Serie «Morgenmenschen» (1) Sie stellt nur selten den Müll raus

Von Gabriella Alvarez-Hummel

17.11.2020

Tamara Waebers Job ist, Lösungen zu finden. Für eine Gastronomie, die sich dem Abfallproblem zu stellen hat. Ihr Labor: das Zero-Waste-Café Spurlos in Basel.

In der neuen Serie «Morgenmenschen» porträtieren wir Personen, die Lösungen für eine enkeltaugliche Zukunft bieten, entwickeln und erkämpfen. Menschen, die bereits heute die Welt von morgen leben. Hoffentlich.

«Ich bin ein Landkind», sagt Tamara Waeber, 25, ganz wertneutral. Und wäre sie es nicht, wäre ihr die Verschwendung womöglich gar nie aufgefallen. Essen wegzuwerfen zum Beispiel, war auf dem elterlichen Bauernhof in Tafers bei Freiburg nicht einmal denkbar. Tamara war überrascht, als sie während des Tourismus-Studiums im Wallis und nach dem Umzug in eine WG mit Zahlen und Tatsachen konfrontiert wurde: «Mir war nicht klar, dass ein Drittel der Lebensmittel weggeworfen wird. Bei uns zu Hause wurde immer alles weiterverarbeitet, eingefroren oder anderweitig verwertet.»

Tamara Waeber wurde sofort aktiv: Gemeinsam mit anderen gründete sie in dieser Zeit einen Verein, um einen Gemeinschafts-«Frigo» auf dem Hochschulareal zu installieren. Das Konzept hatte sich in der Schweiz und darüber hinaus bereits zigfach bewährt: Wer Lebensmittel übrig hat, gibt sie in den öffentlichen Kühlschrank, damit andere sie nutzen können.

Milch und andere Herausforderungen

Und vielleicht ist es gerade ihr Hintergrund, der Tamara Waeber unter anderem zur erfolgreichen Bewerbung als Co-Geschäftsführerin des neuen Zero-Waste-Cafés Spurlos im Basler Dreispitz-Quartier verholfen hat. Zero Waste ist eine Bewegung, die die Entstehung von Abfall zu vermeiden versucht. Für die 25-Jährige ist das aber kein gewählter Lifestyle, sondern eine quasi angeborene Selbstverständlichkeit. Back to the roots eben, wie so viele Nachhaltigkeitsbewegungen: Früher war zwar nicht alles besser, aber verschwendet wurde garantiert weniger.

Ein weiterer Grund, so berichten die Leute, die sie eingestellt haben, sei ihre lösungsorientierte Herangehensweise. Eine Schlüsselkompetenz, wenn man in einem Gastronomiebetrieb Zero Waste, dazu bestenfalls noch Saisonalität und Regionalität, durchziehen will. Denn die Herausforderungen sind vielfältig. Lebensmittelverschwendung ist nur ein Thema. Hinzu kommen Verpackungsmaterial, Lieferwege, Behältnisse, und dasselbe auf Seite der Lieferanten.

Abfall in der Schweiz

• Insgesamt produziert die Schweiz jährlich rund 80 bis 90 Mio. Tonnen Abfall. 

• Zwei Mio. Tonnen sind Lebensmittelabfälle, davon rund 70 Prozent vermeidbar. Dieser Food Waste ist nicht bloss ethisch bedenklich, sondern angesichts der erheblichen Umweltbelastung durch die Nahrungsmittelproduktion ein ernstes ökologisches Problem.

• Food Waste fällt zu 20 % in der Landwirtschaft, zu 35 % in der Verarbeitung, zu 28 % in den Haushalten, zu 10 % im Gross- und Detailhandel und zu 7 % in der Gastronomie an.

Passende Lieferantinnen zu finden, die dieselben Werte teilen, sei entsprechend eine ihrer grössten und zeitraubendsten Aufgaben: «Ich habe zum Beispiel lange recherchiert, bis ich Milch gefunden habe, die aus der Region kommt, homogenisiert ist, damit sie schön schäumt – und die in Glasflaschen geliefert wird, die ich wieder zurückgeben kann. So etwas Simples eigentlich ...», sagt sie und ergänzt: «Aber! Es gibt für alles eine Lösung.» Im Falle der Milch heisst sie: Hof Klötzli in Kleinlützel. Bezogen wird sie via dem Unverpackt-Laden Abfüllerei Basel.

Das gastronomische Testlabor

Das Café Spurlos ist kein klassisches Café, das Konzept nicht einfach eine schöne Idee. Gegründet vom Impact Hub in Basel ist es vor allem auch ein Experimentierraum für eine «weltverträgliche» Gastronomie. Hier werden Innovationen, Lösungen und Strategien erprobt, von denen schliesslich die gesamte Branche in Form eines Leitfadens profitieren soll. Die Fachhochschule Nordwestschweiz misst, dokumentiert und unterstützt das Test-Café auf wissenschaftlicher Ebene. Tamara und das Team leisten in vielerlei Hinsicht Pionierarbeit, in engem Kontakt mit anderen Zero-Waste-Geschäften in der Region. 

Tamara ist keine Fanatikerin, findet auch den Begriff Zero Waste eher irreführend. Es gehe nicht darum, überhaupt keinen Abfall zu verursachen. Sie selbst kauft nicht ausschliesslich im Unverpackt-Laden ein, sondern auch auf dem Markt oder in der Migros: «Wenn aber bereits der vermeidbare Abfall vermieden wird, wäre schon sehr viel gemacht: Minimal Waste passt als Begriff wohl besser.»

Zur Autorin
zVg

Gabriella Alvarez-Hummel ist freie Journalistin. Die «Morgenmenschen»-Serie verbindet zwei ihrer Faibles: Porträts und Enkeltauglichkeit.

Nachhaltigkeit ist auch Wirtschaftlichkeit

Muss man Optimistin sein, um diese Arbeit zu machen? «Ich bin auch Realistin, aber ohne Hoffnung und Optimismus ginge es wohl nicht in diesem Bereich. Man muss schon daran glauben, dass das alles etwas nützt.» Denn die allermeisten Lösungen seien bereits vorhanden, man müsse sie eben grossflächig nutzen. Und: «Nachhaltigkeit hat drei Bereiche: ökologisch, sozial und ökonomisch. Nachhaltig sein kannst du nur, wenn du wirtschaftlich bist.»

Wirtschaftlichkeit sei nun auch die zweite grosse Herausforderung des Cafés und entsprechend auch für sie als Co-Betriebsleiterin. Corona macht dies natürlich nicht einfacher: Das Café Spurlos hatte quasi pünktlich zur Pandemie im Februar 2020 eröffnet und musste unmittelbar danach bereits wieder schliessen, bis es im Juni wieder öffnen konnte.

«Mach, fall um, mach weiter – wir nennen es: failing forward», das ist Tamaras Maxime, die sich in nächster Zukunft sicherlich weiterhin im Café abspielt. «Und wenn wir an den Punkt kommen, an dem wir wirtschaftlich sind, wenn die Branche weiss, wie man Minimal Waste umsetzen kann – dann schaue ich weiter.»


Diese Organisationen setzen sich in der Schweiz gegen Food Waste ein:

• Too Good To Go: App, auf der übriggebliebene Speisen oder Lebensmittel günstig am Ende des Tages gekauft werden können. 
Grassrooted: Verein in Zürich, der regelmässig tonnenweise Lebensmittel aus der Landwirtschaft rettet und soeben die Food-Kooperative Rampe 21 am Zürcher HB eröffnet hat.
Madame Frigo: Gemeinschaftskühlschränke mit Standorten in (fast) der ganzen Schweiz.
Save Food: Die Food Ninjas zeigen, wie Food Waste im Privathaushalt vermieden werden kann
Foodwaste.ch: Nützliche Infografiken, Tipps sowie Veranstaltungen und Projekte zum Thema.

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