Kolumne Annalena Baerbock verliert ihren Heiligenschein

Von Andreas Fischer

11.6.2021

Annalena Baerbock hat man zugetraut, den Schatz am Ende des Regenbogens zu heben. Doch die Kanzlerkandidatin der Grünen muss erstmal andere, selbstgemachte Probleme lösen.
Annalena Baerbock hat man zugetraut, den Schatz am Ende des Regenbogens zu heben. Doch die Kanzlerkandidatin der Grünen muss erstmal andere, selbstgemachte Probleme lösen.
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Annalena Baerbock ist die erste Kanzlerkandidatin der Grünen in Deutschland: Die anfängliche Euphorie darüber ist verflogen. Eine Kolumne über dilettantische Fehler, die deutsche Politiker immer wieder machen.

Von Andreas Fischer

11.6.2021

Der Höhenflug der Grünen ist in Deutschland erst einmal vorbei. Lag die Partei laut Umfragen (Deutschlandtrend, Politbarometer) vor wenigen Wochen noch vor der CDU, ist sie mittlerweile deutlich abgerutscht. Für eine grüne Kanzlerin Annalena Baerbock wird’s jedenfalls eng. Schuld hat sie selber.

Baerbock hatte in ihrem Lebenslauf Mitgliedschaften in Vereinen und Organisationen oder eine angebliche Tätigkeit in Brüssel aufgeführt, was sie nachträglich korrigieren musste. Sie hat nicht wirklich gelogen, aber ihr berufliches Profil aufgehübscht. Eine Petitesse eigentlich. Aber eben nicht im Bundestagswahlkampf.

Als entweder «blöd» oder «eitel» bezeichnete die politische Journalistin Bettina Gaus in einer Kolumne das Vorgehen von Annalena Baerbock. Als Kanzlerkandidatin wird man nun mal ziemlich genau durchleuchtet – das muss auch Baerbock bewusst gewesen sein. Zumal es nicht nur hyperaktive Journalisten gibt, die nervös nach Schlagzeilen suchen, sondern auch politische Gegner, die jeden noch so kleinen Fehler gnadenlos plattwalzen.

Wie naiv sind deutsche Politiker eigentlich?

«Blöd» oder «eitel» – das lässt sich im Fall von Annalena Baerbock nicht eindeutig beantworten. Vielleicht ein wenig von beidem, auf jeden Fall aber war sie ziemlich naiv. Schliesslich gab es vor einigen Wochen schon einmal vorübergehende Aufregung, weil sie Sonderzahlungen ihrer Partei, darunter Weihnachtsgeld und Corona-Bonus, verspätet dem Bundestag meldete. Das ist in Deutschland aus Transparenzgründen vorgeschrieben.

Baerbock hätte es also besser wissen müssen, spätestens nach den Negativschlagzeilen zum Sonderzahlungsdesaster: «Ich habe mich natürlich selbst über meinen Fehler tierisch geärgert», sagte sie damals und liess ihren polierten Lebenslauf trotzdem auf ihrer Internetseite stehen.



Der (mediale) Aufruhr in Deutschland mag, wie es das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel» auf den Punkt bringt, ziemlich viel «Baerbock-Irrsinn» sein. Aber es stellt sich schon die Frage: Was ist eigentlich los beim Nachbarn? Wie naiv sind deutsche Politiker eigentlich?

Wenn eine Fünfjährige heimlich die Smarties vom Geburtstagskuchen ihrer Schwester nascht, dann kann man sie recht einfach ihres Frevels überführen. Sie wird es dann entweder nie wieder tun, und wenn doch, sich Mund und Hände nach der Missetat gründlich waschen. Deutsche Politiker und Politikerinnen sind nicht so clever.

Ewig lockt die Prahlerei

Man denke nur an Karl-Theodor zu Guttenberg, der 2011 als Verteidigungsminister zurücktreten musste. Er hatte seine Doktorarbeit in weiten Teilen abgeschrieben. Guttenbergs Plagiat-Affäre hallt immer noch nach, wegen der Prominenz des CSU-Politikers, weil er sich an sein Amt klammerte, und weil bei Pro-Guttenberg-Demos in seinem Heimatort Plakate mit der Aufschrift «Gutti ist der Beste» in die Kameras gehalten wurden.

Wer hat daraus gelernt? Die FDP-Hoffnungsträgerin Silvana Koch-Mehrin nicht, die sich ebenfalls 2011 noch nach der Aberkennung ihres Doktortitels in den Forschungsausschuss des Europäischen Parlaments berufen liess, einige Tage später aber doch zurücktrat. Auch die ehemalige Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) reichte ihre Demission 2013 erst nach der Aberkennung ihres Doktortitels ein.

Für noch grösseres Aufsehen sorgte der Fall Christian Wulff (CDU), der 2012 als bislang einziger Bundespräsident während der Amtszeit zurücktrat. Wulff hatte in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident mit einem Anruf bei der «Bild»-Zeitung versucht, einen kritischen Artikel zu verhindern. Und hat seine Drohung zur einfacheren Dokumentation gleich auf einem Anrufbeantworter aufgenommen.

Zuletzt trat die deutsche Familienministerin Franziska Giffey (SPD) zurück und kam mit diesem Schritt der gestern erfolgten Aberkennung ihres Doktortitels zuvor. Das hält Giffey übrigens nicht davon ab, sich auf den Wahlkampf zum Abgeordnetenhaus in Berlin zu konzentrieren. Sie ist Spitzenkandidatin ihrer Partei und will Regierende Bürgermeisterin werden.

Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht ...

All diese Fälle müssen Baerbock bekannt gewesen sein. Gelernt hat sie nichts daraus. «Das war offensichtlich sehr schlampig», bekannte Baerbock gestern in einem TV-Interview mit der ARD, ihrer ersten öffentlichen Stellungnahme zu ihrem geschönten Lebenslauf. Es tue ihr «sehr, sehr leid». Leid tut es aber politisch vor allem den Grünen, deren ehemals berechtigte Hoffnungen auf eine Übernahme der Regierung in Deutschland schwinden.

Auch der Autor dieses Textes befand nach ihrer Kür zur Kanzlerkandidatin der Grünen «Für Annalena Baerbock liegt alles drin». Allerdings mit der Einschränkung, dass der Erfolg eine Frage des Stils sei. Und den lässt Baerbock gerade missen: Sie hatte Glaubwürdigkeit als ihren Markenkern definiert und hat es nun ungleich schwerer. Oder wie es in einem Sprichwort heisst: «Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn sie auch die Wahrheit spricht.»