Schönheitschirurg «Wir sehen Lippen, die schief sind oder zu viel des Guten»

Von Sulamith Ehrensperger

26.3.2021

Facelifting, Augenlider oder Nase korrigieren: Die Anzahl der Schönheitsoperationen wächst stetig. Das Interesse an Operationen im Gesicht ist derzeit besonders hoch.
Facelifting, Augenlider oder Nase korrigieren: Die Anzahl der Schönheitsoperationen wächst stetig. Das Interesse an Operationen im Gesicht ist derzeit besonders hoch.
Bild: Getty Images

Immer mehr Frauen und Männer legen sich unters Messer, um ihr Erscheinungsbild ihren Wünschen anpassen zu lassen. Ein Gespräch über verpfuschte Lippen, kleine Nasen und zu grosse Erwartungen mit Sascha Dunst, einem der gefragtesten plastischen Chirurgen der Schweiz.

Von Sulamith Ehrensperger

26.3.2021

Herr Dunst, wie geht es einem Schönheitschirurgen, wenn er unterwegs ist: Denken Sie bei Menschen, denen Sie begegnen, ständig daran, was Sie  operieren würden?

(lacht) Es gibt schon Momente, wenn ich in ein Gesicht sehe, dass ich denke, diese oder jene Behandlung oder Operation würde es harmonischer machen. Es ist aber nicht so, dass ich, wenn ich unterwegs bin, andauernd Menschen taxiere und mir Gedanken über ihr Aussehen mache. Schliesslich muss man seine Arbeit auch mal ablegen können.

Ein attraktives Gesicht kann viele Türen öffnen. Schönheit ist also ein Werkzeug, um soziale Anerkennung zu bekommen?

Es gibt tatsächlich Studien, die zeigen, dass mehr Attraktivität zu mehr Ansehen und Erfolg führt. Und zwar nicht erst in unserer Zeit. Das Streben danach entspricht dem biologischen Grundprinzip, der eigenen Art oder Familie das Überleben zu sichern – heute natürlich nur noch im übertragenden Sinne. Das, was wir heute in der Schönheitschirurgie erleben, ist der Wunsch, das Gesicht oder den Körper zu harmonisieren oder Alterungserscheinungen zu korrigieren, um Harmonie zwischen aussen und innen herzustellen, sich also wohlzufühlen in seiner Haut, buchstäblich. Das vielleicht auch unbewusst, aber mit dem Ziel, (mehr) Anerkennung zu bekommen und erfolgreicher, zufriedener zu sein. Das ist aber nur dann sinnvoll, wenn man selber tatsächlich den Wunsch nach Veränderung hegt.

Was ist Schönheit für Sie?

Schönheit ist immer ein Verhältnis der Eigenschaften eines Menschen. Dies empfinden wir alle ein bisschen unterschiedlich. Die Attraktivitätsforschung sagt, dass wir ein Gesicht ungefähr zur Hälfte subjektiv, die andere Hälfte mit den anderen Menschen übereinstimmend beurteilen. Dieser Konsens scheint kulturübergreifend zu sein. Für mein Auge muss ein Gesicht stimmig sein: Das Äussere und der Mensch dahinter passen zusammen.

Über die ästhetische Chirurgie sagt man auch, sie sei Seelenheil mit dem Skalpell. Wo ziehen Sie die Grenze zwischen Ästhetik und Gesundheit?

Zur Person: Sascha Dunst
Sascha Dunst, Schönheitschirurg, plastischer Chirurg
zVg

Sascha Dunst  ist Facharzt FMH für Plastische und Ästhetische Chirurgie bei der Klinik Skinmed in Lenzburg. Zu seiner Spezialität zählen Eingriffe am Gesicht. In den über 17 Jahren als Plastischer Chirurg hat Dunst nach eigener Einschätzung um 10'000 Operationen durchgeführt. Die Skinmed-Kliniken gibt es an den Standorten Aarau, Lenzburg und ab Herbst 2021 in Olten.

Nach meiner Ansicht verwischen die Grenzen, das kann man nicht trennen. Gesundheit wird laut der WHO nicht mehr nur als Freisein von Krankheit definiert, sondern als ‹ein Zustand vollständigen körperlichen, seelischen und sozialen Wohlbefindens›. Es gibt eine Menge Menschen, die beispielsweise ein Problem damit haben, dass sie im Alter zwar noch sehr fit sind, ihr Äusseres dies aber nicht widerspiegelt. Die Folge: Betroffene ziehen sich vom sozialen Leben zurück. Bestimmte Alterserscheinungen bringen auch funktionelle Einschränkungen mit sich. Ein Beispiel, das ich häufig sehe, sind Schlupflider, die einem erst dauer-müde aussehen lassen, mit der Zeit aber die Sicht einschränken und gesundheitliche Probleme bereiten können. Gesundheit und Ästhetik liegen manchmal so eng beieinander, dass es schwierig zu beurteilen ist, wo diese Grenze liegt.

Dennoch wird der Begriff Schönheitsoperation noch immer als ‹ein chirurgischer Eingriff ohne medizinische Indikation› definiert. Das Hauptmotiv für einen Eingriff dürfte also bei den meisten sein, das eigene Aussehen zu verbessern.

Man könnte sagen, dass ästhetische Chirurgie praktisch genauso ein Angebot fürs Wohlbefinden ist, wie andere Dinge im Leben auch. Schönheit oder Attraktivität sind allerdings nicht erst zu modernen Zeiten entstanden. Ein Blick in die Menschheitsgeschichte zeigt, dass sich schon alle Kulturen dieser Welt auf unterschiedliche Art und Weise geschmückt haben oder sich haben schmücken lassen. Heute transportieren populäre Medien, etwa Social-Media-Kanäle, die Schönheitsideale hautnah zu uns aufs Smartphone. Das führt zu neuen Dynamiken und manchmal auch zu fragwürdigen Vorstellungen von Schönheit.

Wann wird es aus Ihrer Sicht fragwürdig?

Dann, wenn es um Challenges geht. Etwa wenn Influencer suggerieren, dass die kleine Stupsnase das Schönheitsideal aller Frauen sein sollte oder wie gross schöne Lippen sein müssen. Das animiert vor allem jüngere Menschen, über solche Dinge nachzudenken. Erfahrungsgemäss bleibt der eigene Verstand dann meist aussen vor.

Eine Hollywood-Nase wie Angelina Jolie oder wie die Kardashian-Schwestern – bekommen Sie solche Wünsche auch zu hören?

Ja, das kommt schon manchmal vor. Grundsätzlich finde ich es gut, wenn jemand mit einer klaren Vorstellung kommt, aber der Wunsch muss realistisch und passend sein. Wünscht sich eine Frau eine Nase wie Angelina Jolie, hat aber eine ganz andere Gesichtsform, macht das alles keinen Sinn. Und selbst wenn die Gesichtsform passt, bleibt es für mich ein fragwürdiger Wunsch. Hinter extremen Einzelbeispielen, etwa dem Wunsch wie Barbie auszusehen, steckt meistens eine Erkrankung psychischer Art. Leider werden solche Beispiele dann gerne in den Topf der ästhetischen Chirurgie geworfen.

Sie haben also keine Kundinnen, die aussehen wollen wie Barbie oder Lara Croft?

Nein, aber ich bin auch nicht bekannt dafür, dass ich Extreme wie Schlauchbootlippen oder dergleichen propagiere. Ist ein Wunsch aus meiner Sicht schwierig oder völlig gegen mein Empfinden, bin ich derjenige, der sagt, dass ich das nicht mache. Manche sind dann traurig oder gar wütend.

Dann sind Sie quasi ein Psychologe mit Chirurgenmesser.

Es braucht tatsächlich sehr viel psychologisches Fingerspitzengefühl. Ästhetische Chirurgie hat ganz viel mit Menschenführung zu tun, vor der Behandlung, aber auch danach. Das ist manchmal eine Herausforderung. Dass es so viel Psychologie braucht, lernt man nicht während des Studiums, sondern vor allem mit der wachsenden Erfahrung.

Schönheitsoperationen erleben einen Corona-Boom. Alles eine Folge der Maskenpflicht? Die möglichen Spuren einer Lippenkorrektur lassen sich so gut verdecken.

Schönheitsops in der Schweiz
Chirurgen bei Operation
Getty Images

Im Pro-Kopf-Vergleich gehört die Schweiz zu den operationsfreudigsten Ländern. Nach Schätzungen werden in der Schweiz jährlich knapp 100'000 Schönheitsoperationen durchgeführt. Die Hälfte davon sind nicht-chirurgische Eingriffe, wie zum Beispiel Botox-Behandlungen. Die Nachfrage nach Faltenunterspritzung, Lid- und Nasenkorrekturen ist während der Pandemie gestiegen.

Ich glaube, diese riesige Nachfrage hat sicher viel mit der Covid-Situation zu tun. Viele haben allerdings schon vorher mit dem Gedanken gespielt und sind jetzt ihrem Wunsch nachgegangen. Da spielt die veränderte Lebensgestaltung sicher eine Rolle. Plötzlich sind viele während der Videokonferenzen im Homeoffice stundenlang mit ihrem eigenen Aussehen konfrontiert. Manche haben durch die Krise gespart, weil sie weniger reisen, nicht in die Ferien fahren und nicht mehr ausgehen. Wieder andere möchten sich nach den Entbehrungen etwas Gutes tun oder sich auffrischen.

Internetportale bieten auch Schönheitsoperationen zum Schnäppchenpreis an. Wie gross sehen Sie die Gefahr, dass Interessierte mit Preisdumping gelockt werden?

Ich sehe da tatsächlich einen Grundkonflikt: Einerseits verdient man mit dieser Art von Medizin sein Geld, andererseits sollte es so sein – und das ist vielleicht nicht bei allen so –, dass man nach ethischen Prinzipien und klar definierten Philosophien handelt. Das heisst, dass man eben nicht alles dem Kommerz unterordnet, nicht all diese Trends mitmacht und Quatschbehandlungen anbietet. Oder auch dass man nicht überall mitspielt, was Preisentwicklungen angeht, nur um die Nachfrage für sich hochzuhalten. Als mittlerweile grosser Anbieter können wir bei Skinmed viel mehr Wert auf Ethik und unsere Philosophie legen. Eine klare Linie zu fahren, ist nicht immer ganz einfach, auch wir müssen Werbung machen und auf Social Media präsent sein. Wir sind daher bemüht Seriosität walten zu lassen, keine Extreme zu bedienen und was unser Preisniveau angeht, sind wir irgendwo im mittleren Bereich angesiedelt. Der wirtschaftliche Druck ist aber schon da.

Man liest immer mal wieder über verpfuschte Schönheitsoperationen, unter anderem von Stars. Wie oft bekommen Sie so was zu sehen?

Ich bin manchmal sehr überrascht, wie viele nach einer Softästhetik-Behandlung in einem Kosmetikstudio zu uns kommen. Wir sehen Resultate, die nicht schön oder schief sind, des Guten zu viel oder Entzündungen hervorgerufen haben. Nicht immer sind es Kosmetikerinnen, die Hand anlegen: In manchen Kosmetikinstituten mieten sich Wanderärzte ein, die teilweise aus dem Ausland kommen, eine Session abhalten und dann wieder weg sind, egal wie das Resultat aussieht.

Wie oft machen Sie solche Korrektureingriffe?

Im Durchschnitt ist das einmal in der Woche, was schon viel ist. Manche kommen auch, weil sie einfach unsicher sind, ob eine Behandlung gut gemacht wurde oder sie sich lieber von einem Facharzt behandeln lassen wollen, weil sie mit dem bisherigen Resultat nicht zufrieden sind.

Ist eine verpfuschte Lippe schwierig zu korrigieren? Das hängt wahrscheinlich davon ab, wie fest gepfuscht wurde.

Ja genau. Wenn es beispielsweise eine schlimme Entzündung ist oder gar eine Infektion, ist das schwieriger und langwieriger. Die meisten Korrekturen betreffen Knötchenbildung, was relativ einfach auszugleichen ist. Wurde eine Lippe zur Schlauchbootlippe aufgespritzt, können wir dies heute gut auflösen.

Was sollte man grundsätzlich bei der Wahl eines Schönheitschirurgen beachten?

Da sind schon ein paar Punkte, die man sich genauer anschauen sollte. Ich würde darauf achten, dass der Eingriff nicht in einem Kosmetikinstitut oder einem Hinterzimmer einer Einrichtung stattfindet. Wer eine Koryphäe in Mikromedizin ist, macht noch lange keine guten Faceliftings. Es lohnt sich also im Internet zu schauen, was der behandelnde Arzt so macht und welche Berufserfahrung er vorweisen kann. Je öfter ein Chirurg ein Facelift operiert, desto besser sind die Ergebnisse. Ebenfalls spielt natürlich der subjektive Eindruck und das eigene Bauchgefühl eine Rolle. Lieber nochmals nachfragen, wenn man ein schlechtes Gefühl hat. Ich glaube, mit gesundem Menschenverstand kann man sich eine gute Entscheidungsgrundlage schaffen. Allerdings: Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nie.

Haben Sie bei sich etwas machen lassen?

Ich bin in Sachen Anti-Aging sehr engagiert oder wenn ich es jetzt mal plakativ sage: Innere Schönheit ist mir wichtig. Ich habe schon vor langer Zeit das Intervallfasten für mich entdeckt, ebenso das EMS-Training und ein Sauerstofftraining. Gleichwohl ist Botulinumtoxin schon seit vielen Jahren ein Begleiter. Regelmässig angewendet, kann es die Ausprägung von bestimmten Stirnfalten abbremsen oder gar nahezu verhindern. Wenn man so will, hatte ich auch schon mal eine Schönheitsoperation: Wegen einer Atembehinderung liess ich meine Nase korrigieren, auch weil sie einen Höcker hatte und schief war. Ich habe nicht im Sinn, weitere Eingriffe machen zu lassen, sondern das Altern von innen her abzubremsen.

Sie machen jetzt allen Hoffnung, die das Altern aufhalten möchten ...

Es klingt zwar ein bisschen plakativ, aber es ist wirklich so: Ein schönes äusseres Gesicht kann nur leben, wenn es von innen her strahlen kann. Bei Menschen, die mit sich und der Welt unzufrieden sind, und diese Unzufriedenheit auf Falten oder Hängebacken schieben, ändert eine Schönheitsoperation nicht viel. Im Gegenteil, sie sind dann noch enttäuscht, weil es nicht in die Richtung geht, die sie erwarten. Schönheitschirurgie funktioniert hundertmal besser bei Menschen, die sich auch sonst um sich kümmern. Denn Schönheit lebt von dieser Kraft – von der Harmonie zwischen Innen und Aussen.