Schwieriger Job für HarrisAlles andere als «Standby»
AP/toko
29.3.2021
Das Vizepräsidentenamt in den USA hat zunehmend Gewicht bekommen. Mit der Aufgabe, sich der illegalen Einwanderung aus dem Süden anzunehmen, steht Kamala Harris vor einer grossen Herausforderung.
29.03.2021, 19:39
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Mike Pence stand an der Spitze der Corona-Taskforce, nur um ständig von seinem Chef Donald Trump aus dem Rampenlicht geschoben zu werden. Al Gores Bemühungen, «Regierung neu zu erfinden», gerieten in der Amtszeit von Bill Clinton im Skandal um die Praktikantin Monica Lewinsky praktisch unter die Räder. Dan Quayles Anlauf zu neuem Schwung für die US-Weltraumpolitik unter George Bush Senior blieb von Anfang an weitgehend unbeachtet. Drei Beispiele für das Straucheln als Vize des mächtigsten Mannes der Welt.
Über Jahrzehnte hinweg war es Hauptaufgabe des Vizepräsidenten in Washington, sich als relevant zu positionieren, darauf zu achten, nicht als Lückenbüsser unterzugehen. Bisher sei der Stellvertreter vor allem als «Standby-Ausstattung» des Weissen Hauses gesehen worden, erklärte Amtsinhaber Walter Mondale 1976, der sich für eine Stärkung der Rolle einsetzte. Doch zunehmend kamen dann Jobs mit Gewicht für die Nummer zwei – und damit auch mit grösserer Öffentlichkeitswirkung und persönlichem politischen Risiko.
«Definitiv keine zeremonielle Aufgabe»
Auch für die neue Vizepräsidentin dürfte das eindeutig der Fall sein: Kamala Harris wurde in der vergangenen Woche die Bürde auf die Schulter gelegt, sich um die illegale Einwanderung aus dem Süden zu kümmern. «Das ist definitiv keine zeremonielle Aufgabe», kommentiert dies Nina Rees, einstige Mitarbeiterin von Vizepräsident Dick Cheney.
Harris' Team hat sich beeilt, zu betonen, dass die Vizepräsidentin nicht für die gesamte Immigrationspolitik zuständig sei. Ihr Schwerpunkt sei die Diplomatie, die Zusammenarbeit mit Guatemala, El Salvador und Honduras, um die Migration aus diesen Ländern zu verringern. Es gehe nicht um die Entscheidungen, wer in die USA dürfe, wo die Menschen unterkämen und was mit den unbegleiteten Minderjährigen geschehe. «Die Vizepräsidentin kümmert sich nicht um die Grenze», erklärte Sprecherin Symone Sanders.
Dennoch: Die Aufgabe, die Harris anvertraut wurde, ist zentral für den Anspruch des neuen Präsidenten Joe Biden, die Einwanderungspolitik humaner zu machen und die Glaubwürdigkeit und den Einfluss der USA im Ausland zu stärken. «Es ist wichtig für die Regierung, hier Erfolge vorzuweisen», sagt die Analystin Elaine Kamarck, die dem früheren Vize Gore zur Seite stand.
Mittlerweile ist sie Forscherin der Denkfabrik Brookings Institution in Washington und nimmt die Rolle der Stellvertreter unter die Lupe. In ihrem Buch «Picking the Vice President» (etwa: Die Auswahl des Vizepräsidenten) sieht sie eine zunehmende Regierungspartnerschaft von Präsident und Stellvertreter. Begonnen habe dies mit Al Gore, 1993 bis 2001 Vize von Bill Clinton. Fortgesetzt habe sich das Tandem mit Dick Cheney, der als Stellvertreter von George W. Bush an nahezu allen Aktionen des Weissen Hauses beteiligt war, und mit Joe Biden, von 2009 bis 2017 im Team mit Barack Obama.
Von der Konkurrentin zur Partnerin
Mit der Beobachtung Kamarcks verliert die Überlegung an Kraft, dass der Präsident die Lorbeeren ernten kann, wenn der Vize Erfolg hat, aber bei Misserfolg die Schuld abschieben kann. Die Frage, wie sich Lob und Tadel verteilen, wird umso schwieriger, wenn der oder die Vize Ambitionen erkennen lässt, einst selbst die Nummer eins zu werden.
Auch das scheint im Fall von Kamala Harris klar. Bereits im vergangenen Jahr ging sie zunächst als Konkurrentin Bidens ins Rennen, als es um die Suche nach einem Präsidentschaftskandidaten der Demokraten ging. Zugleich bleibt Biden unkonkret, was seine weiteren Absichten betrifft. Dieser Tage erklärte der 78-Jährige, sein Plan sei, sich einer Wiederwahl zu stellen. Dann fügte er aber hinzu: «Ich konnte noch nie viereinhalb, dreieinhalb Jahre sicher im Voraus planen.»
Wie erfolgreich Harris ihre Aufgabe meistern kann, bleibt abzuwarten. «Es ist ein riesiges Problem auf vielen verschiedenen Ebenen, sowohl humanitär als auch im Bereich Gesundheit und Sicherheit», sagt der republikanische Politstratege Ray Sullivan aus Texas. «Leute aller möglichen politischen Überzeugung können auf die Grenzkrise schauen und der Ansicht sein, dass etwas überhaupt nicht läuft.»