Kolumne Für Alpinisten wird es steinig und steiniger

Von Caroline Fink

22.10.2022

Im Aufstieg zum Mittlebärgpass bewegt man sich im Bergsteigergelände der Zukunft: Geröll, Schutt und Fels.
Im Aufstieg zum Mittlebärgpass bewegt man sich im Bergsteigergelände der Zukunft: Geröll, Schutt und Fels.
Bild: Caroline Fink

Wer in den Alpen unterwegs ist, erlebt seit Jahrzehnten, was steigende Temperaturen mit Gipfeln und Gletschern machen. Doch was die Kolumnistin kürzlich sah, war nicht der Klimwandel. Vielmehr erlebte sie, was es heisst, wenn die Klimakrise bereits eingetreten ist.

Von Caroline Fink

22.10.2022

Ich hatte den vergletscherten Pass vor der Tour genau studiert. Karten angeschaut, im Internet nach aktuellen Bildern gesucht, mit einheimischen Bergführern telefoniert.

Meine Einschätzung anhand der Infos: Im Aufstieg von Süden her dürften wir einzig auf Eisreste stossen; im Abstieg nach Norden auf eine schneefreie Eisrampe, über die man mit Steigeisen problemlos absteigt.

Und selbst bei schlechten Verhältnissen dürfte die Tour gut zu gehen sein, da sie mit «L» – also «leicht» – eingestuft wird. Etwas, das mich gut 20 Jahre Bergsport gelehrt hat.

So standen wir wenig später also in der Scharte des Mittlebärgpasses, unterwegs vom Walliser Binntal ins italienische Formazza. Eis hatten wir im Aufstieg keines mehr angetroffen. Nur noch Fels und Geröll.

Zur Autorin: Caroline Fink
Bild: Gaudenz Danuser

Caroline Fink ist Fotografin, Autorin und Filmemacherin. Selbst Bergsteigerin, mit einem Flair für Reisen abseits üblicher Pfade, greift sie in ihren Arbeiten Themen auf, die ihr während Streifzügen in den Alpen, den Bergen der Welt und auf Reisen begegnen. Denn von einem ist sie überzeugt: Nur, was einen selbst bewegt, hat die Kraft, andere zu inspirieren.

Derweil wir nun nach Norden blickten, wo sich der Hohsandgletscher ausbreitete – wie erwartet als grauer Eispanzer. Wir montierten die Steigeisen und begannen den Abstieg.

Hitzesommer, Gletscherschmelze, Klimawandel

Was ich an dieser Stelle sagen möchte: Hitzesommer, Gletscherschmelze, Klimawandel – uns Bergsteigende erstaunt in den Alpen im Grunde nichts mehr.

Zu lange schon erleben wir, was steigende Temperaturen mit Gletschern und Gipfeln machen. Doch was mir im Abstieg vom Mittlebärgpass begegnen sollte, bewegt mich auch fast zwei Monate später noch: Ich sah nicht eine weitere Vorwarnung dafür, was der Klimawandel bringen könnte. Nein. Ich sah die sich manifestierende Klimakrise. Eine Krise, die unsere Welt radikal verändert. Jetzt.

Mit jedem Schritt wurde der Eispanzer steiler, an einer Stelle so sehr, dass ich seinen weiteren Verlauf nicht mehr sehen konnte. Weil ich die Erfahrenste der Gruppe war, bat ich die anderen, zu warten. Sachte ging ich weiter, Schritt für Schritt, und sah endlich, was uns erwartete.

Im Abstieg zum Mittlebärgpass enstand diesen Sommer ein durchgehender Riegel aus Fels und Schründen, die den Gletscher entzweien.
Im Abstieg zum Mittlebärgpass enstand diesen Sommer ein durchgehender Riegel aus Fels und Schründen, die den Gletscher entzweien.
Bild: Caroline Fink

Ich traute meinen Augen kaum: Der Gletscher unter mir war quasi entzweigerissen in einen oberen und einen unteren Teil. Dazwischen ein Felsriegel und Eisschründe, die ihn in seiner ganzen Breite horizontal durchzogen. Ich nahm zwei Eisschrauben vom Gurt, drehte sie ins Eis, hängte Karabiner ein, fixierte ein Seil daran. So gelangten wir trotz allem sicher durch die Passage.

Zu krass, zu schnell, zu bedrohlich

Am Abend schliefen wir in einer italienischen Hütte, stiegen tags darauf in Geröll und Fels aufs 3374 Meter hohe Blinnenhorn und über den Griesgletscher wieder ab.

Wo die nächste Überraschung wartete: In dessen Gletschervorfeld versanken wir mit einem Mal knietief in Treibsand, als wäre der Boden aufgetaut und zu Honig geworden. Wenige hundert Meter weiter durchquerten wir einen Gletscherbach. So reissend, dass wir nicht von Stein zu Stein springen konnten, sondern – wie in Alaska oder Kanada – die Wasser mitsamt Bergschuhen furteten. Immerhin waren Schuhe und Hosenbeine danach wieder sauber.

Der Name Blinnenhorn ist übrigens Walliserdeutsch und heisst übersetzt «Blindes Horn» und auch die Italiener nennen den Berg «Corno Cieco». Und wenn ich es mir recht überlege, so passt der Name bestens zum Gefühl dieser Tour: Jahrelang und jahrzehntelang waren wir alle blind.

Jetzt, im Jahr 2022, können wir die Augen nicht mehr verschliessen. Zu krass, zu schnell, zu bedrohlich sind die Veränderungen, die der Klimawandel mit sich bringt.

Dazu passend, nebenbei bemerkt, findet aktuell im Klimapavillon der Stadt Zürich noch bis am 5. November 2022 die Ausstellung «Cartoons zur Klimakrise» statt. Eine Ausstellung, die sich auf scharfsinnige, bissig-ironische und durchaus humorvolle Weise dem Thema annimmt.

Kalte Füsse bekommt man da zwar auch. Allerdings ganz ohne Treibsand und reissende Gletscherbäche.


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