Serie «Morgenmenschen» (4) «Wir glorifizieren das Essen, aber nicht, was danach wieder rauskommt»

Von Gabriella Alvarez-Hummel

30.12.2020

Das Sozialunternehmen Goldeimer verkauft hippes WC-Papier und unterstützt damit den Bau von Sanitäranlagen in ärmeren Ländern. Der Gründer und «Chief Shit Advisor» Malte Schremmer im Porträt.

In der neuen Serie «Morgenmenschen» porträtieren wir Personen, die Lösungen für eine enkeltaugliche Zukunft bieten, entwickeln und erkämpfen. Menschen, die bereits heute die Welt von morgen leben. Hoffentlich.

Der 19. November ist weltweit Uno-Tag der Toilette. Für Malte Schremmer ist jeder Tag Toilettentag. Und wenn man es genau nimmt, gilt die Aussage eigentlich für jeden Menschen. Was auch der Grund ist, weshalb die Vereinten Nationen in ihrer Agenda 2030 für eine nachhaltige Entwicklung an sechster Stelle folgendes Ziel festgelegt haben: sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen für alle.

Das klingt erst mal selbstverständlich, vielleicht gar ein wenig banal. Aber, Sie ahnen es: das ist es nicht. Darum hat Malte Schremmer Goldeimer gegründet. Das Sozialunternehmen ist deutschlandweit mit Trockentoiletten auf Festivals vertreten, verkauft cool designtes Öko-WC-Papier mit lehrreichen Botschaften, der Gewinn wird an Wasser- und Sanitärprojekte in ärmeren Ländern weitergereicht. Sensibilisieren, aufklären, besser machen – so die Devise. Unternehmertum mit Haltung also.

Vom Durchfall zur Gründung

Toiletten und Abwasser

• 4,2 Milliarden Menschen haben keinen gesicherten Zugang zu Toiletten. 800 Millionen davon überhaupt keinen. 785 Millionen haben keine grundlegende Trinkwasserversorgung.
• Jährlich sterben Millionen von Menschen an Krankheiten in Zusammenhang mit unzureichender Wasserversorgung, Hygiene und Abwasserentsorgung.
• Ein Viertel der Weltbevölkerung lebt in einem Land, das bis 2050 von Süsswassermangel betroffen sein wird.
«Brave Blue World»: Netflix-Doku mit Liam Neeson und Matt Damon über Innovationen und Projekte für eine nachhaltige Wasserversorgung.

«Bitte nicht!» – wie die Idee zu Goldeimer entstand, mag Malte Schremmer kaum mehr erzählen. Über die Jahre musste er sie immer und immer wieder zum Besten geben. Er findet: «Eigentlich ist es doch egal, wer die Idee hatte. Viel wichtiger ist ja, wer sie jetzt umsetzt und weitertreibt: das ganze Team.»

Hier die Kurzversion: 2011 reist Malte für ein Projekt von Viva con Agua nach Burkina Faso. Dort erwischt ihn die vielleicht unterschätzteste Gesundheitsbedrohung der Welt: starker Durchfall. Eine Herausforderung in einem Land, dessen Sanitärversorgung sehr zu wünschen übrig lässt. Und die wohl auch der Grund für Maltes Gesundheitszustand ist. Er macht sich Gedanken, recherchiert, findet heraus: 4,2 Milliarden Menschen haben keinen gesicherten Zugang zu Toiletten.

Und: Das, was wir anderen da täglich wegspülen, ist eigentlich Gold wert. Daher auch der historische Name Goldeimer: Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die Plumpsklo-Behältnisse so genannt, weil ihr Inhalt zu lukrativem Dünger verarbeitet wurde. Das ist mit dem heutigen Kanalisationssystem natürlich nicht mehr der Fall.

Goldeimer kann bei seiner Mission auch auf prominente Unterstützung zählen: den deutschen Rapper Marteria.
Goldeimer kann bei seiner Mission auch auf prominente Unterstützung zählen: den deutschen Rapper Marteria.
Gunnar Dethlefsen

Malte und das Goldeimer-Team wollen diesen eigentlich natürlichen Fäkalien-Dünger-Kreislauf wieder ins kollektive Bewusstsein bringen: «Die Toilette ist die beste Erfindung der letzten 200 Jahre. Sie rettet buchstäblich Leben. Sie braucht mehr Wertschätzung.» Aber das System brauche dringend eine Überholung: «Wir glorifizieren das Essen, aber nicht, was danach wieder rauskommt.»

100'000 Kilometer per Anhalter durch Europa

Dass der Kieler damals überhaupt nach Burkina Faso reiste, hatte mit seinem jahrelangen Engagement bei Viva con Agua zu tun. Die Organisation sammelt auf Festivals Pfandbecher und gibt das Pfandgeld weiter an Wasserprojekte in ärmeren Ländern: «Ich hatte wohl schon immer ein Gerechtigkeitsempfinden. Viva con Agua hat mir vor allem gezeigt, dass man Gutes tun auch mit Kreativität und Freude kombinieren kann.»

Zur Autorin
zVg

Gabriella Alvarez-Hummel ist freie Journalistin. Die «Morgenmenschen»-Serie verbindet zwei ihrer Faibles: Porträts und Enkeltauglichkeit.

Ein gewisser Schalk, dieses Wie-weit-können-wir-mit-dieser-Idee-wohl-gehen, scheint Malte Schremmer angeboren zu sein. In seinen Zwanzigern trampte er über 100'000 Kilometer durch Europa. Gründete mit Freunden einen Anhalter-Wettbewerb namens Tramprennen: ein Ziel, Dutzende von Menschen, ihre Daumen und die Liebe für den Zufall.

«Seit der Goldeimer-Gründung vor sieben Jahren trampe ich leider weniger», sagt Malte, schaut auf dem Sofa sitzend am Laptop vorbei in die Ferne und fährt dann fort: «Beim Trampen habe ich gelernt: Irgendwie klappt es immer. Darum weiss ich: Irgendwann kriegen wir die Legalisierung von Kompost aus Scheisse von Menschen in Deutschland schon hin.»

Maximal ineffiziente Kanalisation

Könnte Malte Schremmer moderne Sanitärsysteme nach seinem Gusto umkrempeln, er würde altes Wissen mit neuen Erkenntnissen verknüpfen: «Ich würde die Kanalisation abschaffen, Trocken-WCs installieren, dezentrale Sammeleinheiten bauen, alles recyceln, die Nährstoffe rausholen, aufarbeiten, und den Hummus wieder nutzen.»

Denn wie es heute ist, sei es nicht gut: «Es ist maximal ineffizient, bei jeder Spülung 12 Liter sauberes Wasser zu verbrauchen, was in den Kläranlagen unter grossem Energieverbrauch zu giftigem Klärschlamm führt, welcher dann Tausende Kilometer durch das Land gekarrt werden muss.» Hinzu kommt: Für ärmere Länder, die dringend auf eine gute Sanitärversorgung angewiesen sind, ist dies auch finanziell und ressourcentechnisch kaum umsetzbar.

Kürzlich veranstaltete Goldeimer ein Crowdfunding unter dem Motto «Rassismus ist fürn Arsch» für die Produktion von «antirassistischem» WC-Papier und die Subventionierung von Antirassismus-Projekten.
Kürzlich veranstaltete Goldeimer ein Crowdfunding unter dem Motto «Rassismus ist fürn Arsch» für die Produktion von «antirassistischem» WC-Papier und die Subventionierung von Antirassismus-Projekten.
zVg

Bei alternativen Sanitäranlagen und Trockentoiletten kommt Malte Schremmer dann auch fast ins Schwärmen: «Es ist wie Magie: Da ist dieser Haufen Kacke, und sechs Monate später wächst daraus wieder etwas. Das ist cool, total faszinierend, und das wollen wir transportieren.»

Im Falle von Goldeimer bedeutet das auch immer eine gehörige Portion Humor. «Das ganze Team hat sowas wie ein Fäkal-Faible», sagt er, der selbsternannte «Chief Shit Advisor». Anders, so glaubt er, seien gesellschaftliche Probleme kaum zu kommunizieren. Einen niederschwelligen Zugang zu komplexen Themen zu schaffen, scheine viel effektiver. Spass haben, dabei Information vermitteln und unterwegs noch Tabus brechen.

Woher kommt dieser Antrieb, immer noch eins draufzusetzen? Malte Schremmer: «Ich bin nicht per se ein Optimist. Aber ich weiss, was theoretisch möglich und machbar ist. Deshalb habe ich den Planeten noch nicht abgeschrieben.»


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