Böse Worte statt Schmeichelei Trumps unendlicher Spiessrutenlauf vor Gericht

Von Jill Colvin, AP

20.4.2024 - 21:54

Bei dem Verfahren gegen Donald Trump geht es um Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin.
Bei dem Verfahren gegen Donald Trump geht es um Schweigegeldzahlungen an eine Pornodarstellerin.
Archivbild: Jabin Botsford/Pool The Washington Post/AP/dpa

Bei Wahlkampfevents stehen seine Bewunderer Schlange, um einen Blick auf ihn zu erhaschen oder ihm vielleicht sogar die Hand zu schütteln. Echte Kritik bekommt Trump maximal über Medien oder kleinere Demos mit. Diese Woche musste er sie sich direkt anhören.

DPA, Von Jill Colvin, AP

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  • Erstmals in der US-Geschichte sitzt ein Ex-Präsident in einem Strafprozess auf der Anklagebank.
  • Als Angeklagter in einem Strafprozess muss sich Trump in den nächsten Wochen daran gewöhnen, auch mit weiteren Einschränkungen und einem Kontrollverlust zu leben.
  • Dabei ist Zurückhaltung und Contenance so gar nicht Trumps Ding.

Als «egoistisch und nur auf den eigenen Vorteil bedacht» bezeichnete eine Frau den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump. Ein Mann verurteilte seine «negative Rhetorik und Voreingenommenheit» als extrem schädlich für die USA und andere verurteilten ihn als Rassisten und bejubelten seine Fehlschläge.

In der vergangenen Woche war Trump gezwungen, in einem kalten New Yorker Gerichtssaal zu sitzen und einer Reihe potenzieller Geschworener zuzuhören, die ihre Einschätzungen über ihn kundtaten, ohne dabei mit Kritik zu sparen. Seine Anwälte präsentierten zudem Postings von Social-Media-Plattformen, in denen die Anwärter teils heftig über Trump hergezogen waren.

«Er ist das Objekt des Spottes»

Der ehemalige Präsident und voraussichtliche Kandidat der Republikaner bei der Präsidentschaftswahl im November musste das alles zähneknirschend über sich ergehen lassen. Gewohnt ist er es nicht, denn seine Wahlkampfkundgebungen und Events mit Unterstützern und Geldgebern verbringt er regelmässig in einem Kokon aus jubelnden Menschen und ständiger Bewunderung. Als Angeklagter in einem Strafprozess muss sich Trump in den nächsten Wochen daran gewöhnen, auch mit weiteren Einschränkungen und einem Kontrollverlust zu leben. Er darf nicht sagen, was er will, weil er sonst eine Strafe kassiert und kann nicht einmal die Temperatur im Saal bestimmen. Anders als beim jüngsten Verleumdungsprozess – bei diesem hatte es sich um ein Zivilverfahren gehandelt – darf er diesmal nicht einfach aus dem Saal stürmen, wenn ihm was nicht passt.

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«Er ist das Objekt des Spottes. Es ist sein Alptraum. Er hat keine Kontrolle über das Drehbuch. Er kann die Kameraführung nicht kontrollieren. Er kann nicht kontrollieren, was über ihn gesagt wird», sagte Tim O'Brien, ein Trump-Biograf und -Kritiker.

Trump hat zwar gelegentlich mit Demonstranten zu tun und bekommt über Medien und Internetportale einige Attacken auf ihn mit, aber im Allgemeinen lebt er ein Leben, in dem er vor Kritik abgeschirmt wird. Nach seinem Ausscheiden aus dem Weissen Haus zog Trump in seinen Club Mar-a-Lago in Palm Beach in Florida, wo er von ihm ergebenen Angestellten und beitragszahlenden Mitgliedern umgeben ist, die Zehntausende von Dollar ausgegeben haben, um in seiner Nähe zu sein.

Bloss immer sagen, was Trump hören will

Oft geht Trump auf seinen nahe gelegenen Golfplatz, wo er «von Leuten umschwärmt wird, die ihm die Hand schütteln, Fotos von ihm machen und ihm sagen wollen, wie toll er ist», sagte Stephanie Grisham, eine langjährige Mitarbeiterin, die sich nach dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar 2021 von Trump losgesagt hatte. Wenn er am Nachmittag nach Mar-a-Lago zurückkehrt, stehen die Mitglieder, die auf der Terrasse zu Mittag essen, oft auf und applaudieren. Die gleichen stehenden Ovationen erhält er beim Abendessen, das oft damit endet, dass Trump auf seinem iPad DJ spielt und Lieblingslieder wie «It's a Man's Man's Man's World» von James Brown auflegt.

Donald Trump sitzt im Trump National Golf Club am Ufer des Potomac Flusses in einem Golfcart.
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Archivbild: Manuel Balce Ceneta/AP/dpa

Grisham verbrachte während Trumps Wahlkampf 2016 und als Pressesprecherin des Weissen Hauses viel Zeit mit Trump auf Reisen und in Mar-a-Lago. Sie habe miterlebt, wie die Mitarbeiter des Präsidenten ständig als Cheerleader fungierten und Trump sagten, was er hören wollte. Um Wutausbrüche zu vermeiden, versuchten sie seine Fahrtrouten an Protesten seiner Gegner vorbeizuleiten und legten jeden Morgen einen Stapel positiver Presseberichte auf den Resolute Desk im Oval Office.

Auswahl der zwölfköpfigen Jury steht

Jetzt steht Trump ein Strafprozess bevor, der möglicherweise zu einer Gefängnisstrafe führen könnte. Und er wird sich noch mehr Kritiker anhören müssen, ohne dass er verbal zurückschlagen kann – etwas, das er mit Vorliebe tut.

Trumps Wahlkampfsprecherin Karoline Leavitt sagte, Trump habe in seiner ersten Woche vor Gericht bewiesen, dass er angesichts eines beispiellosen politischen Prozesses gegen ihn standhaft bleiben werde, und sagte: «Es ist klar, dass seine Unterstützung durch das amerikanische Volk nur noch wachsen wird, wenn es (Präsident) Joe Biden, (Staatsanwalt) Alvin Bragg und die Demokraten dabei zusieht, wie sie sechs Monate vor der Wahl diesen fingierten Schauprozess aufführen.»

Von den Dutzenden Anwärtern, die für die Geschworenenjury zur Auswahl standen wurden schliesslich zwölf ausgewählt, plus sechs Ersatzkandidaten. Die Frau, die ihn als egoistisch und nur auf den eigenen Vorteil bedacht charakterisierte, konnten Trumps Anwälte nicht mehr beanstanden, weil sie alle Einsprüche aufgebraucht hatten, bis sie an der Reihe war.

«Ich sehe, dass er viele Leute in Amerika anspricht»

Bei anderen verlasen Trumps Anwälte Posts aus dem Internet, die diese teilweise schon Jahre zuvor geschrieben hatten. Eine ältere Frau wurde von der Jury ausgeschlossen, weil sie ihn einmal als rassistischen und sexistischen Narzissten bezeichnet hatte. «Sie hegt einen tiefen Hass für Herrn Trump», sagte dessen Anwältin Susan Necheles. Die potenzielle Geschworene sagte, ihre Meinung habe sich seither geändert, aber letztlich blieb sie doch aussen vor. Richter Juan Merchan schloss auch einen Mann aus, der 2017 auf Facebook gefeiert hatte, wie ein Vorhaben Trumps von den Gerichten gestoppt wurde. «Schafft ihn weg und sperrt ihn ein», hatte der Mann damals geschrieben.

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Aber auch Bewunderer waren unter den potenziellen Geschworenen undzwar mehr als viele im demokratisch geprägten Manhattan erwartet hätten. Einer sagte, er sei beeindruckt von Trumps Karriere, ein anderer lobte Trump als einen der grossen Präsidenten der USA, sagte aber, er könne aus Zeitgründen nicht der Jury angehören.

Sogar die Frau, die ihn kritisiert hatte, und letztlich in der Jury aufgenommen wurde, räumte eine gewisse Anerkennung ein. Seine Art lasse oft zu wünschen übrig, aber gleichzeitig könne sie nachempfinden, warum diese Ungefilterte bei den Menschen gut ankomme. «Ich sehe, dass er viele Leute in Amerika anspricht.»