Ungewisse Aussichten Sehnsucht nach Fremde – Corona und das Fernweh

Philipp Laage, dpa

12.8.2020

Australien, Thailand und Südafrika sind weit weg, und wegen Corona sind solche Länder noch weiter entrückt als sonst. Was macht es mit dem Fernweh, wenn die Ferne unerreichbar ist?

Die Ferne war so nah. Ob Mexiko, die USA, Kenia, Vietnam oder Neuseeland: All diese Länder liegen eigentlich nur ein paar Flugstunden entfernt, doch nun sind sie für Touristinnen und Touristen vorerst unerreichbar.

Was macht das mit unserem Fernweh?

«Vor Corona habe ich Fernweh als ein rein positives Phänomen empfunden, eine Gedankenflucht im Alltag, ein Reise-Tagtraum, den man aber ganz konkret umsetzen konnte», sagt Elisaveta Schadrin-Esse. «Während Corona habe ich die frustrierende Reisesehnsucht kennengelernt, die Sehnsucht nach der Fremde, die von aussen in Schranken gewiesen wird und zumindest vorübergehend unerfüllt bleiben muss.» Das aktuelle Gefühl sei für sie daher kein Fernweh.

Schadrin-Esse weiss, wovon sie spricht: Sie ist Herausgeberin und Chefredakteurin des Reisemagazins «The Fernweh Collective».

Das neue Fernweh: Ausgang ungewiss

Es ist eine diffuse Gemütsregung, die Reisende unter den Vorzeichen einer globalen Pandemie derzeit neu ausloten: Fernweh.

Schadrin-Esse gibt folgende Definition: «Fernweh ist für mich die Sehnsucht nach der Fremde, nach Eindrücken und Empfindungen, die so nicht in der eigenen Kultur und Region gemacht werden können, gepaart mit der Vorfreude darauf, diese Sehnsucht irgendwann tatsächlich durch eine Reise zu stillen.» Diese Aussicht ist nun ungewiss.



Doch wie viel Ferne braucht es überhaupt für das Fernweh? Es lasse sich nicht durch die Distanz zum Wohnort beschreiben, sagt die Magazin-Chefin, eher durch eine Andersartigkeit des Erlebens. «Daher würde ich vermuten, dass Fernweh nach Hiddensee oder Tirol für in Deutschland Lebende eher untypisch sind.» Heimische Regionen zu bereisen, würde sie eher als Lust am lokalen Entdecken betrachten.

Exotische Traumbilder

«Es waren die Naturforscher des 18. und 19. Jahrhunderts, die im Geist der Aufklärung die Vorstellung von den «Primitiven», «Wilden» und «Barbaren» in der Ferne durch die Bezeichnung «Naturvölker» ersetzten», erklärt der Tourismusforscher Horst Opaschowski. «Die Ursprünge des modernen Ferntourismus wie Südsee-, Karibik- und Afrikareisen liegen in dieser Zeit.», sagt Opaschowski. Doch es dauerte eine lange Zeit, bis solche fernen Destinationen für Urlauber tatsächlich greifbar wurden.

In den 1950er und 1960er fuhren die allermeisten mit dem Auto oder dem Zug in den Urlaub. Der Pauschaltourismus mit Charterflügen entwickelte sich in den 1970er-Jahren. Doch Florida, die Karibik, Hawaii, Thailand und Ceylon (Sri Lanka) blieben exotisch.

Bis heute machen Fernreisen einen kleinen Teil aller Urlaubsreisen aus. Im Jahr 2019 waren es laut FUR-Reiseanalyse 8,4 Prozent – doch gemessen am gesamten Reiseaufkommen gar nicht so wenig.

Was die Zukunft bringt

Ob das Fernweh stark genug ist, damit die Urlauber sofort wieder nach Nordamerika, Asien oder Afrika fliegen, sobald die Pandemie abklingt? Das wird sich zeigen müssen.

«Die selbsternannten Reiseweltmeister müssen grundlegend umdenken», glaubt Opaschowski. «Ihnen wird bewusst, dass in Corona-Krisenzeiten ferntouristische Ziele nicht mehr so einfach käuflich sind.» Manche würden wohl auch über einen neuen Lebens- und Reisestil nachdenken und seltener und weniger in die Ferne reisen, schätzt der Forscher.

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