Kohlenhydrate haben bei vielen einen schlechten Ruf. Schade, sagt unser Kolumnist Jürg Hösli. Warum es für mehr Muskeln, grössere Fitness, weniger Speckrollen eben Kohlenhydrate braucht.
von Jürg Hösli
19.04.2021, 06:50
19.04.2021, 10:27
Jürg Hösli
Sportler brauchen Energie, richtige Sportler nur Wasser. Nach diesem Grundsatz fahren viele Hobby- aber auch Profisportler Tausende Kilometer Rad oder rennen ihre abendlichen Strecken. Leider gibt es dann öfter Sehnenansatz-Probleme und Ermüdungsbrüche. Und genau dies wäre mit einer richtigen Ernährung zu vermeiden.
Wer Sport treibt, verbraucht Energie – und dies nicht zu wenig. Natürlich brauchen wir da auch Benzin. Doch was beim Auto logisch ist, scheint beim Körper gemäss einigen Laienberatern komplett anders zu sein. So wird immer wieder propagiert, dass während des Trainings keine Nährstoffe zugeführt werden sollen, sondern vor allem Wasser. Ob dies sinnvoll ist, schauen wir uns nun näher an.
Was verbrennen wir während eines Trainings?
Ein Leistungssportler verbrennt bei einem durchschnittlich intensiven Training zwischen 800 kcal und 1200 kcal pro Stunde, eine Leistungssportlerin ca. 500 bis 900 kcal. Bei einem Hobbysportler sind es nur rund 20 Prozent weniger. Was bedeutet nun dies?
Zur Person: Jürg Hösli
erpse
Jürg Hösli ist Ernährungswissenschaftler und greift gerne kontroverse Themen aus Sport, Psychologie und Ernährung auf. Er ist Begründer der Ernährungsdiagnostik und der Schule für Ernährungsdiagnostik erpse in Winterthur, Zürich und Solothurn. Einmal im Monat schreibt er als Kolumnist für «blue News».
Geht eine Gelegenheitssportlerin eine Stunde joggen, verbraucht sie die Kalorienmenge von 5 Bananen, 700 g Kartoffeln, einer Schokolade oder 1,5 Liter Apfelschorle. Bei einem Hochleistungsathleten kann dies gut und gern die dreifache Menge sein, bei einem 14-jährigen Nachwuchssportler immer noch das Doppelte.
Kurz kann gesagt werden: Je fitter wir sind, desto mehr Fett verbrennen wir. Je unfitter wir sind, desto höher werden die Kohlenhydratmengen auch schon bei ganz tiefer Intensität. Ursache davon ist, dass der Körper viel Sauerstoff für die Fettverbrennung braucht. Und je besser der Zustand unseres Herzkreislaufs ist, desto höher ist eben genau dieser Sauerstofftransport.
In unserem Beispiel sehen wir einen Ski-Olympiasieger (Sandro Viletta) und eine Feierabendsportlerin im Vergleich. Bei mittlerer Intensität braucht der Weltklasse-Athlet rund 125 g Kohlenhydrate, die unfitte Hobbysportlerin rund 150 g pro Stunde.
Was heisst dies nun für uns?
Wenn wir zum Training keine Kohlenhydrate zuführen, spüren wir die Folgen nach dem Sport. Wir landen in einer Unterzuckerung und wenn sich der Trainingsstress nach rund anderthalb Stunden etwas gesenkt hat, merken wir plötzlich, was der Körper braucht. Der Frontalangriff auf den Kühlschrank beginnt und es wird alles weggeputzt, was nach Zucker ausschaut. Die Rechnung, während des Trainings 5 g Fett zu verbrennen und danach in Völlerei zu schwelgen, geht leider dann selten auf der Waage auf.
Was und wann sollten wir etwas zuführen?
Während des Trainings kann der Körper besser Kohlenhydrate in die Muskulatur einlagern. Insulin als Speicher, aber auch Masthormon wird nicht wie üblich ausgeschüttet. Je unfitter wir sind, desto wichtiger wird also genau dieser Effekt. Umso klarer wird es langsam, dass wir direkt vor und während des Trainings eine ausreichende Menge an Kohlenhydraten zuführen sollten.
Vor dem Training sollte es etwas leicht Verdauliches sein. Sehr gut eignet sich hier ein Laugenbrot. Es ist schnell verdaulich und steht dem Körper sehr schnell als Energiequelle zur Verfügung. Während des Trainings sollte es Zucker sein. Genau diesen Zucker verbrennen wir dann auch und lagern ihn ja auch in der Muskulatur ein und nicht im Körperfett. Als Quelle dienen Sportgetränke oder schlicht eine Apfelschorle. Mengen von 0,5 dl bis 1 Liter pro Stunde sind relativ gut verdaulich.
Was passiert, wenn wir dies nicht tun?
Es ist wie in einer Firma. Wenn der Mitarbeiter nicht genug Lohn erhält, dann streikt er und fährt seine Leistungsfähigkeit zurück. Der Körper macht dies über eine Verschlechterung des Stoffwechsels. Ein Teil dieses Stoffwechsels ist zuständig für die Pufferung von Säuren. Wird diese deutlich schlechter und essen wir parallel dazu zu wenig, kommt es zu einem Abbau von Kalzium aus den Knochen, da Kalzium ein wichtiger Blutpuffer ist.
Dies führt bei viel Sport und stressreichem Alltag zu Stressfrakturen. Parallel dazu erhöht sich ebenfalls der Zug auf die Sehnen und Bänder, da die Muskelspannung steigt. In der Praxis sehen wir sehr oft Sportler, bei denen solche Symptome sehr schnell mit einer kleinen Ernährungsanpassung verbessert werden können.
Was ist nun das Optimale?
Je unfitter wir sind, desto mehr Kohlenhydrate brauchen wir vor und während des Trainings. Aber auch der Fitte sollte sehr genau auf den Kalorienverbrauch achten. Sie oder er haben ja einen höheren Kalorienverbrauch und sollten dem gerecht werden. Und wer dann zu wenig isst, den bestraft früher oder später der Körper mit Leistungseinbussen, einer Verletzung oder chronischen Entzündungen.
Sportgetränke eigenen sich besonders gut zum intensiven Training, so werden dem Körper auch wichtige Elektrolyte zurückgegeben. Zum lockeren Training können es bei Leistungsathleten auch einmal Nüsse sein, um den Fettstoffwechsel anzukurbeln.
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