchtet es blau. Rot ist toll und ein Aufreger, aber die Farbe Blau bietet viel mehr Möglichkeiten.

Tragen Sie deshalb heute ein blau-schwarz kariertes Hemd mit feinen roten Strichen?

Die Kombination ist perfekt.

Weihnachtsbaum – ja oder nein?

Nein.

Ist der Konsumterror vor Weihnachten ein Wahnsinn?

100 Prozent! Ein totaler Wahnsinn! Mein Vorschlag wäre: Das ganze Geld nehmen und an den Orten, wo Schlechtes passiert, den Menschen helfen, denen es viel dreckiger geht als uns.

Beschenken Sie Ihre Lieblingsmenschen zu Weihnachten?

Eher nicht. Mein Freund hat kurz nach Weihnachten Geburtstag. Da gibt es dann das besondere Geschenk. Letztes Jahr verschenkte ich zudem an Freunde noch einige Bücher.

Was für Bücher?

Das Buch ‹Berlin – Biografie einer grossen Stadt›, das mein Bruder Jens geschrieben hat.

Welches Buch würden Sie heuer verschenken?

Empfehlen kann ich ‹Nachwendekinder› von Johannes Nichelmann. Das lese ich gerade.

Und das Geschenk für Ihren Freund haben Sie bereits besorgt?

Leider noch nicht. Aber bitte sagen Sie es ihm nicht weiter (lacht).

Zum Autor: Bruno Bötschi
Bild: zVg

«blue News»-Redaktor Bruno Bötschi spricht für das Frage-Antwort-Spiel «Bötschi fragt» regelmässig mit bekannten Persönlichkeiten. Bötschi hat viel Erfahrung mit Interviews. Für die Zeitschrift «Schweizer Familie» betreute er jahrelang die Serie «Traumfänger». Über 200 Persönlichkeiten stellte er dafür die Frage: Als Kind hat man viele Träume – erinnern Sie sich? Das Buch zur Serie «Traumfänger» ist im Applaus Verlag, Zürich, erschienen. Es ist im Buchhandel erhältlich.

Das schrecklichste Geschenk, das Sie je bekommen haben?

Zu meinem 14. Geburtstag schenkte mir meine Mutter einen kratzigen Wollpullover aus der ostdeutschen Markenfabrikation. Er war zudem auch noch unglaublich hässlich. Das Problem bei solchen Geschenken ist ja, dass du sie anziehen und so tun musst, als sei alles in Ordnung. Das ist mir damals aber echt nicht gelungen.

In Deutschland gehören Sie zu den bekanntesten zeitgenössischen Künstlern. In der Schweiz sind Sie bisher noch nicht so bekannt. Sie haben fünf Sätze zur Verfügung, um zu erklären, wer der Maler Norbert Bisky ist.

Er hat unglaublich viel Glück gehabt. Er wurde hinter dem Eisernen Vorhang in der DDR geboren, aber durch glückliche Fügung und wegen vieler mutiger Menschen konnte er 1989 dem Sowjetreich entfliehen und als junger Mensch auf einmal machen, was er wollte. Er dachte dann, er macht jetzt etwas Verrücktes und studiert Kunst. Er ist dann tatsächlich Künstler geworden, aber nicht völlig durchgeknallt, denn er malt vor allem mit Ölfarbe auf Leinwand. Er hat unglaublich viel Glück gehabt in seinem bisherigen Leben und viel Spass daran, Künstler zu sein.

Ihr allererstes Malerlebnis?

Das war am Kindergarten in der braunkohleverseuchten Stadt Leipzig. Irgendjemand hatte Zugang zu gedrucktem DDR-Werbematerial. Ich fand das toll, weil auf dem rosafarbenen Papier bereits etwas draufgedruckt war, das ich dann mit bunten Stiften ausmalen konnte.

Welches hartnäckige Gerücht über Sie ist schlichtweg nicht wahr?

Ich kenne gar kein Gerücht über mich (lacht). Es gibt vermutlich auch gar kein Gerücht. Ich glaube, das wäre eine völlige Überschätzung.

Zurzeit zeigen Sie einen Querschnitt durch Ihre Arbeit in der Galerie Fabienne Levy in Lausanne.

Die Corona-Pandemie verunmöglichte, dass ich persönlich zur Eröffnung kommen konnte. Das war sehr schade, denn ich mag die Stadt Lausanne sehr. Ich wollte jedoch nach der Rückkehr die Quarantäne vermeiden – daheim auf dem Sofa zu sitzen und tagelang nicht malen zu können.

Der Titel der Ausstellung lautet ‹Unrest›. Wie unruhig sind Sie gerade?

Total unruhig. Ich bin sowieso grundsätzlich ein unruhiger Mensch und im Moment noch etwas mehr als sonst.

Warum?

Weil es zurzeit viel weniger Möglichkeiten gibt, meine Unruhe durch Aktivitäten aufzulösen – zum Beispiel durch Gespräche mit Freunden.

Norbert Bisky: «Ich kenne gar kein Gerücht über mich. Es gibt vermutlich auch gar kein Gerücht. Ich glaube, das wäre eine völlige Überschätzung.»
Norbert Bisky: «Ich kenne gar kein Gerücht über mich. Es gibt vermutlich auch gar kein Gerücht. Ich glaube, das wäre eine völlige Überschätzung.»
Bild: Keystone

Wann haben Sie die Bilder für die Ausstellung ‹Unrest› gemalt?

Alle Werke, die in Lausanne gezeigt werden, sind in den vergangenen sechs Monaten entstanden. Das Coronavirus war also ständig präsent. Ich wollte jedoch nicht, dass die Pandemie auf meinen Bildern stattfindet. Inzwischen denke ich jedoch, dass Corona ein derart grosses und krasses Thema ist, dass es sich irgendwann auch in meinen Bildern widerspiegeln wird – einfach sehr verzögert. Ich bin bei der Umsetzung solcher gesellschaftlichen Veränderungen nicht so schnell, will lieber erst gründlich darüber nachdenken.

In einem Interview sagten Sie: ‹Malerei hat etwas sehr Manuelles. Man sieht die Energie, die die Person hatte, als sie die Farbe auftrug. Jedes Kind kann sehen, in welcher Verfassung der Maler war.›

Davon bin ich überzeugt, ja. Bilder transportieren immer auch Gefühle und Zustände aus dem nicht-sprachlichen Bereich, also Dinge, die man nicht mit Worten ausdrücken kann.

In welcher Verfassung waren Sie, als Sie die ‹Unrest›-Bilder malten?

Ich spürte viel Wut und Energie in mir. Deshalb sind die Bilder auch so farbig. Kräftige Farben sind für mich ein Zeichen von Wut und Aggression.

Das erste Bild in der Ausstellung ist ein Porträt namens ‹Pascal›: Schreit der Mann vor Glück oder ärgert er sich lauthals?

Ich finde es wichtig, dass Bilder nicht nur eine Deutung zulassen. Als ich das Bild gemalt habe, dachte ich an einen Menschen, der vor Wut schreit. Aber sehr oft ändern sich ja Zustände von einem Moment auf den anderen oder man kann ja auch glücklich und wütend zugleich sein.

Bei manchen Bildern in der Ausstellung weiss man nicht, ob die Personen, die darauf zu sehen sind, auf einer Demo sind oder gerade auf einer Technoparty tanzen.

Es sind Situationen, die ich in Berlin, wo ich lebe, regelmässig beobachten kann. Es gibt Partys, die ursprünglich als politische Demonstrationen angemeldet wurden. Denken Sie nur an die ‹Love Parade›, an der sich halbnackte oder in Einhorn-Kostümen verkleidete Menschen in Feierstimmung auf den Strassen versammelt haben.

Haben Sie schon ein paar Vorsätze fürs neue Jahr gefasst?

Das habe ich. Momentan geniesse ich gerade eine etwas ruhigere Zeit und denke darüber nach, welche Projekte ich in Zukunft angehen will.

Geht es etwas konkreter?

Ich bin da ein bisschen wie ein Kind, das im Sandkasten spielt und sich von seiner Fantasie leiten lässt. Ich werde jedoch nicht im Sandkasten sitzen, sondern in meinem Atelier sein und neue Techniken ausprobieren, mit neuen Materialien arbeiten.

Die meisten Menschen erreichen ihre Ziele und Vorsätze nicht, die sie sich Ende Jahr setzen. Wie ist das so bei Ihnen?

Vorsätze spielen in meinem Leben eine sehr wichtige Rolle. Irgendwann habe ich verstanden, dass mir das Leben unglaublich viele Möglichkeiten bietet. Nehme ich mir jedoch nichts vor, passiert oder ändert sich nichts. Deshalb nehme ich mir lieber zu viel vor – es gibt dann Ideen, die funktionieren, und solche, die das nicht tun oder erst nach einigen Umwegen.

Norbert Bisky über sein Porträt «Pascal»: «Als ich das Bild gemalt habe, dachte ich an einen Menschen, der vor Wut schreit. Aber sehr oft ändern sich ja Zustände von einem Moment auf den andern oder man kann ja auch glücklich und wütend zugleich sein.»
Norbert Bisky über sein Porträt «Pascal»: «Als ich das Bild gemalt habe, dachte ich an einen Menschen, der vor Wut schreit. Aber sehr oft ändern sich ja Zustände von einem Moment auf den andern oder man kann ja auch glücklich und wütend zugleich sein.»
Bild: Neige Sanchez

Manche Menschen schlagen an Silvester über die Stränge. Was tun Sie normalerweise in der Nacht?

In Sachen Silvester bin ich etwas abergläubisch, deshalb weile ich Ende Jahr fast nie in Berlin.

Das müssen Sie erklären.

Berlin ist ein toller Ort, aber während der Silvesternacht fühlt sich die Stadt an, als wäre sie im Kriegszustand. Überall knallt es, bunte Raketen fliegen durch die Luft und es gibt Hunderttausende von Menschen auf den Strassen. Ich habe da eher Angst. Und wegen meines Aberglaubens: Ich musste irgendwann feststellen, dass das folgende Jahr viel besser wird, wenn ich an Silvester nicht in Berlin bin.

Haben Sie demnach die letzte Silvesternacht in Berlin verbracht?

Nein, nein.

Sie sind also nicht schuld an der Corona-Pandemie?

(Lacht) Nein, ich war letztes Jahr in Spanien und hoffe, dass ich das auch dieses Jahr wieder so machen kann.

Sie besitzen in Spanien ein zweites Atelier.

So ist es. Das Atelier befindet sich in einem kleinen Dorf am Meer. Letztes Jahr wurden dort am Strand während der Silvesternacht vielleicht sieben oder acht Raketen in den Himmel geschossen.

Das mit dem Partymachen ist in diesem Jahr wegen der Corona-Pandemie ziemlich kompliziert. Berlin steckt gerade wieder im Lockdown. Wie fühlt sich das Leben in der deutschen Hauptstadt zurzeit an?

Ach, es sterben viel zu viel Menschen an diesem Scheissvirus! Die Situation ist traurig, nein, furchtbar. Ich habe durchaus Verständnis für die allermeisten Entscheidungen der Regierung. Was ich aber nicht verstehe: Warum dürfen Galerien offen haben, Museen und Kunstvereine aber nicht? Epidemiologisch macht das keinen Sinn.

Die grösste Partymetropole der Welt lahmgelegt. Eine unglaubliche Vorstellung.

Berlin ist seit Monaten wie leergefegt. Mich macht das traurig, denn gerade Berlin lebt auch von der Energie, die die Menschen mitbringen, die von aussen kommen, um hier Party zu machen. Das alles ist nun total runtergedimmt. Statt eine Nacht lang durchzutanzen, holen sich die Leute jetzt um 19 Uhr beim Späti ein letztes Getränk und lungern danach noch etwas vor dem Laden herum. Die Situation erinnert mich irgendwie an meine Jugend hinter dem Eisernen Vorhang, auch wenn das alles nicht wirklich vergleichbar ist.

Was machen die Berliner*innen sonst so?

Na ja, die politischen Entscheidungen liefen in den letzten Wochen in die Richtung von: ‹Leute, trefft euch in den Einkaufszentren, kauft ein und haltet die Wirtschaft am Laufen.› Ich persönlich mag jedoch keine Einkaufszentren, darum weiss ich nicht, wie viele Leute dort abhängen. Wahrscheinlich wird vieles online stattfinden; aber das ist ja eine Welt, von der man nicht weiss, wie real sie ist.

Wann haben Sie zuletzt durchgemacht?

Das letzte Mal durchgemacht habe ich in der Nacht, bevor meine Bilder nach Lausanne transportiert wurden. Ich musste dringend noch etwas fertigstellen.

Kürzlich haben Sie im Magazin ‹Spiegel› erzählt, dass Sie oft bis spät in die Nacht arbeiten und dass die Möglichkeit, danach auszugehen, Ihnen wichtig sei.

Das ist so. Aber heute ist alles ein bisschen komplizierter. Ich muss wie jeder besonnene Bürger schon am Vortag oder mindestens am Nachmittag im Supermarkt ein Bier kaufen und kaltstellen. Damit ich es dann, wenn ich spätnachts nach Hause komme, auch trinken kann.

Denken Sie, dass die Corona-Pandemie die Kultur grundsätzlich bedroht?

Nein, das glaube ich nicht. Die Bedürfnisse, die hinter der Kultur stecken, verschwinden ja wegen des Virus nicht von einem Tag auf den andern. Ich hoffe vielmehr auf einen Bounce-back-Effekt. Dass also die Menschen, sobald es wieder möglich sein wird, in die Museen und Theater rennen und auch wieder frenetisch Partys feiern werden. Ich jedenfalls werde, sobald wir das Virus im Griff haben, einige Tage freinehmen und richtig Party machen (lacht).

Musiker Elvis Costello sagte in einem Interview mit der Wochenzeitung ‹Die Zeit›: ‹Man muss das Beste aus dem Lockdown machen. Jammern hilft nicht.› – Was machen Sie daraus?

Ich habe dieses Jahr unheimlich viele Bilder gemalt. Und ich will das auch weiterhin tun. Gleichzeitig weiss ich aber auch, ich bin in einer privilegierten Lage. Ich kann in mein Atelier gehen und malen, so viel ich will.

Die Pandemie scheint Ihre Phantasie nicht lahmgelegt zu haben?

Nein, ich bin vielmehr wütend darauf, dass uns allen so etwas Schreckliches passiert und uns so viel Zeit gestohlen wird. Meine und unser aller Lebenszeit ist zu kostbar, ich habe auch nicht mehr endlos viele Jahre.

Haben Sie in den Monaten des Lockdowns neue Hobbys gefunden oder alte Leidenschaften wiederentdeckt?

Ich fing an, durch die Stadt zu spazieren, und habe so Berlin neu entdecken können. Und seit das Aufregendste, nämlich die Menschen, nicht mehr oder viel weniger sichtbar sind auf den Strassen, sind die Architektur, die oft absurde Stadt-Möblierung und die vielen Plakate stärker in mein Blickfeld gerückt.

Norbert Bisky: «Ich habe dieses Jahr unheimlich viele Bilder gemalt. Und ich will das auch weiterhin tun.»
Norbert Bisky: «Ich habe dieses Jahr unheimlich viele Bilder gemalt. Und ich will das auch weiterhin tun.»
Bild: Keystone

Sind Bilder stärker als Worte?

Hmm … das weiss ich nicht. Ich weiss nur, ich habe mich sehr bewusst der Sprache der Bilder zugewandt, weil ich hoffe, dass ich damit eine andere Dimension, eine andere Kraft als mit Worten entfalten kann.

Wenn Sie das Wort ‹Schweiz› hören: An was denken Sie?

Ich denke an ein sehr freies, sehr schönes und behütetes Land – und ein Land mit viel Wohlstand.

Sie waren von 2008 bis 2010 Gastprofessor an der Haute École d'Art et de Design in Genf. Hat das Ihr Verhältnis zur Schweiz verändert?

Ja, das hat sich sehr verändert damals. Ich habe während meiner Zeit in Genf immer wieder realisieren dürfen, was es für eine fantastische Situation ist, wenn unterschiedliche Menschen miteinander reden müssen, um ein Problem zu lösen. Die Kultur der Kompromisse hat die Schweiz geprägt, und sie tut es noch heute. Das mag ich. In Deutschland hingegen bellt man sich zuerst an, dann rennt man auseinander und lässt Türen knallen. Das kann ziemlich anstrengend sein. Umso mehr war die Zeit in Genf eine sehr angenehme Erfahrung für mich.

Sie sind ein Schweiz-Fan?

Ja, das bin ich.

Haben Sie ein Lieblingswort auf Schweizerdeutsch?

Ein Lieblingswort auf Schwiizerdütsch? Nein, was ich jedoch rasch mitbekommen habe, ist; die Schweizer*innen finden es nicht lustig, wenn ein Deutscher kommt und versucht, ihre Sprache zu imitieren (lacht).

Ihr Lieblingswort auf Französisch?

Hmm ... Dimanche (Sonntag, auf Deutsch) vielleicht.

Wie viele Landessprachen hat die Schweiz?

Das weiss ich gar nicht… also, es gibt Französisch, Deutsch, Rätoromanisch und Italienisch.

Bravo, der Kandidat hat 100 Punkte.

Super.

Warum malen Sie?

Es gibt nichts, was mich so sehr mit der Welt versöhnt wie das Malen.

Sie gingen mit jemandem zur Schule, der wahnsinnig gut zeichnen konnte und Sie deshalb eingeschüchtert hat. Weshalb klappte es mit der Karriere als Kunstmaler trotzdem?

Weil ich irgendwann mutig genug war und mir gesagt habe: Ich mache das jetzt und ich nehme mir dafür so viel Zeit, wie ich brauche. Ich war damals 23 und fand, ich sei unheimlich alt (lacht). Ich habe dann fast alle meine Energie und viel von meiner Zeit in die Malerei investiert. Das ist jetzt 27 Jahre her. Heute denke ich, wir alle können viel erreichen, wenn wir uns fokussieren und, ganz wichtig, auch noch ein bisschen Glück haben.

Sie sind in der DDR gross geworden. Als die Mauer am 9. November 1989 fiel, waren Sie 19 Jahre alt. Was überwog damals in Ihnen: Verlustängste oder Befreiungseuphorie?

Soweit ich mich erinnern kann, war es bei mir eine Mischung aus beidem. Es ist aber schwierig, sich an etwas zu erinnern, das schon so lange zurückliegt. Ich bin darum vorsichtig, zu sagen, wie es bei mir damals gewesen ist. Ich habe mich natürlich gefreut darüber, dass die Mauer fiel. Aber ich habe mich nicht darauf gefreut, ins Kaufhaus zu rennen und endlich shoppen zu können. Und ich habe auch sehr schnell Menschen gesprochen, die sich gefragt haben, wie es weitergeht und was aus ihnen werden soll.

Hat sich Deutschland genug darüber gefreut, dass es die Berliner Mauer nicht mehr gibt?

Nein, ich glaube nicht, dass es genug gewürdigt und gefeiert wurde, was damals in Deutschland passiert ist.

Sind Sie selber überrascht, wie berühmt Sie mittlerweile in Deutschland sind?

Ich würde nicht ‹berühmt› sagen. Es gibt eine Menge Leute, die meine Bilder kennen. Das hat aber mit mir als Person überhaupt nichts zu tun.

Sie freuen sich, dass man Ihre Bilder kennt und kauft, Sie persönlich bleiben jedoch im Hintergrund.

So ist es. Ich gehe nicht gern über rote Teppiche und Möbelhaus-Eröffnungen sind auch nicht mein Ding.

Sind Sie während des Malens in einem kontrollierten Zustand oder sind Sie emotional erregt?

Im günstigsten Fall beides. Ich glaube, wenn es beim Malen gut läuft, ist es so ähnlich wie mit dem Autofahren. Ich tue dann vieles automatisch, also ohne viel nachdenken zu müssen.

Hören Sie Musik, während Sie malen?

Die Hälfte der Zeit, ja. Während des Malens der Bilder für die Ausstellung in Lausanne hörte ich unglaublich viel Salsa. Salsa eignet sich wunderbar, um dieser depressiven Corona-Stimmung zu entfliehen. Und weil ich ziemlich gut Spanisch spreche, singe ich oft auch mit. Gott sei Dank hört mich niemand, denn ich kann echt nicht gut singen.

Es heisst, Sie sprechen manchmal mit den Leinwänden.

Mit wem soll ich denn sonst sprechen? Ich verbringe Tage und Wochen mit meinen Bildern. Während ich male, schalte ich auch immer mein Handy aus. Ich muss also zwischendurch singen oder mit der Leinwand sprechen, um mich zu versichern, dass ich noch sprechen kann.

Norbert Bisky: «Wenn es beim Malen gut läuft, ist es so ähnlich wie mit dem Autofahren. Ich tue dann vieles automatisch, also ohne viel nachdenken zu müssen.»
Norbert Bisky: «Wenn es beim Malen gut läuft, ist es so ähnlich wie mit dem Autofahren. Ich tue dann vieles automatisch, also ohne viel nachdenken zu müssen.»
Bild: Keystone

Tut es manchmal weh, ein besonders gelungenes Bild zu verkaufen?

Ja.

Gibt es Bilder, die Sie nie verkaufen würden?

Nein, denn sonst würde ich ja, was ich im Moment gerade ganz wichtig finde und in einem Bild festhalte, nur für mich behalten und das wäre Quatsch.

Malen Sie Bilder auch auf Auftrag?

Nein, oder besser gesagt nur mit ganz wenigen Ausnahmen.

Für den weltbekannten Berliner Technoclub Berghain haben Sie eine Reihe von Bildern geschaffen. Warum?

Das habe ich gemacht, weil ich die Leute, die den Club betreiben, schon lange kenne. 2012 durfte ich im Berghain zusammen mit dem Staatsballett Berlin ein Bühnenbild entwickeln. Jahre später kamen die Berghain-Betreiber auf mich zu mit der Bitte, im Rahmen eines Umbaus eine grosse Wand zu bemalen. Das Berghain ist ein toller Ort und mir war sofort klar, dass ich diese Herausforderung annehmen will. Ich habe dann ein sehr grosses Bild gemalt und vor Ort auf ganz viele Leinwände verteilt.

Das 30-Meter-Bild heisst ‹Vertigo› und hängt im Eingangsbereich des Clubs. Ich gebe zu, ich sass auch schon unter dem Bild und mir war leicht schwindlig.

Das freut mich zu hören, denn es ist durchaus beabsichtigt so. Ich mag das Wort ‹Taumel› als Beschreibung für den Zustand der Ekstase – also während man Party macht, viel tanzt, Alkohol trinkt und vielleicht eine Pille geschluckt hat. Diesen Zustand des Losgelöstseins vom Rest der Welt erleben wir viel zu wenig.

Was bedeutet Ihnen das Berghain?

Das Berghain steht für Berlin. Berlin steht für das Berghain. Der Club ist eine grosse und wichtige Institution und durchaus exemplarisch für die letzten 20 Jahre der Stadt. Berlin wurde zerstört und wiederaufgebaut. Berlin war jahrelang durch eine Mauer geteilt. Die Stadt wurde verschandelt und es gibt viele hässliche Orte. Aber gleichzeitig entsteht immer wieder Neues und Schönes. Das Berghain ist einer der grossen, freien Orte unserer Welt. Ja, das kann man wirklich so sagen. Da kommen Leute aus den unterschiedlichsten Ländern hinein und wissen, sie sind da in einem Schutzraum und werden von niemandem belästigt. Alle können sich frei bewegen, egal, was sie für Kleider tragen oder ob sie nackt sein wollen. Jede und jeder kann das tun, was sie oder er will.

Im ‹Spiegel›-Gespräch sagten Sie weiter: ‹Ein Atelier ist ein ähnlicher Schutzraum wie ein Club.›

So ist es. Jede und jeder kann das tun, was sie oder er will – und genau deshalb ist es auch so wichtig, dass die Türe zu ist (lacht).

Zurzeit können Sie nicht ausgehen. Schauen Sie dann abends auch mal Fernsehen?

Ehrlich gesagt, nein. Ich habe vor ein paar Jahren den Fernseher abgeschafft. Aber ich streame regelmässig Filme. Und wenn ich doch einmal bei Freunden TV gucke, bin ich jeweils erschüttert über das langsame Tempo und die mangelnden Möglichkeiten am Fernsehen. Das ist mit einer der Gründe, warum ich mir das Fernsehen abgewöhnt habe.

Schauen Sie Netflix?

Das schon, ja. Das ist für mich das Gegenteil von Fernsehen.

Haben Sie die Serie ‹The Crown› gesehen?

Ich habe es versucht, sie hat mich aber zu wenig interessiert.

An dem Tag, an dem Sie 1981 mit Ihren Eltern aus Leipzig nach Ost-Berlin zogen, haben Prinz Charles und Diana geheiratet. Erinnern Sie sich?

Ja (lacht).

War diese Märchenhochzeit ein Thema im Osten?

Es war in der DDR völliger Standard, ARD oder ZDF zu gucken, allerdings oft nur schwarz-weiss. Zudem war damals gerade unsere Oma aus Schleswig-Holstein zu Besuch bei uns und die wollte Diana unbedingt sehen und hat darum einfach den Fernseher angemacht.

Es gibt ja den berühmten Märchenfilm ‹Drei Nüsse für Aschenbrödel›, eine tschechoslowakisch-ostdeutsche Koproduktion aus dem Jahr 1973.

Dieser Film lief bei uns in der DDR in der Endlosschleife. Aber ganz ehrlich, heute kann ich das Zeug nicht mehr sehen (lacht).

Sie sind im Oktober 50 Jahre alt geworden. Wenn Sie auf Ihr Leben zurückblicken, was kommt Ihnen als Erstes in den Sinn?

Oh Gott, was kommt mir als Erstes in den Sinn? Als ich 18 wurde, fand ich alles ziemlich anstrengend in der DDR und mir war alles zu blöd. Ich träumte davon, auf eine Insel fahren zu können. Das habe ich dann auch realisiert – ich reiste nach Hidensee, einer Insel in der Ostsee. Dieser Insel-Gedanke hat sich seither eigentlich nie mehr richtig verabschiedet. Ich versuche seither, mir immer wieder Inseln im Alltag zu erschaffen, also aus der Normalität auszubrechen. Ist Ihre Frage jetzt beantwortet? Wahrscheinlich nicht, oder?

Doch, doch. – Sie wünschten sich, auf einer Insel zu sein, in Freiheit zu leben und Ihr Glück zu geniessen. Man kann also sagen, der Mauerfall ein Jahr später war für Sie so etwas wie die Fortsetzung der Erfüllung Ihres Wunsches?

Um in der Sprache des Filmes ‹Drei Nüsse für Aschenbrödel› zu bleiben: Die Insel war die erste Haselnuss, das Leben als Künstler die zweite und …

… was war die dritte Nuss?

Die habe ich noch nicht benützt. Diesen Wunsch habe ich noch frei.

Okay. Den Prinzen – also einen Freund – haben Sie ja schon gefunden. Brauchen Sie noch ein Hochzeitskleid? Wollen Sie überhaupt heiraten?

Ähmm … mal sehen.

Wann denken Sie, werden Sie wieder einmal in einem Club tanzen gehen?

Im Mai 2021.

Weil wir dann alle geimpft sind?

Ich hoffe, dass bis dann hoffentlich sehr, sehr viele Menschen geimpft sein werden. Ansonsten könnte man im Mai auch wieder draussen tanzen – zum Beispiel im Berghain-Garten. Tanzen im Club drinnen wird wohl noch länger schwierig sein. Wüsste ich, wann das wieder möglich sein wird, wäre ich ein Prophet.

Werden Sie sich impfen lassen?

Selbstverständlich, sobald es möglich ist.

Ausstellung: «Unrest» von Norbert Bisky – bis am 13. März 2021 in der Galerie Fabienne Levy, Lausanne.


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