17 Jahre Krieg 17 Jahre Krieg und kein Ende: Viele Afghanen geben den USA die Schuld

AP

15.11.2018

2001 wurden die Amerikaner in Afghanistan als Befreier willkommen geheissen. Doch die Haltung ist nach 17 Jahren Krieg und dem Wiedererstarken der Taliban eine andere.

Hamidullah Nasrat war froh, als die Amerikaner und ihre afghanischen Verbündeten im November 2001 in Kabul einrollten und die Taliban von der Macht vertrieben. Wie viele andere seiner Landsleute begrüsste er die US-Soldaten als Befreier. Doch mittlerweile ist er tief enttäuscht: Nach 17 Jahren Krieg kontrolliert die radikalislamische Miliz wieder die Hälfte des Landes – und die Sicherheitslage ist schlechter als je zuvor.

«Wir haben nach den Taliban etwas Gutes erwartet, aber stattdessen wird es jeden Tag schlimmer», sagt der Händler, der auf dem Hauptbasar in Kabul Stoffe verkauft. «Wie ist es möglich, dass eine Supermacht wie die Vereinigten Staaten die Taliban nicht stoppen kann? Das fragt sich jeder Afghane.»



Und nicht nur das. Nach Jahren der Frustration machen viele Menschen im Land die Amerikaner direkt für die Misere verantwortlich. Und es wuchern die Verschwörungstheorien, darunter die, dass die USA nicht in einen schier endlosen Krieg stolperten, sondern ihn von vornherein so planten.

2400 gefallene US-Soldaten

Tatsächlich sieht die Bilanz für die Amerikaner alles andere als stolz aus. 2'400 Soldaten haben die USA in ihrem bisher längsten Krieg verloren und mehr als 900 Milliarden Dollar in alles Mögliche gesteckt, von militärischen Operationen bis hin zum Bau von Strassen, Brücken und Kraftwerken.

Drei US-Präsidenten haben versprochen, Frieden nach Afghanistan zu bringen – entweder durch die Entsendung zusätzlicher Soldaten oder einen Truppenabzug, durch eine Einbeziehung der Taliban oder ihren völligen Ausschluss. Im vergangenen Jahr warfen die USA die «Mutter aller Bomben» auf ein unterirdisches Tunnelsystem ab. Nichts hat gefruchtet.

Mohammed Ismail Kassimjar, der Afghanistans Hohem Friedensrat angehört, zeigt sich über das Versagen der USA und der Nato bei der Bekämpfung der Taliban verwundert.
Mohammed Ismail Kassimjar, der Afghanistans Hohem Friedensrat angehört, zeigt sich über das Versagen der USA und der Nato bei der Bekämpfung der Taliban verwundert.
Bild: Keystone/AP

So wundert sich denn auch Mohammed Ismail Kassimjar, warum es den zeitweise 150'000 US- und Nato-Kräften im Land zusammen mit Hunderttausenden afghanischen Soldaten nicht gelungen ist, wenige zehntausend Taliban zu besiegen. «Entweder wollten sie es nicht oder sie konnten es nicht», sagt der Mann, der Afghanistans Hohem Friedensrat angehört. Er argwöhnt, dass die USA und deren Verbündeter Pakistan bewusst Chaos in Afghanistan gesät hätten, um die andauernde Präsenz ausländischer Streitkräfte – derzeit um die 15'000 Soldaten – zu rechtfertigen.

Hölle statt Paradies

Das Ziel? Afghanistan als Horchposten zu benutzen, um den Iran, Russland und China zu beobachten, mutmasst Kassimjar und klagt: «Sie haben kein Paradies, sondern eine Hölle für uns geschaffen.»

Als Kandahars mächtiger Polizeichef Abdul Rasik im vergangenen Monat bei einem Attentat getötet wurde, wimmelte es in den sozialen Medien ebenfalls von Spekulationen, dass der General Opfer einer amerikanischen Verschwörung sei. Im Internet gab es auch Lob für jüngste Insider-Attacken, bei denen afghanische Soldaten amerikanische und Nato-Verbündete töteten.

2001 habe das Volk das ausländische Engagement im Land voll unterstützt, und danach seien die Dinge noch einige Jahre gut gelaufen, sagte Hamid Karsai, der von 2001 bis 2014 Afghanistans Präsident war, kürzlich in einem Interview. «Dann haben wir erlebt, dass die USA entweder den Kurs gewechselt oder schlicht die Sichtweisen des afghanischen Volkes und die Lage der Afghanen ausser Acht gelassen haben.»

Notorisch korrupte Regierung

Karsai führt das Andauern des Krieges auf das Versagen der USA bei der Beseitigung von Taliban-Zufluchtsorten in Pakistan, das Bombardieren afghanischer Dörfer und die Festnahmen von Einheimischen bei Razzien zurück. Andere sehen die Schuld bei der notorisch korrupten Regierung in Kabul, die Karsai mehr als ein Jahrzehnt lang führte – und die verbreitet als eine weitere bittere Frucht der amerikanischen Invasion betrachtet wird.

Auch der ehemalige afghanische Präsident Hamid Karsai kritisiert das Engagement der USA – und wird selber auch von vielen Landsleuten als korrupt betrachtet.
Auch der ehemalige afghanische Präsident Hamid Karsai kritisiert das Engagement der USA – und wird selber auch von vielen Landsleuten als korrupt betrachtet.
Bild: Keystone/AP

«All das Geld, das in dieses Land gekommen ist, ist an die Leute an der Macht geflossen. Die armen Leute haben nichts bekommen», sagt Hadschdschi Akram, ein Gelegenheitsarbeiter in Kabul, der umgerechnet etwa vier Franken am Tag verdient und alle Mühe hat, seine Familie zu ernähren. «Die Ausländer machen die Dinge nicht besser. Sie sollten gehen.»

Aber es sind nicht nur die Einheimischen, die klagen. Auch der US-Generalinspekteur für den Wiederaufbau Afghanistans, John Sopko, hat sich scharf kritisch geäussert. So wies er kürzlich darauf hin, dass die USA 132 Milliarden Dollar für den Wiederaufbau des Landes ausgegeben hätten – mehr als für Westeuropa nach dem Zweiten Weltkrieg. Weitere 750 Milliarden Dollar seien in Militäroperationen geflossen, und zudem hätten die USA jährlich vier Milliarden Dollar für die afghanischen Sicherheitskräfte zugesagt.

Fast täglich Angriffe

Das Ergebnis? «Selbst nach 17 Jahren Bemühungen der USA und der Koalition sowie finanzieller Grosszügigkeit bleibt Afghanistan eines der ärmsten, der am wenigsten gebildeten und der korruptesten Länder auf der Welt», sagte Sopko. «Und es ist eines mit der meisten Gewalt.»

Die USA und die Nato haben 2014 ihren Kampfeinsatz in Afghanistan offiziell beendet. Seitdem gibt es fast täglich Taliban-Angriffe auf ländliche Kontrollpunkte und koordinierte Attacken in grösseren Städten. Die Behörden veröffentlichen mittlerweile keine Opferzahlen mehr.

Afghanen, die in der jüngsten Zeit an den Frontlinien eingesetzt waren, klagen auch über fehlerhafte Ausrüstung und mangelnden Nachschub. Insgesamt sei die Moral in den Streitkräften auf einem Tiefpunkt, und viele Soldaten äusserten jetzt Sympathien für die Taliban, schildert Tamim Darwesch, der fast fünf Jahre in der Provinz Helmand diente. Selbst völlig frustriert, kehrte er dieses Jahr nach einem Urlaub nicht zur Truppe zurück – und schlägt sich jetzt als Tagelöhner durch.

Bilder des Tages
Zurück zur Startseite