Desaster an allen Fronten Putins Armee versinkt im Sumpf, dabei kommt der grosse Regen erst

Von Philipp Dahm

26.9.2022

Selenskyj – «Positive Ergebnisse» bei Kämpfen gegen Russland

Selenskyj – «Positive Ergebnisse» bei Kämpfen gegen Russland

Unterdessen melden russische Nachrichtenagenturen, das russische Parlament könne schon am Donnerstag über die Eingliederung der ukrainischen Gebiete Luhansk, Donezk, Cherson und Saporischschja beraten.

26.09.2022

Die russischen Streitkräfte haben am Wochenende angeblich mehrere Jets verloren, während die ukrainische Armee im Donbass kleine, aber stetige Fortschritte macht. Auch die Mobilmachung verläuft nur mässig. 

Von Philipp Dahm

26.9.2022

Es ist – mal wieder – ein verheerendes Wochenende für die russischen Streitkräfte gewesen. Insbesondere die Luftwaffe hat prominente Verluste hinnehmen müssen.

Allein am Samstag wollen die Verteidiger ein Erdkampfflugzeug vom Typ Su-25 Frogfoot, zwei Su-30 Flanker-C, eine Su-34 Fullback und einen Mi-8 Hip sowie einen Marschflugkörper und sechs Drohnen abgeschossen haben. Geschätzter Kostenpunkt für den Kreml: etwa 90 Millionen Dollar.

Video des Abschusses einer Su-30 oder Su-34 am 24. September in der Region Charkiw. Die Echtheit lässt sich nicht überprüfen.

Auch am Boden läuft es schlecht. Ein Versuch russischer Truppen, einen Gegenangriff auf Bachmut im Oblast Donezk zu starten, ist gescheitert. Der ukrainischen Armee ist es hingegeben offenbar gelungen, hinter dem Dorf Oskil in Charkiw in Richtung Osten auf die Grenze zu Luhansk vorzurücken.

Swatowe und Lyman im Fokus

So konnten Kiews Truppen eine Schneise Richtung der Kleinstadt Swatowe schlagen. Durch sie führt einerseits die Donezk-Eisenbahn, andererseits liegt hier die P66, die über Rubischne nach Lsyssytschansk führt. Die Nachschubrouten sind nun bedroht. Mit dem Vorstoss erhöht die Ukraine nicht nur den Druck auf die letztgenannte Stadt und Sjewjerodonezk, sondern schnürt vor allem auch Lyman immer weiter ein.

Lyman liegt im Norden des Oblasts Donezk an der Bahnstrecke von Charkiw über Bachmut ins Donezk-Becken. In dem Industriezentrum, das «Nordtor des Donbass» genannt wird, haben die Russen ein regionales Hauptquartier eingerichtet, das nun von drei Seiten angegriffen wird. Angeblich wird in den Vororten von Lyman bereits gekämpft.

Von diesen Entwicklungen ist auf dem Telegram-Kanal des russischen Verteidigungsministeriums keine Rede. Wer hier nachliest, bekommt den Eindruck, alles verlaufe nach Plan. Die jüngste Erfolgsmeldung: Moskau will seit dem 24. Februar 5'114 Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, 3'417 Artillerie und Mörser, 2'087 Drohnen und 155 Helikopter abgeschossen haben.

Einschläge in besetzten Gebiet und an der Heimatfront

Auch 302 Flugzeuge sollen abgeschossen worden sein. Das ist eine unglaubliche Leistung, wenn man bedenkt, dass die Ukraine inklusive Aufklärungs-, Transport- und Schulflugzeugen vor dem Krieg gerade mal 228 Flugzeuge in ihren Reihen hatte.

Natürlich steht auf dem Telegram-Kanal nichts über die Rückschlage an der Front – ebensowenig über jene an der Heimatfront. Kein Wort über den Sabotageakt in Nowokusnezk im Südwesten Sibiriens. In der Grossstadt im Steinkohlerevier des Kuznezker Beckens steht ein riesiges Stahlwerk, das 11'500 Menschen beschäftigt. Von ihnen hat ein Grossteil vorerst frei, nachdem Brandstifter das Metallkombinat in Flammen aufgehen liessen.

An der Front in Donezk und in Cherson hat sich kaum etwas getan. Die Bedingungen werden allerdings sowohl für Verteidiger als auch für Angreifer schlechter. Regen deckt derzeit die Ukraine ein, was den Boden mehr und mehr aufweicht und Vorstösse von Kettenfahrzeugen und anderen Einheiten mehr und mehr verunmöglicht. In Kiew sinkt das Thermometer nachts bereits auf acht Grad, im Osten ist es nachts nur noch zwei Grad kalt.

Kiew will Panzer und mehr Flugabwehr

Kiew hofft in dieser Situation weiter auf westliche Waffenhilfe. Besonders Panzer werden benötigt – und Kiew hofft, dass Washington den Anfang macht. «Wenn die USA in der Lage sind, Panzer [zu liefern], werden Deutschland und andere europäische Länder folgen», sagte Wolodymyr Selenskyj im Interview mit dem amerikanischen Sender CBS.

Auch die Lieferung von Artillerie und Flugabwehr-Systemen bleibe relevant, führt der ukrainische Präsident aus, der Präsident Joe Biden und dem Kongress gleichzeitig für Unterstützung dankt mit Nasams-Flugabwehr-Raketen. «Aber glauben Sie mir: Es ist nicht annähernd genug, um die zivile Infrastruktur, Schulen, Spitäler, Universitäten und Häuser in der Ukraine zu schützen.»

Die Teil-Mobilisierung macht Selenskyj übrigens nicht nervös. «Sie mobilisieren seit Monaten im Geheimen», kontert der 44-Jährige trocken. Kein Wunder: In Russland formiert sich Widerstand gegen eine Zwangsrekrutierung, die offenbar vor allem ethnische Minderheiten betrifft.

Chaotische Mobilmachung

So sollen etwa Krim-Tartaren überproportional betroffen sein. Auch in der russischen Teilrepublik Dagestan, die vornehmlich muslimisch ist, protestieren Menschen gegen die Mobilmachung: In der Hauptstadt Machatschkala, aber auch im Dorf Endirey stossen Polizei und Demonstranten zum Teil heftig aufeinander.

Die Sichtung der neuen Soldaten verläuft chaotisch, wie die staatliche Nachrichtenagentur RIA Novosti einräumt. In Wolgograd werden ein 58-Jähriger ohne militärische Erfahrung und ein 63-jähriger Diabetiker eingezogen und erst nach Protesten wieder nach Hause geschickt.

Derlei Fehler würden umgehend berichtigt, verspricht Russlands Machthaber Wladimir Putin. Angeblich sind seit der Verkündung der Mobilmachung bereits 260'000 Russen aus ihrer Heimat geflohen.