Nur allzu oft nörgeln wir, keine Zeit zu haben. Nun sollte die «Stay at Home»-Massnahme doch wenigstens das mit sich bringen: dass wir mehr Zeit haben. Und genau damit gibt es jetzt ein Problem.
Ehrlich gesagt, mir sind das Treiben und die Freizeitgestaltung meiner Mitmenschen eigentlich ziemlich schnuppe.
Dies änderte sich allerdings mit den Bildern letzte Woche: Die Leute nahmen die frühlingshaften Temperaturen zum Anreiz, das Miteinander trotz der «Social Distancing»-Empfehlung voll auszukosten.
Das macht mich, wie zum Glück die meisten Leute, die sich gern für das Gemeinwohl einzuschränken bereit sind, doch recht wütend. Nicht umsonst gilt es jetzt, soziale Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. Es geht bekanntlich darum, die Ansteckungskurve flach zu halten und so die Spitäler zu entlasten.
Da fragt man sich doch, warum sich manche Leute einfach nicht daran halten können? Ist es denn wirklich so schlimm, einige Zeit zu Hause zu bleiben?
Parallel zu den Freizeit-Bildern fiel mir in den letzten Tagen auch auf, dass Ratgeber im Netz wie Pilze aus dem Boden schossen. Beispielsweise Tipps, wie die Corona-Krise für Paare, die plötzlich im Homeoffice aufeinandertreffen, nicht zur Beziehungsprobe wird, wie man Kinder zu Hause sinnvoll beschäftigt, was die besten Netflix-Serien sind oder einfache Tipps gegen die Langeweile in den eigenen vier Wänden.
Moooment!
Habe ich da etwa das Wort Langeweile gehört? Das Coronavirus schränkt uns hierzulande seit nur wenigen Wochen ein, und schon macht sich in der Gesellschaft die Langeweile breit? Ich frage mich, wo die Freude über die Zeitgewinnung geblieben ist, die uns das ergatterte Homeoffice beschert. Adieu Zeiträuber, wie lange Arbeitswege mit dem ÖV und endlose Feierabend-Staus. Man könnte doch meinen, dass nun all die Dinge wichtig werden, denen wir uns aus Zeitmangel nie widmen konnten.
Das stimmt auch. Doch, nachdem wir diese gewonnene Zeit mit durchaus sinnvollen Dingen gefüllt haben und nun nicht nur die Kleiderschränke, sondern auch der Keller ausgemistet ist, ist sie wieder da, die Zeit, die man füllen muss, bevor uns – Achtung – Langeweile droht.
Langeweile scheint so negativ assoziiert zu sein, dass keiner von uns gern zugibt, dass er sich langweilt. Vermutlich ist dem auch wirklich so, denn zum Langweilen kommen wir gar nicht erst. Lieber schauen wir in der Dauerschleife Netflix an, und falls wir uns doch einmal entscheiden, etwas «tun» zu wollen, schnappen wir uns einen Tipp aus einem Anti-Langeweile-Ratgeber auf und fangen zur Not auch an zu … stricken. Jetzt im Ernst?
Handwerk erlebt eine Renaissance, das ist toll. Und eine Beschäftigungstherapie. Vielleicht erklärt dieses Phänomen auch jene neue Freizeitbeschäftigung: das «Hamstern». Der Supermarkt scheint an Attraktivität gewonnen zu haben. Als Zeitfüller für sich langweilende Menschen zu betrachten, sind auch Videos von mehr oder weniger bekannten Persönlichkeiten, die im Netz unter dem Hashtag «Stayathome» hochgeladen werden und zeigen, womit sich zu Hause die Zeit vertrieben wird. Alles wird offenbar dankend angenommen, solange es wohl das eine Gefühl, das uns in den Wahnsinn treibt, bekämpft.
Langeweile wird nicht umsonst behandelt wie ein Virus. In unserer schnelllebigen Welt, in der aktiv sein, alles zu sein scheint, wird «sich langweilen» mit Faulheit gleichgestellt.
Dabei ist Nichtstun nicht gleich nichts tun. Tagträume, die durch freie Gedanken entstehen, dienen der Entschleunigung und sollen die Kreativität ankurbeln.
Und jawohl, ich kann es aus persönlicher Erfahrung bestätigen: Oh wie sehr habe ich als Kind Langeweile gehasst, und wie oft habe ich mich über sie lautstark beschwert (und allen die Ohren vollgejammert). Und gerade an verregneten Sonntagen, wenn es scheinbar weit und breit nichts zu tun gab, sind mir genau dann die wildesten Ideen eingefallen. Beispielsweise aus alten Zeitungen neues «Papier» entstehen zu lassen. Eine Riesensauerei im Badezimmer, aber die Idee Zeitung einzuweichen, um sie zu recyceln, ist doch rückblickend doch keine so schlechte.
Habe ich also das Langweilen etwa verlernt?
Ich kann keinesfalls behaupten, dass ich mich darüber freue, zu Hause bleiben zu müssen und vor allem, Freunde und Familie nicht sehen zu dürfen. Da geht es mir auch nicht anders. Ich kann auch nicht sagen, dass es mir gerade ganz egal ist, dass ich nun nicht mehr meinen Freizeitbeschäftigungen – etwa ins Fitnessstudio zu gehen – nachgehen kann.
Tatsächlich bedeuten diese kleinen Zeitfenster für mich als Mami Energie tanken und Entspannung pur.
Nicht so prickelnd finde ich auch meine «Corona-Garderobe», die aus bequemen Kleidungsstücken besteht, wo ich doch Mode und Styling gern auslebe. Doch mit Ratgebern von fremden Menschen, die mir Pauschaltipps für meine Freizeit geben wollen, werde ich mich nicht abfinden.
Sollte die Situation länger andauern und sogar eine Ausgangssperre drohen, hoffe ich, dass ich einer Beschäftigungstherapie widerstehen werde und mich zwischendurch vielleicht etwas langweilen und dabei die Ruhe bewahren werde. Ich betrachte diese Auszeit in diesen hektischen Zeiten als Detox, um seelischen Müll abzuwerfen und um Freiraum für neue Gedanken zu schaffen.
Wie auch immer wir mit der freien Zeit umgehen mögen, ob wir sie annehmen, vertreiben, totschlagen, verschwenden, sie füllen oder gestalten – das Wichtigste ist, wir bleiben zu Hause.
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