Sie sind Inbegriff der analogen Unterhaltung: Gesellschaftsspiele. Die Corona-Krise macht die Branche digitaler und treibt nun auch die grosse Publikumsmesse für Brett-, Rollen- und Kartenspiele ins Internet. Dem Boom der Spiele schadet das bislang keineswegs.
Die Corona-Krise hat der Gesellschaftsspiel-Branche einen kräftigen Schub beschert – und das gleich in zwei Richtungen.
Die vergleichsweise Pandemie-taugliche Freizeitgestaltung von Karten- über Rollen- bis hin zu Brett- und Familienspielen boomt 2020 noch einmal mehr als in den Vorjahren. Gleichzeitig hat die vergleichsweise analoge Welt der Spielefans einen deutlichen Sprung ins Digitale gemacht: Online-Plattformen für Brettspiele haben mehr Zulauf denn je und coronabedingt wird auch die internationale Publikumsmesse «Spiel», die sonst bis zu 200.000 Spielbegeisterte nach Essen lockt und als weltgrösstes Happening ihrer Art gilt, ins Netz ausweichen.
Die Online-Version sei vor allem für viele kleine Spieleverlage überlebenswichtig, sagt Dominique Metzler vom Veranstalter Friedhelm Merz Verlag bei der Vorstellung des Programms am Montag. Am Donnerstag startet die viertägige «Spiel.digital» – aller Bemühungen, interaktive Elemente einzubauen zum Trotz ein zugegeben mauer Ersatz für das quirlige Event, bei dem sich sonst Spielefans dicht um die Spieltische drängen. Gerade viele kleinere und Kleinstverlage machen in Essen sonst ihren Jahresumsatz.
Und doch sei man stolz auf das, was nach Absage der Präsenzveranstaltung geblieben ist: ein digitaler Messeauftritt, bei dem 450 Aussteller aus 41 Nationen 1400 Neuheiten präsentieren – darunter viele von ganz weit weg, etwa aus Nigeria oder Lateinamerika. Der Wegfall von Reisekosten und -zeiten macht es möglich. In den vier Tagen mit Livestreams auf vielen verschiedenen Sprachen und virtuellen Spieltischen werden daher auch viele Zugriffe aus dem Ausland erwartet. «Die Spiel war immer international, aber dieses Mal sind es für die Fans aus Korea oder den USA nur wenige Klicks», sagt Metzler.
Die Gesamtbranche gehört mit ihrem Angebot tatsächlich deutlich zu den Profiteuren der Krise: In der Isolation und mangels Unterhaltungsalternativen haben viele Familien und Spielefreunde ihre Schränke aufgefüllt. Bis jetzt konnte die Branche mit 21 Prozent Umsatzplus die positive Entwicklung der vergangenen Jahre noch einmal deutlich überflügeln, wie der Branchenverband Spieleverlage mitteilt. Auch nach dem Lockdown halte der Boom an: «In einer Zeit, wo Urlaub machen gerade nicht so angesagt ist, greifen viele Leute zum Spiel», sagt der Verbandsvorsitzende Hermann Hutter. Nicht alle hätten aber Grund zum Jubel: Vor allem der Fachhandel musste laut Hutter Einbussen von rund 11 Prozent hinnehmen. Schmerzhaft für Vielspieler wie für Verlage sei auch die Absage vieler Messen, Spieletreffs und -Clubs.
Und so dürfte gerade für Vielspieler die schon lange wachsende digitale Gemeinschaft der «Board-Gamer» notgedungen in den Fokus gerückt sein: In unzähligen Youtube-Clips informieren die Influencer der Szene längst über ihre Lieblings-Spiele, andere bloggen seit Jahrzehnten über Geheimtipps oder die neueste Erweiterung zum Klassiker. Von einem regelrechten Ansturm mit Beginn der Pandemie berichten Plattformen, die den Spieleabend im Netz simulieren, wie «tabletopia» oder «Board Game Arena».
«Die Krise hat uns in eine neue Dimension katapultiert», sagt etwa Gregory Isabelli, der französische Gründer von Board Game Arena, nach eigenen Angaben mit viereinhalb Millionen Mitgliedern der grösste digitale Spieltisch der Welt. Die Internetseite ermöglicht es, ein riesiges Angebot vom Spieleklassiker bis zur Neuheit mit anderen Nutzern gemeinsam am PC zu spielen. Als die Welt in den Lockdown ging, hätten sich die Zugriffe in nur wenigen Tagen verzehnfacht, ganz neue Zielgruppen seien erschlossen worden, sagt er. «Plötzlich hat bei uns die Grossmutter mit ihren Enkeln gespielt», sagt Isabelli. Etwa die Hälfte der Neunutzer sei geblieben.
Auch für viele Spieleverlage sei die Krise ein Weckruf, sich digitaler aufzustellen – sofern die Ressourcen es zuliessen, sagt Messeveranstalterin Metzler. Als Vorreiter gilt beispielsweise der grosse deutsche Verlag Pegasus Spiele: «Die Branche ist schon ein wenig konservativer und viele Möglichkeiten wurden bisher ungenutzt gelassen», sagt dessen Sprecher Peter Berneiser. Schliesslich bestehe die Stärke des Spiels in der Erlebbarkeit von Emotionen, auch dass man die Dinge anfassen kann, sei wichtig. «Aber diese analogen Stärken schliessen digital keineswegs aus», betont er. So habe der Verlag seine digitalen Angebote nun deutlich ausgeweitet: Es gab digitale Spielrunden, Schulungen für Fachhändler online und einen virtuellen Ideenwettbewerb für Autoren. Mit grossem Erfolg: Man habe in allen Bereichen eine höhere Reichweite erzielen können. «Die meisten jetzt geschaffenen digitalen Massnahmen werden Bestand haben», sagt Berneiser, «als gute Ergänzung, nicht als dauerhafter Ersatz.»
So wollen es auch die Macher der Spiele in Zukunft halten: Das Digitale soll zusätzliche Zugänge schaffen, im Kern bleibe das reale Erleben. «Es ist einfach etwas anderes, ob man sich gegenüber sitzt oder nicht. Das wird auch immer den Reiz des Spielens ausmachen», ist Metzler überzeugt.
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