Die Beziehung zwischen den USA und China galt so schlecht wie seit Jahrzehnten nicht. Einige fürchten gar einen neuen Kalten Krieg. Diesen Ängsten wollten US-Präsident Biden und Chinas Präsident Xi etwas entgegensetzen. Das gegenseitige Misstrauen bleibt.
Wenn die Erwartungen gering sind, kann die Enttäuschung nicht gross sein. Unter diesem Motto dürfte das Treffen zwischen US-Präsident Joe Biden und Chinas Staats- und Parteichef Xi Jinping gestanden haben. Für ihr erstes persönliches Gespräch seit Bidens Einzug ins Weisse Haus vor rund zwei Jahren haben sich die beiden die Ferieninsel Bali ausgesucht – nicht des guten Wetters wegen.
Das Gespräch am Montag wurde mit Spannung erwartet und war eine Art Auftakt für den G20-Gipfel der wichtigsten Wirtschaftsmächte, der dort an diesem Dienstag beginnt. Zwischen China und den USA herrschte eigentlich Eiszeit. Mit dem Treffen wollten sich die beiden Länder wieder ein Stück weit annähern. Das ist nur begrenzt gelungen. Dennoch war das Treffen kein Misserfolg.
Rund drei Stunden dauert der Austausch, der mit einem Handschlag beginnt. Eine Form der Begrüssung, die etwa Kanzler Olaf Scholz bei seiner China-Reise so nicht zu teil wurde. Biden und Xi treffen sich in dem Hotel, in dem die chinesische Delegation auf Bali untergekommen ist. Auch das kann Zeichen des guten Willens gesehen werden.
Im Gepäck haben die Zwei eine Liste von Streitpunkten – vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine über Handel oder Taiwan. «Es ist einfach toll, Sie zu sehen», begrüsst Biden den chinesischen Präsidenten. Auch Xi findet freundliche Worte, gibt sich staatsmännisch und erinnert an die grosse Verantwortung für die Welt: «Die internationale Gemeinschaft erwartet, dass China und die USA gut mit ihren Beziehungen umgehen.»
Das Weisse Haus hatte die Erwartungen an das Treffen bereits im Voraus gekämpft. Es seien keine grossen Ankündigungen geplant, auch keine gemeinsame Abschlusserklärung. So sollte es schliesslich kommen.
Pekings Version des Treffens unterscheidet sich deutlich von Washingtons Darstellung. Während das Weisse Haus betont, dass beide Staaten Russlands Atomdrohungen gegen die Ukraine verurteilen, macht Peking im Anschluss deutlich, dass Taiwan die «erste rote Linie» sei, die in den Beziehungen zwischen China und den USA nicht verletzt werden dürfe. Biden hingegen warnt China vor einer Militäraktion gegen Taiwan.
Die Taiwanfrage ist der gefährlichste Streitpunkt, weil er in einer militärischen Konfrontation münden könnte. Chinas Führung sieht die demokratische Inselrepublik als Teil der Volksrepublik an. Die USA haben sich der Verteidigungsfähigkeit Taiwans verpflichtet, was meist Waffenlieferungen bedeutet.
Ein Besuch der US-Spitzenpolitikerin Nancy Pelosi im Sommer liess die Spannungen hochkochen. Biden legte später nach und sagte Taiwan im Falle eines chinesischen Angriffs militärische Unterstützung auch durch US-Truppen zu. Nun setzt Biden aber auf leichte Signale der Entspannung und betont, dass es keine Anzeichen für einen chinesischen Angriff auf die demokratische Inselrepublik gebe.
Atmosphärisch scheint das Treffen ein Fortschritt in den angeschlagenen Beziehungen zu sein, auch wenn in konkreten Streitpunkten keine Annäherung erkennbar ist. Selbst erhoffte Mini-Ergebnisse wie eine formelle Wiederaufnahme der Militärkontakte bleiben aus.
Xi Jinping schien kein Entgegenkommen zeigen zu wollen, da auch Biden in seinen Positionen hart blieb – das Misstrauen bleibt gross. Aber dass beide Seiten den offenen Schlagabtausch in aller Freundlichkeit und Verbindlichkeit pflegen, muss angesichts des Tiefstandes der Beziehungen schon als Erfolg gelten. So wurde ein weiteres Abrutschen zumindest vorerst verhindert.
«Beide Politiker haben sich in wichtigen Fragen zurückgehalten, ohne Zugeständnisse in die eine oder andere Richtung zu machen», zitiert die «New York Times» den Asien-Experten Ryan Hass von der US-Denkfabrik Brookings. Dennoch hätten Biden und Xi klar zu verstehen gegeben, dass die Spannungen gemildert werden müssten und dass keine Seite eine ungezügelte Konfrontation mit der anderen Seite anstrebe. Der bekannte Professor Shi Yinhong von der Volksuniversität (Renmin Daxue), der zu den wenigen Stimmen in Peking gehört, die Chinas Aussenpolitik interpretieren können, sagt: «Beide Seiten sind sehr vorsichtig, um einen Konflikt zu vermeiden.»
Der 79 Jahre alte US-Präsident entscheidet sich nach dem Treffen für eine Pressekonferenz in der schwülen Hitze Indonesiens. Kulisse ist eine Art Amphitheater in einem Hotel auf Bali unter Palmen. Geradezu bezeichnend ist es dann auch, dass Biden nicht als erstes über sein Treffen mit Xi spricht – sondern stattdessen über die Ergebnisse der US-Zwischenwahlen redet. Bei den Midterms vergangene Woche haben Bidens Demokraten überraschend gut abgeschnitten – das Ergebnis hat dem US-Präsidenten mit schlechten Beliebtheitswerten den Rücken gestärkt. «In Amerika hat sich der Wille des Volkes durchgesetzt», sagt Biden und lobt die Demokratie – sicher auch ein Seitenhieb auf Chinas autoritäres System.
Einen Vorfall als Symbol für die Unterschiedlichkeit der beiden Länder berichten mitreisende US-Journalisten. Demnach soll eine Pressevertreterin Biden kurz vor Beginn der vertraulichen Gespräche mit Xi gefragt haben, ob er das Thema Menschenrechte ansprechen werde. Daraufhin soll ein Mann von der chinesischen Seite versucht haben, die Frau aus dem Raum zu drängen. Mitarbeiter des Weissen Hauses hätten sich dann eingemischt. Biden betont nach dem Gespräch mit Xi, über Menschenrechtsverletzungen in China gesprochen zu haben.