KolumneReizwäsche-Rabatt zum Frauentag? Zum Fremdschämen
Von Julia Käser
9.3.2021
Am Montag war es wieder so weit: Am 8. März kämpfen Frauen weltweit für die gleichen Rechte und den gleichen Lohn. Doch das gerät mehr und mehr in den Hintergrund.
Von Julia Käser
09.03.2021, 14:27
09.03.2021, 16:33
Julia Käser
Das Angebot ist fast schon verlockend: 20 Prozent Ermässigung auf Blumen und Schmuck, 15 Prozent auf Designer-Mode und Kosmetik-Artikel. Auch Reizwäsche, Brillengläser und Möbel kann man besonders günstig erwerben. Alles, was man dafür tun muss? Den Rabattcode «Powerfrau» eingeben.
Ein schneller Blick in den Kalender verrät den Grund für die plötzliche Rabatt- und Werbeschlacht. Es ist der 8. März.
Diese Chance lässt sich natürlich auch die Flirt-Szene nicht entgehen. Eine bekannte Dating-App wirbt damit, dass Frauen, die sich in ihrem Profil als Feministin bezeichnen, doppelt so viele Likes erhalten. Ein anderes Portal verspricht: «Der Weltfrauentag bringt Schwung in die Partnersuche» und gibt sogleich Tipps für Singles.
Besonders erfolgreich sei der «Herr des Geschehens» am Weltfrauentag, wenn er sich bereits im Vorfeld gründlich über weibliche Vorstellungen, Wünsche und Interessen informiere. So seien Frauen an ihrem «Ehrentag» speziell empfänglich für Liebes-Signale, die von Herzen kommen.
Ein neuer Besen? Keine gute Idee
Spätestens jetzt fällt auf: Da muss ein Missverständnis vorliegen. Eigentlich kämpfen Frauen am 8. März seit über hundert Jahren für Gleichberechtigung und gegen Diskriminierung. Liebes-Signale interessieren an diesem Tag herzlich wenig.
Auf dem Werbeportal einer Tageszeitung werden schenkwillige Männer immerhin darauf hingewiesen, dass es bei der grossen Bescherung am Frauentag aber auch Fettnäpfchen gibt, in die man besser nicht tritt.
Zu vermeiden seien Geschenke wie ein neues Bügeleisen oder ein Besen, steht da. «Beides ist rollenspezifisch und trägt kaum den richtigen Charakter für den Welttag der Frau», belehrt das Portal. Besten Dank für die Aufklärung.
Seit 1911 gehen die Frauen auf die Strasse
Aber auch das macht die Sache nicht besser. Der Internationale Frauentag ist kein zweiter Muttertag und schon gar kein zusätzlicher Valentinstag. Es sind nicht Blumen und einmalige Rabattcodes, die die Frauen fordern, sondern denselben Lohn für dieselbe Arbeit – und zwar das ganze Jahr über. Es geht nicht um Dankbarkeit, sondern um gleiche Rechte.
Das zeigt die Geschichte dieses Tages: Die Idee geht auf die deutsche Sozialistin und Frauenrechtlerin Clara Zetkin zurück. Der erste Weltfrauentag im Jahr 1911 stand ganz im Zeichen des Kampfs um das Frauenwahlrecht.
Mit der Zeit wurde das Teilnehmerinnen-Feld vielfältiger und mit ihm die Forderungen. Viele Frauen kämpfen bis heute unter anderem für Lohngleichheit, gegen Gewalt an Frauen und Zwangsprostitution.
Als sei alles bereits erreicht
Daneben wird der 8. März mittlerweile vor allem für Werbung ausgenutzt. Marketing-Spezialist*innen liefern sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen um das beste Loblied auf die Frau. Namhafte Konzerne, stets besorgt um ihren guten Ruf, betonen, dass Frauen wahnsinnig tolle, wahnsinnig einzigartige und wahnsinnig starke Wesen seien, die es zu fördern gelte.
Damit erwecken sie den Eindruck, als sei all das, wofür die Frauen seit Jahrzehnten kämpfen, längst erreicht. Als sei Gleichstellung Realität und Diskriminierung in jeglichen Bereichen passé. Als würde es den Weltfrauentag gar nicht mehr brauchen.
Gerade im Pandemie-Jahr hat man das Gefühl: Die Stimme aus der Werbung übertönt die Frauen auf der Strasse. Dabei wäre es gerade in diesem Jahr umso wichtiger, nicht so zu tun, als liesse sich die Debatte um Gleichstellung mit einem Blumenstrauss lösen.
Schliesslich zeigte ein Bericht der EU-Kommission vor wenigen Tagen, dass die Corona-Krise Fortschritte bei der Gleichberechtigung zerstört. Und diese lassen sich nicht so schnell wieder zurückbekommen – schon gar nicht mit einem Rabattcode.