Nord- versus Ostsee Das macht die deutschen Meeresküsten so beliebt

Linda Vogt und Birgit Sander, dpa

11.7.2020

Lust auf stürmische Fluten oder soll es auf dem Wasser eher ruhig zugehen? Nord- und Ostsee haben jeweils ihre Vorzüge. Einige Anregungen für die perfekten Strandferien.

Ferien an der Nord- oder an der Ostsee?

Für manche Menschen stellt sich diese Frage gar nicht. Seit Jahren, Jahrzehnten, mitunter über Generationen hinweg reisen sie an eine bestimmte Küste.

Und tatsächlich gibt es dort ganz unterschiedliche Ferienorte:

Das Meer

Im Takt von sechs Stunden und rund zwölf Minuten tritt eine Besonderheit der Nordsee deutlich vor Augen: Auf Ebbe folgt Flut – oder umgekehrt. Das Meer erscheint oder verschwindet. «Diese unfassbare Dynamik, dass Sie wirklich Stunden später auf denselben Ort gucken können, und der sieht total anders aus – das find' ich total faszinierend», erklärt Göran Sell, der auf der Ostfriesischen Insel Borkum die Tourismusorganisation leitet. «Die Naturereignisse spürt man hier viel elementarer und viel intensiver.» Für den Nordseeurlauber gehört dazu eben auch, dass nicht jederzeit in die Fluten gesprungen werden kann.

«Die Gezeiten an der Nordsee einmal gesehen zu haben, das war schon interessant», sagt Christine Braun. Aber Urlaub macht sie mit der ganzen Familie lieber an der Ostsee. Seit mehr als 20 Jahren steht ihr Wohnwagen in jedem Sommer in Ückeritz auf Usedom. Die Endfünfzigerin aus der Nähe von Altentreptow liebt den feinen weissen Sandstrand, an den sich der Wald anschliesst. «Und man muss nicht aufs Wasser warten», ergänzt ihr Mann Sylvio.  

Die Landschaft

Die Gezeiten haben an der Nordseeküste einen einzigartigen Naturraum geschaffen: das Wattenmeer. Von Dänemark über Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen bis in die Niederlande zieht sich das UNESCO-Weltnaturerbe. Zu den beeindruckendsten Landschaften an der Ostsee gehört die Kreideküste auf der Insel Rügen mit dem 118 Meter hohen Königsstuhl. Von den mit Buchenwäldern bestandenen weissen Felsen hat der Wanderer einen weiten Blick aufs Meer. Der Maler Caspar David Friedrich hat die Aussicht 1818 in Öl auf Leinwand gemalt. Die alten Buchenwälder im Nationalpark Jasmund hat die UNESCO 2011 als Weltnaturerbe anerkannt.

Geradezu exotisch mutet der weisse Sandstrand der Ostsee-Halbinsel Fischland-Darss-Zings an. 
Geradezu exotisch mutet der weisse Sandstrand der Ostsee-Halbinsel Fischland-Darss-Zings an. 
Bild: Jens Büttner, dpa

In Schleswig-Holstein mit einer Ost- und einer Nordseeküste lassen sich ausserdem die unterschiedlichen Charaktere der Strände gut vergleichen. Die Nordseeküste ist geprägt von Wind und Wellen mit langen Deichen. Die Ostseeküste bietet eher typische Sandstrände für den Badeurlaub sowie Steiluferabschnitte. Aber auch die Nordsee hat durchaus kilometerlange Strände mit feinem Sand zu bieten, etwa auf den Ostfriesischen Inseln oder auf Sylt und Amrum.

Der Strandkorb

Eine Sache haben die deutsche Nord- und Ostsee gemein. Mal blau, mal gelb, meist gestreift: Strandkörbe sind in den Seebädern nicht wegzudenken. Deutschlands älteste Strandkorbmanufaktur produziert in Heringsdorf auf Usedom. Deren Prokurist Dirk Mund schätzt, dass zwischen Norderney und Usedom etwa 110'000 Strandkörbe stehen. Die Modelle für Ost- und Nordsee jedoch sind verschieden. «Man unterscheidet sie an den Seitenteilen», erklärt Mund. «Beim Ostseemodell sind sie geschwungen wie eine Ostseewelle, beim Nordseemodell gerade und flach wie die Ebbe», ist seine Eselsbrücke.

Gesundheit und Wellness

Sonne, Wind, Salzwasser – das Reizklima am Meer ist für seine gesundheitsfördernden Effekte bekannt. An der Nordsee, unter anderem mit einem deutlich höheren Salzgehalt, ist es intensiver als an der Ostsee. Dort machen Mediziner hingegen auf die sauerstoffreiche Luft der Küstenwälder aufmerksam. Im Seebad Heringsdorf auf der Insel Usedom etwa wurde Europas erster Kur- und Heilwald ausgewiesen. Er soll helfen, die Seele zu heilen und körperliche Beschwerden zu lindern. Weiterhin gibt es Anwendungen mit Rügener Heilkreide, Moor oder warmer Jod-Sole.

Welches Meer hat mehr?

Bei der Zahl der Urlauber hat zumindest laut der Tourismus-Agentur Schleswig-Holstein die Ostseeküste die Nase vorn: 2019 kamen demnach 1,96 Millionen Gäste an die Nordsee und mit 3,76 Millionen fast doppelt so viele an die Ostsee. Der eingefleischte Nord- oder Ostseetyp ist allerdings nicht die Mehrheit, wie Astrid Koch von der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen erklärt. 73 Prozent der für die Reiseanalyse befragten Nordseeurlauber interessieren sich auch für einen Urlaub an der deutschen Ostseeküste – andersherum sind es immerhin 63 Prozent. Die Entfernung zum Urlaubsziel scheint eher ein entscheidender Faktor zu sein.

Tourismus mit Geschichte

Ob Nord- oder Ostsee, an den Küsten hat Tourismus eine jahrhundertealte Tradition. Das erste deutsche Seebad eröffnete 1793 an der Ostsee in Heiligendamm. Vier Jahre später folgte das erste Nordseebad auf Norderney, wie der Inseltouristiker Wolfgang Lübben erzählt. «Und das ist dann grösser geworden mit dem Königshaus von Hannover, die dann in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts im Sommer ihren Urlaub hier verbracht haben.» In Heiligendamm badete der mecklenburgische Herzog Friedrich Franz I. auf Anraten seines Arztes in der Ostsee.

Die Berliner fuhren auf die Insel Usedom, die scherzhaft auch «Badewanne der Berliner» genannt wurde. Kaiser Wilhelm II. residierte häufig in Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin, die noch heute den Namen «Kaiserbäder» tragen. Dem Reichtum der Sommergäste trugen extravagante, häufig schneeweisse Villen Rechnung, die heute als «Bäderarchitektur» gelten. Der erste Badeort auf Usedom war 1824 Swinemünde, das heute polnische Swinoujscie.  

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